Neue Klimaziele der EU – die Vorschläge im Faktencheck
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Weniger fossile Brenn- und Kraftstoffe, mehr erneuerbare Energien: Das will die EU mit ihrem Plan „Fit for 55″ erreichen. Doch wie realistisch sind die Ziele?
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels geht, verfolgt die EU ein ehrgeiziges Ziel: Der Treibhausgasausstoß der Mitgliedsstaaten soll bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 sinken. Am Mittwoch hat die EU-Kommission unter dem Titel „Fit for 55″ ihre Vorschläge dazu vorgestellt. Doch wie realistisch sind diese Pläne? Die wichtigsten Vorhaben im Faktencheck.
Weg von den Verbrennern
EU-Ziel: Die Emissionen von Pkw sollen bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden. Bis 2035 sollen nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden.
Stimmen aus der Wissenschaft: Es ist die wohl umstrittenste Forderung. Aber: „Es ist umsetzbar“, sagte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Der Plan macht die Automobilindustrie zukunftssicherer. Es ist besser, in die Zukunft zu investieren als an einer gestrigen Technik festzuhalten“, sagte Dudenhöffer mit Blick auf das angekündigte Aus von Autos mit Verbrennungsmotor. Wichtig sei es, dass nun Taten auf die Pläne folgten. „Wir brauchen eine schnelle Umsetzung. Dann sind die Ziele gut.“
Prof. Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management an der Universität Bergisch Gladbach, sprach gegenüber dem RND von einer „herkulischen Herausforderung“ für die Automobilindustrie – für die auch die Rahmenbedingungen stimmen müssen. Das bedeutet: Die Ladeinfrastruktur der E-Autos muss beispielsweise weiter ausgebaut werden. „Ohne eine ausreichende Infrastruktur wird der Markthochlauf nicht so funktionieren, wie man sich das vorstellt“, sagte Bratzel. „Das ist bereits heute ein zentrales Hindernis.“
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Strom statt Diesel oder Super: Damit sollen die EU-Mitgliedsländer klimafreundlicher werden, fordert die EU (Archivbild).
© Quelle: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dp
Der Ausbau der E-Mobilität sei in den vergangenen Jahren zwar schon gut vorangekommen, aber er müsse jetzt forciert werden. Es brauche eine Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen, etwa von Energieversorgern und der Automobilindustrie, aber auch eine soziale Abfederung der Zuliefererindustrie. „Wir können das schaffen, wir müssen es auch schaffen“, so der Autoexperte. „Aber es ist nicht alles im Handumdrehen gemacht.“
Autohersteller investierten bereits in Elektromobilität und hätten mit einer Umsetzung der EU-Pläne Sicherheit. Audi will 2033 die letzten Verbrenner fertigen. Die Konzernmutter VW plant, in Europa zwischen 2033 und 2035 aufzuhören – in den USA, China und Südamerika später. 2026 soll noch eine Verbrennergeneration starten, regional kommt Biosprit als „Brückentechnologie“ dazu. Gerade wurde das Konzernziel beim E-Anteil 2030 auf 50 Prozent angepasst, bis 2040 sollen fast 100 Prozent der Neuwagen in großen Märkten emissionsfrei unterwegs sein.
Bei Mercedes-Benz soll die Flotte ab 2039 CO₂-Neutralität erreichen. Konzernchef Ola Källenius deutete an, dass man sich womöglich auch ambitioniertere Ziele geben könnte. Am 22. Juli will Källenius sich detaillierter zur Elektrozukunft des Konzerns äußern. Opel will 2028 in Europa nur noch E-Autos anbieten, Ford plant ab 2030 ausschließlich mit Stromern.
BMW hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens zur Hälfte rein elektrisch zu fahren. Einen klaren Termin zum Verbrennerausstieg gibt es indes nicht. Die wahren Entscheider seien die Kunden, erklärte Konzernchef Oliver Zipse. Wer sich zu schnell komplett vom Verbrenner verabschiede, gerate auf einen „unternehmerischen Schrumpfungskurs“.
