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Kinderbücher jenseits klassischer Familien­modelle: ganz selbstverständlich?

Kinderbücher in der Mayer­schen Buch­handlung in Dortmund (Archivbild).

Kinderbücher in der Mayer­schen Buch­handlung in Dortmund (Archivbild).

Eigentlich hatte Alex einen klasse Kita-Tag. Doch als die Mutter das Kind abholt, läuft irgendwie alles schief, und es gibt jede Menge Geschrei.

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Das Bilderbuch „Alex, abgeholt“ (ab zwei Jahren) erzählt eine typische Alltags­situation. Betrachtet man das Buch von Danielle Graf, Katja Seide und Günther Seide, das vor Kurzem im Verlag Beltz & Gelberg erschienen ist, etwas genauer, fällt auf: Da sind nicht nur hell­häutige Vater-Mutter-zwei-Kinder-Familien zu sehen. Alex’ Freund etwa heißt Dinh und ist asiatischer Herkunft; Paul taucht mit seinen beiden Mamas auf, und auch sonst geht es in der Kita sehr vielfältig zu. Und das alles erscheint ganz selbst­verständlich.

Rund 9000 neue Kinder- und Jugend­bücher kommen in Deutsch­land jährlich auf den Markt. In jüngster Zeit erscheinen immer mehr Titel, in denen Figuren nicht uniform und Familien­konstel­lationen unterschiedlich sind. „Der Markt hat sich in jüngster Zeit extrem entwickelt“, sagt Christine Kranz, Referentin für Lese­förderung bei der Mainzer Stiftung Lesen.

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„Das Bewusstsein für Diversität wächst“

Ähnlich schätzt es Nina Horn, Verlags­leiterin bei Oetinger, ein: Die Zahl der diversen Kinder­bücher nehme zu, „weil das Bewusstsein für Diversität wächst“. Auch in dem Hamburger Kinder­buch­verlag stelle man sich die Frage, „wie wir in unseren Büchern die gesell­schaft­lichen Veränderungen abbilden können“.

Ein Beispiel, das bei jungen Lesern und Lese­rinnen gut ankommt, ist Oetingers Reihe „Familie Flickenteppich“ (ab acht Jahren) von Autorin Stefanie Taschinski und Illustratorin Ann-Kathrin Behl über eine bunt zusammen­gewürfelte Haus­gemeinschaft, in der viele der Bewohner und Bewohne­rinnen sich auch – auf unterhalt­same Weise erzählt – mit unterschied­lichsten Problemen herum­schlagen müssen.

Mit dem Leipziger Lesekompass der Mainzer Stiftung wurde jüngst die Neu­erschei­nung „School of Talents“ (ab acht Jahren) von Silke Schell­hammer und Simona M. Ceccarelli aus dem Carlsen Verlag ausgezeichnet – unter anderem wegen der „Vielfalt an Charakteren und Talenten“.

Manche Kinder­bücher reprodu­zieren rassis­tische Sprach­gewohnheiten

Doch nicht allen Eltern sowie Autoren und Autorinnen reicht das Angebot an unange­strengten Darstellungen vielfältiger Lebens­verhältnisse und unterschied­licher Figuren. Es sei immer noch zu gering, meint Esther Kalunge, die mit ihrem Unternehmen Kulkids Spiel­material und Bücher vertreibt. „Und es gibt leider auch immer noch viele Kinderbücher, die diskriminierende Darstellungen aufweisen oder rassis­tische Sprach­gewohnheiten reproduzieren.“

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Für die Tochter – Vater Thomas Kalunge hat dunkle Haut­farbe, Esther Kalunge ist weiß – hat das Ehepaar vor ein paar Jahren kaum deutsche Bilder­bücher entdeckt, in denen sie Identifi­kations­figuren für das Kind habe finden können. Mittlerweile organisiert das Paar Work­shops für Einrichtungen, die mit Kindern arbeiten. Dort sollen Grund­lagen vermittelt werden, um „den Alltag von Kindern divers, vorurteils­bewusst und diskrimi­nierungs­frei zu gestalten“, wie es auf der Homepage heißt.

Kalunges Anliegen ist, dass jedes Kind in Büchern und Spielen sein Spiegel­bild entdecken kann. Ähnlich sieht das Anna Lisicki-Hehn. „Jedes Kind sollte die Chance haben, sich in Kinder­büchern wieder­zu­finden“, sagt die Kölner Illustratorin und Texterin, die gerade über Crowd­funding ihr Buch „Mimi + der Bestimmer­tag“ herausgibt. Eine Geschichte wie bei „Mimi“, deren Mutter allein­erziehend ist, sei auch für alle Kinder, die klassisch mit Vater und Mutter aufwachsen, „eine tolle Möglichkeit, Neues zu entdecken und die eigene Empathie zu schulen“.

Manchmal bekommt man allerdings den Eindruck, dass einige Verlage am aktuell stark diskutierten Thema Diversität zwar mit­verdienen wollen, aber die Bücher weder sonderlich kreativ noch sorgfältig gemacht sind und in ihnen weitaus mehr behauptet, als selbst­verständlich und kind­gerecht erzählt wird. Diversität ist nicht normal, wenn sie zwar positiv dargestellt wird, aber letztlich doch etwas Besonders bleibt.

Kinder reagieren oft empfindlich auf unglaub­würdige Diversität

Man kann auch vieles falsch machen. Bei manchen Neu­erschei­nungen mag sich der Inklusions­beauftragte oder die LBGTQ-Aktivistin freuen. Doch Kinder, gerade Vielleser, reagieren oft empfindlich darauf, wenn sie den Eindruck bekommen, dass Figuren betont divers angelegt sind – wenn also in einer Geschichte partout ein Flüchtlings­kind, zwei schwule Papas und vielleicht noch ein Kind aus prekären Verhältnissen auftauchen.

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Für manche Bücher gelte: „Man spürt die Absicht und ist verstimmt“, sagt Christine Kranz. Die Expertin für Lese­förderung favorisiert Bücher, die mit Selbst­­verständ­lichkeit von anderen Lebens­welten erzählen. In Jessica Loves weithin beachtetem Bilderbuch „Julian ist eine Meer­jung­frau“ (ab vier Jahren, Knesebeck Verlag) zum Beispiel gehe es einfach nur um den Wunsch eines Jungen, sich in ein farbiges Meerjung­frauen­kostüm zu hüllen und damit in eigene Fantasie­welten einzutauchen.

Auch Esther Kalunge bevorzugt „Bücher, die darauf verzichten, etwas erklären zu wollen. In denen Kinder einfach durch die Sprache, Darstellung, Geschichte lernen, wie divers die Welt und wie bereichernd Vielfalt ist“. Ein diverses Kinder­buch zeichne sich dadurch aus, dass es seinem Publikum eine Heimat biete, in der es sich will­kommen und wahr­genommen fühle, sagt Oetinger-Verlags­leiterin Horn. „Wenn ich mich als Kind in einer fiktionalen Welt wiederfinde, weil dort meine Fragen an das Leben und die Welt behandelt werden, dann finde ich dort meinen Platz.“

Christine Kranz ist es sowieso wichtig, dass Geschichten „nicht so stark auf das Anders­sein abheben“. Vielmehr solle es um die individu­elle Persönlichkeit, die Talente und die Viel­schichtig­keit einer Figur gehen.

RND

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