„Der Sommer geht in die Verlängerung“: Wie der Klimawandel den Herbst verändert
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Die Phase des Jahres, in der die Bäume ihr Herbstlaub tragen, wird länger.
© Quelle: Florian Schuh/dpa-tmn
Seit Jahren sagen Klimaforscherinnen und -forscher es voraus: Die Temperaturen werden steigen, extreme Wetterlagen sich häufen. Der Sommer 2023 machte die Vorhersagen mit seiner außergewöhnlichen Hitze – es war der wärmste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen – und Extremwetterereignissen wie dem Hagelsturm in Reutlingen wahr. Doch was macht der Klimawandel mit dem Herbst?
Draußen wird es Stück für Stück kälter, Nebel und Regen halten Einzug, der Altweibersommer bringt die letzten goldenen Tage – all das verbinden wir traditionell mit der dritten Jahreszeit. Ein Klischee, von dem wir uns in den kommenden Jahrzehnten zumindest teilweise verabschieden müssen.
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Herbstmonate sind milder geworden
„Prinzipiell kann man sagen, dass der Sommer in die Verlängerung geht: Die Temperaturen im September und Oktober sind im Schnitt um rund ein halbes Grad angestiegen“, erklärt Bianca Plückhahn vom Deutschen Wetterdienst (DWD). „Im November ist es sogar um 0,8 Grad wärmer. Der ist deutlich milder geworden.“ Auch die Sonnenscheindauer habe im Herbst deutlich zugenommen, vor allem im September, so die Agrarmeteorologin.
„Wir sehen auch, dass die Nebeltage insgesamt weniger geworden sind, vor allem aufgrund der höheren Temperaturen“, so Plückhahn. Die langsam kühler werdenden Tage, die wir aus dem Herbst kennen, verschieben sich immer weiter in die Wintermonate hinein. Was den typischen Herbstregen betrifft: Da sich die Wetterextreme häufen, werde es immer mehr besonders nasse Phasen, aber auch immer mehr lange Trockenphasen geben.
Folgen für Pflanzen
Das alles hat Folgen für die Vegetation. Schließlich ist der Herbst auch die Zeit, in der die Früchte vieler heimischer Pflanzen reif werden. Äpfel, Zwetschgen, Rüben und Wein haben Saison, wir feiern den Erntedank, das Pilzesammeln gehört zu den typischen Herbstaktivitäten. Wird das in den kommenden Jahrzehnten so bleiben?
Antworten darauf gibt die sogenannte Phänologie, die sich mit den Entwicklungen im Tier- und Pflanzenreich im Laufe eines Jahres beschäftigt: Forscherinnen und Forscher beobachten zum Beispiel, in welchem Rhythmus Pflanzen austreiben oder Tiere sich paaren. Demnach beginnt der phänologische Frühherbst, wenn die Beeren des schwarzen Holunders reif sind. Das war im Zeitraum 1961 bis 1990 im Schnitt der 5. September, erklärt Agrarmeteorologin Plückhahn – doch in den vergangenen drei Jahrzehnten waren die Holunderbeeren im Deutschland-Mittel schon am 24. August reif. Zwölf Tage früher also. Der Holunder ist damit nicht allein: Die Reife vieler weiterer Früchte hat sich deutlich nach vorne verschoben.
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Köln wie Le Mans – interaktive Karte zeigt, welches Klima jetzt in deutschen Städten herrscht
Bereits heute haben deutsche Städte ein Klima, wie es im Durchschnitt früherer Jahre einige Hundert Kilometer weiter südwestlich anzutreffen war. Eine interaktive Karte zeigt, wohin sich deutsche Städte klimatisch verschieben.
Zwei Wochen länger Herbst als noch vor 30 Jahren
Der phänologische Spätherbst endet, sobald die Stieleiche ihre Blätter verliert. Auch dieses Ereignis habe sich in den letzten 30 Jahren verschoben, und zwar zwei Tage nach hinten. „Der Herbst dauert jetzt also insgesamt zwei Wochen länger als noch im Zeitraum 1961 bis 90″, fasst Plückhahn zusammen.
Auch die Phase des Jahres, in der die Bäume ihr Herbstlaub tragen, wird länger. Eine Studie der ETH Zürich aus dem Sommer dieses Jahres kam zu dem Ergebnis: Weil es in der frühen Phase des Sommers heißer ist, setzt die Verfärbung der Blätter eher ein, schreitet allerdings auch langsamer voran. Es handele sich dabei aber nicht um die schönen Rot- und Gelbtöne, die man mit dem Herbst assoziiert, sagte Studienautor Constantin Zohner Schweizer Medien zufolge der Nachrichtenagentur Keystone-SDA im August – die Schäden an den Blättern führen eher zu einer braunen Farbe.
Stress für Pflanzen und Landwirte
„Als ich ein Kind war, bin ich in den Herbstferien in die Weinlese gegangen“, erzählt Plückhahn. „Wenn jetzt im Oktober die Herbstferien stattfinden, ist schon längst alles im Keller.“ Auch die anderen Erntezeiten rückten etwas weiter nach vorne, so die Meteorologin. „Das typische Bild, das wir vom Herbst haben, gibt es so nicht mehr.“
Aber nicht nur der bekannte „goldene Herbst“ gehört wohl der Vergangenheit an. Auch der sonst eher triste November hat sich verändert. Spätestens Mitte November sind die meisten Pflanzen früher in die Winterruhe gegangen – kahle Alleen, blattlose Hecken prägten das Bild. „Diese Ruhephase ist für die Pflanzen sehr wichtig, um neue Kraft zu schöpfen“, erklärt Plückhahn. „Aber in den vergangenen Jahren haben wir gesehen, dass das so nicht mehr der Fall ist.“ Häufig trete die Vegetationsruhe jetzt erst Ende November bis Mitte Dezember ein. „Und anders als vor 40 oder 50 Jahren ist es jetzt auch so, dass sie zwischendurch immer wieder unterbrochen wird.“
Das werde für viele Pflanzen zum Problem: „Für einige heimische Pflanzen ist es Stress, wenn sie in milden Phasen denken, der Winter ist vorbei, und austreiben – und dann wird es doch wieder kalt.“ Obstbäume zum Beispiel bräuchten die Winterruhe und niedrige Temperaturen, um später im Jahr viele Blüten und Früchte zu tragen.
Mittelmeerklima mit Wetterextremen
Nicht nur Sommer und Herbst verschieben sich aktuell durch den Klimawandel. Auch der phänologische Winter ist in den vergangenen 30 Jahren im Schnitt um 19 Tage kürzer geworden. Er endet, wenn die Hasel blüht – und das sei im vergangenen Jahr schon Ende Dezember passiert, sagt Plückhahn. Der Winter sei überhaupt der große Verlierer des Klimawandels – während alle anderen Jahreszeiten länger werden, verschwinde er langsam.
Dass wir uns in Zukunft ganz vom Wechsel der Jahreszeiten verabschieden müssen, glaubt die Meteorologin allerdings nicht. „Wir werden eher mediterrane Bedingungen haben“, erklärt sie mit Blick auf das kommende Jahrhundert. Mittelmeerklima mit Wetterextremen, so könne man es vereinfacht sagen. Dass diese Entwicklung noch aufzuhalten sei, hält sie nicht für möglich.