Der deutsche Verband VDA gibt zu bedenken, dass das 55-Prozent-Ziel sehr hohe Anteile an E-Autos erfordert. So müssten bis Ende des Jahrzehnts in der ganzen EU knapp zwei Drittel der Neuwagen E-, Hybrid- oder Brennstoffzellen-Antriebe haben. Der Wert von null Gramm CO₂ ab 2035 für Hybride sei „innovationsfeindlich und das Gegenteil von technologieoffen“.
Mehr Ladesäulen für E-Autos
EU-Ziel: Die Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge soll ausgebaut werden: Bis Ende 2025 soll entlang der wichtigsten europäischen Schnellstraßen im Abstand von höchstens 60 Kilometern mindestens eine leistungsstarke Ladestation stehen.
Stimmen aus der Wissenschaft: Autofachmann Ferdinand Dudenhöffer hält einen deutlichen Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos für möglich. „Wenn das Aus für Verbrenner da ist, werden die Stromkonzerne mehr Ladesäulen aufbauen.“ Wichtig sei auch hier Planungssicherheit. Sollte es mehr E-Autos geben, wüssten die Stromkonzerne, dass ein Bedarf da ist.
„Das Ziel ist aus meiner Sicht gar nicht so schlecht, aber die Umsetzung muss gelingen“, mahnte Prof. Stefan Bratzel. Es gebe ein Wirkungsgefüge zwischen der Ladeinfrastruktur, der Reichweite und der Batterie: „Wenn es gelingt, eine dichte Ladeinfrastruktur zu errichten, dann braucht es Fahrzeuge mit gar nicht so einer großen Reichweite. Das bedeutet, die Batterie wird kleiner und das Auto günstiger.“
Drei Milliarden neue Bäume für die EU
EU-Ziel: Bis 2030 sollen in der Europäischen Union drei Milliarden Bäume gepflanzt werden.
Stimmen aus der Wissenschaft: Das könnte schwierig werden. „Die Bäume müssen als Wald gepflanzt werden“, sagte Michael Köhl, Professor für Forstwissenschaften an der Universität Hamburg. Auf einen Hektar Fläche könne man je nach Art 5000 bis 10.000 Bäume pflanzen. Bei drei Milliarden Bäumen ergibt das eine Fläche von 300.000 bis 600.000 Hektar – „die muss man erst mal irgendwo herbekommen“, so Köhl. Ein Problem sei, dass es freie Flächen häufig dort gebe, wo der Boden in einem schlechten Zustand ist, etwa, weil er sandig oder arm an Nährstoffen ist.
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Bis 2030 sollen nach Plänen der EU drei Milliarden neue Bäume gepflanzt werden. Reicht das aus? (Archivbild)
© Quelle: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentra
„Unter solchen Bedingungen haben die Bäume allerdings kein großes Wachstumspotenzial“, sagte Köhl. So entstehe wenig Biomasse und als Folge daraus wenig CO₂-Bindung. „Man kann auf diese Bäume nicht die durchschnittliche CO₂-Bindung europäischer Wälder übertragen. Die wird hier geringer sein.“
Zudem müsse klar sein, dass durch natürliche Selektion viele der gepflanzten Bäume im Laufe der Zeit wegfallen würden. „Die Zahl von drei Milliarden Bäumen klingt gut, aber es werden viel weniger bleiben.“ Von 10.000 gepflanzten Bäumen auf einem Hektar blieben je nach Art 300 übrig. Übertragen auf das EU-Ziel würden von ursprünglich drei Milliarden Bäumen nur noch 90 Millionen bleiben.
„Die Frage ist, ob das Geld nicht anders sinnvoller angelegt ist“, sagte Köhl. Es könne beispielsweise in die Stärkung bestehender Wälder investiert werden.
Mehr CO₂-Emissionen auffangen
EU-Ziel: Bis 2030 sollen durch natürliche Senken nun insgesamt 310 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen aufgefangen werden – mehr als ursprünglich geplant.
