Kinderpornografie: Wer sind die Täter?
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Die Polizei deckt heute doppelt so viele Fälle von Kinderpornografie auf wie noch vor zwei Jahren.
© Quelle: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Rund 39.000 Fälle von Kinderpornografie wurden laut Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr aufgedeckt: Als Kinderpornografie gilt dabei nicht nur das Produzieren von Darstellungen sexuellen Missbrauchs, sondern auch solche zu erwerben, zu besitzen oder zu verbreiten. Bei den Missbrauchstätern werde zwischen „Hands on“-Tätern, die Kinder aktiv körperlich missbrauchen, und „Hands off“-Tätern unterschieden, die ohne körperlichen Kontakt Kinder missbrauchen, erklärt Jürgen Leo Müller. Er ist Professor für forensische Psychiatrie an der Universitätsmedizin Göttingen.
Für alle Missbrauchstäter gelte, dass nur höchstens die Hälfte von ihnen die wissenschaftlichen Kriterien für Pädophilie erfüllt. „Die diagnostischen Kriterien für Pädophilie besagen, dass das sexuelle Verlangen ausschließlich oder überwiegend auf Kinder ausgerichtet ist. Sehr viele der Missbrauchstäter erfüllen aber dieses Kriterium gar nicht“, sagt Müller. Stattdessen hätten viele von ihnen Partnerschaften zu erwachsenen Frauen und sogar eigene Kinder.
Kindesmissbrauch im Raum Köln: Ermittlungen in mehr als 70 Fällen
Haupttatverdächtig ist ein verheirateter 44-Jähriger aus Wermelskirchen. Ermittlungen gegen weitere 72 Tatverdächtige in 14 Bundesländern wurden aufgenommen.
© Quelle: Reuters
Auch andere Formen von psychischen Störungen würden bei der überwiegenden Zahl der Täter nicht festgestellt. „Die meisten gelten daher vor Gericht als voll schuldfähig“, so Müller. Eine sadistische Neigung, also Erregung durch das Leid anderer Menschen, sei bei den allermeisten auch nicht die Hauptmotivation. „Es mag vielleicht in einigen Fällen eine Rolle spielen, aber nicht bei der Mehrheit.“ Als erregend empfänden Konsumenten und Produzenten von Kinderpornografie den präpubertären Körper. „Dabei kann es eine Fixierung auf bestimmte Altersgruppen geben, bis hin zu ganz kleinen Kindern. Ein echter Kernpädophiler verliert das Interesse an seinem Missbrauchsopfer, wenn es der von ihm bevorzugten Altersgruppe entwächst.“
Täter und Konsumenten sind kaum zu trennen
Kinderpornografie werde von Netzwerken produziert und verbreitet: Hierbei sei es schwer möglich, zwischen Tätern und Konsumenten zu trennen, da viele Konsumenten durch den Tausch und die Weiterverbreitung des Materials zu Mittätern werden, sagt Müller. Es gebe zudem auch Einzeltäter, die sich über Onlinechats an Kinder heranmachen und diese zu sexuellen Handlungen auffordern. Der Missbrauch finde sowohl an fremden Kindern als auch im Familienrahmen statt, Frauen seien dabei nur selten beteiligt und bekämen oft wenig davon mit. Ein bekannter Risikofaktor für missbräuchliches Verhalten gegen Kinder seien Opfererfahrungen in der Kindheit: „Schätzungen zufolge haben etwa 30 Prozent der Täter in ihrer Kindheit selbst Missbrauchs- und Gewalterfahrungen gemacht“, sagt Müller.
Manche Täter entwickeln, wenn sei aufgeflogen sind, große Schuldgefühle und zeigen echte Reue.
Empfinden die Täter Schuld für das, was den Kindern angetan wird oder sie ihnen sogar selber antun? Das ist sehr unterschiedlich, sagt Müller. „Es gibt Täter, die rechtfertigen den Missbrauch und sagen, das sei beispielsweise gar nicht so schädlich oder sei sogar ein Beitrag zur kindlichen Entwicklung.“ Das nenne man kognitive Verzerrungen. Es gebe aber auch andere Fälle: „Manche Täter entwickeln, wenn sie aufgeflogen sind, große Schuldgefühle und zeigen echte Reue.“
An Pädophile und mögliche Täter, bei denen ein Unrechtbewusstsein vorhanden ist und die den Wunsch zu einer Behandlung haben, richten sich heute Präventionsprogramme. Auch Müller und seine Kollegen und Kolleginnen an der Universitätsmedizin in Göttingen hatten zehn Jahren lang solche Programme angeboten. In Einzel- und Gruppensitzungen wird dabei erarbeitet, welche persönlichen Risikofaktoren es gibt, die jemanden zum Täter werden lassen. Und es werden „Coping-Strategien“ erlernt: Techniken und Verhaltensweisen, mit denen jeder selbst erneute Übergriffe verhindern kann und vermeiden kann, sich in Risikosituationen zu begeben.
Potentiellen Tätern Therapieangebot machen
Leider seien Täter, bei denen aktuelle Ermittlungen eingeleitet worden seien in vielen Präventionsprogrammen von der Teilnahme ausgeschlossen: „Es wird dann beispielsweise vermutet, dass sie nur mitmachen, um eine Strafmilderung zu erreichen“, sagt Müller. Die Teilnahme an einem Präventionsprogramm sei aber auch bei einer Tätervergangenheit wichtig, um Rückfälle zu verhindern. „Das wichtigste, was zu tun ist, ist potentiellen Tätern frühzeitig ein Therapieangebot zu machen. Insgesamt sind solche Angebote in Deutschland noch ausbaufähig“, sagt Müller.
Wie effektiv genau das in Göttingen inzwischen ausgelaufene Präventionsprogramm gewesen sei, lasse sich nicht umfänglich einschätzen, da nicht alle Daten zu Rückfällen und möglichen Delikten zugänglich seien. „Nach einer Selbsteinschätzung der Teilnehmer empfanden sie die Prävention aber als schützend und für ihr Leben hilfreich“, sagt der Professor. Eine genauere Evaluation soll hingegen bald zum Onlineangebot My-Tabu erhoben werden, einem BMBF geförderten Onlinepräventionsprogramm der Universitätsmedizin Göttingen und anderer Universitäten, das verurteilten Tätern über Bewährungshelfenden vermittelt wird. Ein weiteres ebenfalls BMBF geförderten Angebot der Universitäten Flensburg, Berlin und Göttingen soll helfen, Kindesmissbrauch schneller zu erkennen und richtet sich an Lehramtsstudenten und -studentinnen: Die Lehrkräfte sollen darin geschult werden, Kinder in Verdachtsfällen richtig anzusprechen.
Die bekannt gewordenen Fälle von Kindesmissbrauch und insbesondere Kinderpornografie haben sich im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020 mehr als verdoppelt. Das Bundeskriminalamt weist allerdings darauf hin, dass dies in erster Linie mit einer besseren Ermittlungsarbeit zusammenhängt. Auch Müller glaubt nicht, dass sich dahinter ein massiver Anstieg der Taten verbirgt. Es sei vielmehr zu berücksichtigen, dass die Polizei inzwischen viel besser für Ermittlungen im digitalen Bereich geschult ist und wahrscheinlich so deutlich mehr Fälle aufgedeckt werden. Auch müssten die Auswirkungen von Gesetzesänderungen auf die Statistik bedacht werden.
Es gibt ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot für Menschen, die therapeutische Hilfe suchen, weil sie sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Auf der Seite www.kein-taeter-werden.de finden Sie Informationen zu Anlaufstellen in ganz Deutschland.
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