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Forschende sprechen von „spannenden Befunden“

Lässt sich das Gehirn verjüngen? „Bahnbrechende“ Studie mit Mäusen liefert erste Hinweise

Mit zunehmendem Alter lässt die Gehirnleistung nach – in Experimenten mit Mäusen ließ sich die Hirnleistung nun wieder auffrischen. Ob sich aus den Erkenntnissen Therapiemöglichkeiten für den Menschen ableiten lassen, müssen weitere Experimente zeigen.

Mit zunehmendem Alter lässt die Gehirnleistung nach – in Experimenten mit Mäusen ließ sich die Hirnleistung nun wieder auffrischen. Ob sich aus den Erkenntnissen Therapiemöglichkeiten für den Menschen ableiten lassen, müssen weitere Experimente zeigen.

Hirnwasser von jungen Mäusen kann einer Studie zufolge das Gedächtnis alter Tiere wieder verbessern. Das berichtet ein internationales Forschungsteam nach zahlreichen Experimenten im Fachblatt „Nature“. Dabei identifizierte die Gruppe um Tony Wyss-Coray von der kalifornischen Stanford University einige der für diese „Verjüngung“ verantwortlichen Proteine. Gehirnwasser könnte möglicherweise in der Zukunft bei der Behandlung neurodegenerativer Krankheiten helfen, schreiben zwei Expertinnen in einem „Nature“-Kommentar. Deutsche Fachleute sind ebenfalls beeindruckt, auch wenn die Übertragbarkeit der Resultate auf den Menschen fraglich ist.

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Die Alterung des Gehirns sei eine Ursache unter anderem von Demenz und bürde der Gesellschaft eine immense Last auf, schreibt das Forschungsteam, dem auch Wissenschaftler der Universität des Saarlandes angehören. Die Studienautorinnen und ‑autoren gehen davon aus, dass gerade Gehirnwasser (Zerebrospinalflüssigkeit – CSF –, auch Liquor genannt) etliche Stoffe enthält, die für die Reifung und die Funktion von Gehirnzellen wichtig sind. Allerdings verändere sich die Zusammensetzung der Flüssigkeit im Alter: Entzündungs­proteine häufen sich, Wachstumsfaktoren nehmen ab.

Reizleitung wird besonders stark beeinflusst

In der Studie verabreichte das Team alten Mäusen, die etwa 20 Monate alt waren, eine Woche lang Gehirnwasser von zehn Wochen jungen Tieren direkt ins Gehirn. Drei Wochen später prüfte die Gruppe das Erinnerungsvermögen der Mäuse – allerdings mit einem eher simplen Test.

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Alle Tiere waren vor der Behandlung so konditioniert worden, dass sie einen Ton und ein aufleuchtendes Licht mit einem elektrischen Schlag verbanden. Drei Wochen nach der Therapie reagierten die mit dem Gehirnwasser von Jungtieren behandelten Mäuse stärker auf den Warnton und das Licht als die Tiere aus der Kontrollgruppe. Daraus leitet das Team ab, dass sich diese Mäuse besser an den Ton und das Licht erinnerten, die vorher elektrische Schläge angekündigt hatten. Ähnliche Effekte stellte das Team auch dann fest, wenn es den alten Mäusen Liquor von jungen, etwa 25 Jahre alten Menschen verabreichte.

Weitere Analysen zeigten, dass das Gehirnwasser eine Zellgruppe besonders stark beeinflusste: die sogenannten Oligodendrozyten. Diese Zellen produzieren den Stoff Myelin, der die Nervenfasern ummantelt und wichtig für die Reizleitung ist. Bei der Autoimmun­erkrankung multiple Sklerose zerstört die Körperabwehr die Myelinhüllen der Nervenzellen, was etwa zu Störungen von Bewegung und Wahrnehmung führen kann.

„Bahnbrechende Studie“ für Hirn- und Altersforschung

Den Forschenden zufolge ließ das Gehirnwasser bei den alten Mäusen im Hirnareal Hippocampus, das für das Erinnerungs­vermögen zuständig ist, gehäuft Oligodendrozyten-Vorläuferzellen (Oligodendrocyte Precursor Cells – OPCs) reifen und verstärkte so auch die Bildung von Myelin.

Bei der Untersuchung der im Gehirnwasser enthaltenen Stoffe stieß das Team vor allem auf den Wachstumsfaktor Fgf17 (Fibroblast Growth Factor 17), der von älteren Mäusen nur noch eingeschränkt produziert wird. Auch wenn die Forschenden alten Mäusen nur diesen Wachstumsfaktor gaben, besserte sich ihre Gehirnleistung. Umgekehrt schwächte die Blockierung des Proteins durch einen Antikörper bei jungen Tieren das Erinnerungs­vermögen.

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Fgf17 kommt auch beim Menschen vor und erfüllt etliche Funktionen. Der Fgf-Signalweg sei entscheidend für die Entwicklung von Oligodendrozyten, betonen die Forschenden. In ihrem „Nature“-Kommentar schreiben Miriam Zawadzki und Maria Lehtinen vom Boston Children’s Hospital von einer bahnbrechenden Studie für die Hirn- und Altersforschung.

Direkte Therapie für den Mensch ergibt sich noch nicht

Auch deutsche Fachleute sind beeindruckt: „Dies sind sehr spannende Befunde, weil sie zeigen, dass auch ältere Gehirne noch ein Potenzial haben, sich wieder etwas zu verjüngen, wenn sie denn die richtigen Signale bekommen“, sagt der Dresdner Neurologe Gerd Kempermann, Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). „Wissenschaftlich gesehen ist besonders spannend, dass eine besondere Gruppe von Hirnzellen, denen schon länger ein großes Potenzial zur Plastizität zugeschrieben wird, auf die Signale reagiert.“

Allerdings sei weitgehend unklar, wie sich dieser Befund im Detail auf den Menschen übertragen lässt – nicht zuletzt, weil auch ein sehr altes Mausgehirn noch viele Jahrzehnte jünger sei als ein altes menschliches Gehirn. Eine direkte Therapie ergebe sich daher noch nicht, betont Kempermann. „Aber unser Wissen über die Potenziale zur Anpassungsfähigkeit und ‚Verjüngung‘ des Gehirns im Alter wächst.“

Auch der Hirn- und Altersforscher Matteo Bergami lobt die Studie: „Die gezeigten Experimente liefern eindeutige Nachweise für eine verbesserte Plastizität der OPCs und der Hippocampus-Gehirnschaltkreise durch die Supplementierung mit jungem Gehirnwasser beziehungsweise den spezifischen darin enthaltenen Faktoren“, betont der Experte von der Universität Köln. „Wenn diese Ergebnisse in weiteren Arbeiten bestätigt werden, gehen sie über den altersbedingten kognitiven Verfall hinaus, da sie auch eine wichtige therapeutische Anwendbarkeit bei Entmarkungs­krankheiten wie der multiplen Sklerose haben könnten.“

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RND/dpa

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