Stimmen aus der Wissenschaft: Das lässt sich aus Sicht von Professor Michael Köhl über zwei Möglichkeiten umsetzen: „Entweder der Wald wächst besser oder die Nutzung wird eingeschränkt.“ Beides bringt jedoch Probleme mit sich. Zwar seien die Wälder in Europa in den vergangenen Jahrzehnten besser gewachsen. „In den letzten Jahren ist das Wachstum durch die Dürre aber zurückgegangen“, so Köhl.
„Nach Einschätzungen von Klimaforschern müssen wir auch in den kommenden Jahren weiter mit Dürreperioden rechnen.“ Es sei also nicht sicher, dass über ein stärkeres Wachstum zusätzliche Emissionen aufgefangen werden können.
Die Nutzung von Holz einzuschränken könne kontraproduktiv sein. „Holz wird auch zum Bauen genutzt und verbraucht weniger CO₂ als andere Materialien“, sagte Köhl. „Jede Tonne CO₂, die man durch Holzernte aus dem Wald nimmt, spart mindestens eine Tonne CO₂-Emissionen durch Substitutionseffekte.“ Je nach Material, das statt Holz benutzt wird, könne auch deutlich mehr CO₂ eingespart werden. Schränkte man nun die Nutzung von Holz ein, führte das an anderer Stelle zu einer stärkeren CO₂-Belastung.
Mehr erneuerbare Energien
EU-Ziel: Erneuerbare Energien sollen bis 2030 rund 40 Prozent des Energiemixes der EU ausmachen.
Stimmen aus der Wissenschaft: „Das ist eine heftige Steigerung im Vergleich zum vorherigen Ziel von 32 Prozent, aber das Ziel ist absolut machbar“, sagte Professor Reimund Schwarze, Klimaökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Unter der Führung von Ursula von der Leyen seien deutlich höhere Ambitionen erkennbar als unter dem vorherigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.
Es gebe aber noch Unklarheiten, welche Energieformen überhaupt umweltfreundlich sind. Insgesamt habe die EU aber „saubere Ziele auf Basis der Wissenschaft“ formuliert.
Verschärfter und erweiterter Emissionshandel
EU-Ziel: Der Emissionshandel wird verschärft: Der Markt für Verschmutzungsrechte wird eingeschränkt. Daneben soll ein neuer CO₂-Rechtehandel eingeführt werden – für Verkehr und Gebäude.
Stimmen aus der Wissenschaft: „Die Verschärfungen sind relativ moderat“, sagte Klimaökonom Reimund Schwarze. Die Schritte seien wohl von vielen schon erwartet worden. Die Ausweitung folge nicht alleine über den Preis, es würden auch industriepolitische Zielvorgaben einbezogen.
„Die Maßnahmen sind gut und gehen in die richtige Richtung“, so Schwarze. Die wahre Neuerung gegenüber dem Bestehenden sei jedoch der neue CO₂-Rechtehandel in den Bereichen Verkehr und Gebäude. Das sei ein mutiger Schritt und berge großes Potenzial. „Die Ausweitung auf internationalen Verkehr ist eine Reform“, sagte Schwarze.
Hier täten sich allerdings auch neue Konfliktlinien mit internationalen Organisationen auf. „Ich erwarte langwierige Verhandlungen“, so Schwarze auch mit Blick auf die Gespräche zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. „Der neue Emissionshandel wird kommen, die Frage ist nur, ob er so kommt wie angekündigt.“
Es brauche preisliche Signale, entweder durch Subventionen oder eine Bepreisung fossiler Brennstoffe. Auch wenn etwa ab 2035 keine Verbrenner mehr zugelassen werden sollten, gebe es im Automobilbereich weiterhin riesige Bestände an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. „Die lassen sich nur mit einer Bepreisung abbauen.“
Insgesamt werde es nicht so schnell gehen, bis Veränderungen sichtbar seien. Trotzdem hält der Klimaökonom den geplanten Rechtehandel für einen richtigen Schritt.