Jugendforscher im Interview

„Die junge Generation ist mit einer Häufung von Krisen konfrontiert wie keine seit 1945 vor ihr“

Sind Kinder oder Jugendliche oft traurig und antriebslos, kann dahinter eine Depression stecken.

Der Jugendforscher Benno Hafeneger sieht die Jugend in einem Dilemma, aus dem ein Ausweg schwer möglich ist (Symbolfoto).

Herr Hafeneger, laut der Trendstudie „Jugend in Deutschland“ belasten Krisen junge Menschen in Deutschland viel stärker als die ältere Generation – und das, obwohl die Älteren teils noch pessimistischer in die Zukunft blicken. Woran liegt das?

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Am Klimawandel, an den Folgen eines Krieges in Europa, an der Corona-Zeit, die die junge Generation ausgebremst hat, an der Technologieentwicklung, die völlig offen ist: Die junge Generation ist mit einer Häufung von Krisen konfrontiert wie keine Generation in der Nach­kriegsgeschichte vor ihr. Diese großen Entwicklungen machen sehr skeptisch und ängstlich, wohin die Reise geht. Zeitgleich müssen junge Menschen ihrem eigenen Leben einen Sinn geben. Das Leben voranbringen, die Schule beenden, die Ausbildung, eine Karriere entwickeln. Sie sind in einer gespaltenen Situation.

Von der Inflation, der Pandemie und auch der Klimakrise sind aber doch auch ältere Menschen betroffen. Laut der Studienautoren ist diese Generation jedoch „krisenfest“ und stellt sich schon auf eine Verschlechterung ein. Lehnen sich die Älteren also gewissermaßen entspannt zurück und sagen: Die Krisen sind nicht mehr mein Problem?

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Die junge Generation hat das Leben noch vor sich. Sie sieht die Entwicklungen und, dass sie die nächsten Jahrzehnte mit ihnen konfrontiert sein wird. Drumherum muss sie ihr Leben strukturieren, ihre Zukunft basteln inmitten einer jugendlichen Aufbruchszeit. Die ältere Generation hat einen Großteil ihres Lebens bereits hinter sich. Sie hat nicht mehr diesen Zukunftsblick. Weil es ihr zum großen Teil schon gelungen ist, ihr Leben zu leben und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Die älteren Erwachsenen sehen die Probleme nicht mehr mit dieser zukunftsbezogenen Aufgeregtheit.

Während die 14- bis 29-Jährigen eher positiv in ihre persönliche Zukunft blicken, sehen sie häufiger schwarz für die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, das ist in der Jugendforschung ein bekanntes Phänomen. Wir haben es mit einer realistischen, pragmatischen Generation zu tun. Es war schon immer so, dass es einen gewissen Zukunftsoptimismus dafür gibt, das eigene Leben zu bewältigen, seinen Weg zu gehen und auch bei den Kompetenzen, die man sich zuschreibt.

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Handlungsohnmacht wird zur Belastung

Besonders unterscheidet sich der Studie zufolge die psychische Belastung der Genera­tionen: Während fast die Hälfte der jungen Befragten von viel Stress berichtet, ist es bei den 50- bis 69-Jährigen gerade einmal jeder Fünfte. Ist das so was wie ein „Post-Corona-Effekt“?

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Dieser Stress hat immer auch etwas mit Unsicherheit zu tun und einer Handlungsohnmacht. Es erfordert einen großen Aufwand, die Jugendzeit zu bewältigen. Corona hat die Belastung noch mal erhöht. Junge Menschen fragen sich stetig: Wie wird meine Zukunft? Bin ich in der Lage, diese zu bewältigen? Wenn das infrage gestellt wird, ist das ein Stressfaktor.

Welche Rolle spielt hierbei die Politik?

Die junge Generation muss den Eindruck haben, dass Politik in der Lage ist, Zukunft zu gestalten, die Probleme zu lösen. Ansonsten geht es nicht voran. Ein schlimmes Beispiel ist die Corona-Krise: Die Jugendlichen kritisieren massiv, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden worden ist, sie nicht gefragt worden sind. Dieser Vertrauensverlust, fehlende Mitbestimmungsmöglichkeiten und die Ohnmacht beobachten wir allerdings über alle Generationen hinweg.

Stimmen Sie den Autoren der „Jugend-in-Deutschland“-Studie darin zu, dass es keinen wirklichen Generationenkonflikt gibt?

Ja. Es gibt einen gemeinsamen Sorgenblick in Richtung Zukunft. Nehmen wir als Beispiel die Klimaaktivisten der Letzten Generation: Zwar haben die Älteren nicht unbedingt Verständnis für deren Aktionen, aber für deren Themen und Sorgen.

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Benno Hafeneger. Foto: Marijan Murat/Archivbild

Benno Hafeneger ist Professor an der Universität Marburg.

„Wichtig ist, dass sich dabei beide Generationen gegenseitig ernst nehmen“

Der Mythos der faulen Jugend, die nicht arbeiten möchte, stimmt laut Forschungs­ergebnissen nicht. Warum halten sich solche Vorurteile dennoch so hartnäckig?

Die erwachsene Generation hat, je älter sie wird, noch traditionelle Vorstellungen von Arbeit und Leistung: Dass es nur vorangeht, wenn alle regelmäßig und fleißig, sozusagen rund um die Uhr arbeiten. Das Bild hat sich bereits in der mittleren Generation verändert. Und die Jugend will einen Mix von Arbeit und Privatleben, also Freizeit und Lebensgenuss. Es ist keine Ablehnung von Arbeit, stattdessen hat sie nicht mehr nur einen instrumentellen Zweck. Statt nur ums Geldverdienen und Karrieremachen geht es nun auch um Selbstverwirklichung. Und um einen Sinn, den sich die jungen Menschen aber subjektiv selbst zusammenbasteln müssen.

Kommt daher auch die hohe Stressbelastung?

Die junge Generation steht unter Druck – und versucht deshalb, Stressfaktoren zu reduzieren. Sie fragen sich: Was genügt mir, um ein subjektiv glückliches Leben zu haben? Aus dem Dilemma kommt die junge Generation nicht raus.

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Gibt es also keinen Ausweg?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Jeder versucht, sein Leben so zu gestalten, dass es subjektiv passt. Auf der anderen Seite geht es um die Fragen: Wie organisiert unsere Gesellschaft Arbeit? Welche Regelungen muss es geben, um zum Beispiel Familie und Arbeit zu kombinieren?

Also geht es um Lösungssuche auf der individuellen und strukturellen Ebene.

Genau. Wichtig ist, dass sich dabei beide Generationen gegenseitig ernst nehmen, sich zuhören, irgendwie verstehen. Im Prinzip war es immer so, dass die erwachsene Generation hofft, dass es ihren Kindern besser geht. Dieser Zukunftsoptimismus ist seit längerer Zeit gebrochen. Das Motto ist eher: Wir können froh sein, wenn wir den Status quo erhalten. Das ist eine neue Herausforderung auch für die Erwachsenengeneration.

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