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Paläontologe zur Erforschung des urzeitlichen Ökosystems

„Jeder Fund ist ein kleines weiteres Puzzleteil“

Wie lässt sich ein urzeitliches Ökosystem rekonstruieren? In seinem Buch „Urwelten“ widmet sich der britische Paläontologe Thomas Halliday dem System aus 500 Millionen Jahren Erdgeschichte.

Wie lässt sich ein urzeitliches Ökosystem rekonstruieren? In seinem Buch „Urwelten“ widmet sich der britische Paläontologe Thomas Halliday dem System aus 500 Millionen Jahren Erdgeschichte.

Herr Halliday, es gibt viele Bücher über Dinosaurier und andere ausgestorbene Tiere. Warum schreiben Sie über die urzeitlichen Ökosysteme?

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In der Wissenschaft hat die Betrachtung prähistorischer Ökosysteme in den vergangenen Jahrzehnten immens an Bedeutung gewonnen. Es werden nicht mehr nur neue Saurier oder prähistorische Säugetiere beschrieben, sondern eben auch die großen Fragen nach Nahrungsketten und Verwandtschaft, Wechsel­beziehungen zwischen Flora und Fauna oder eben nach dem Klima beantwortet. Dieses Umdenken innerhalb der Paläontologie wollte ich in meinem Sachbuch einer breiten Öffentlichkeit näherbringen.

Welche Informationen braucht es, um ein prähistorisches Ökosystem zu rekonstruieren?

Im besten Fall finden wir nicht nur die versteinerten Überreste von vielen unterschiedlichen Lebewesen, sondern auch von Pflanzen. So lassen sich zum Beispiel ungefähre Nahrungsnetze erkennen. Außerdem müssen wir wissen, wie die Landschaft einst aussah und welches Klima herrschte. Hierzu geben die Gesteinsschichten wertvolle Hinweise. Manchmal lassen sich sogar einzelne Geräusche rekonstruieren. Zum Beispiel wurden Fossilien von 165 Millionen Jahre alten Grillen entdeckt. Ihre Beine hatten bereits eine ähnliche Struktur wie die von heutigen Grillen. Vermutlich machten sie also auch schon die gleichen zirpenden Geräusche. Die Rekonstruktion eines urzeitlichen Ökosystems gleicht also einem unvollständigen Puzzle mit sehr vielen Teilen. Wir werden nie alles verstehen, aber es gibt erstaunliche Details, die entdeckt werden können und Teile dieses Puzzles ausfüllen.

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Thomas Halliday ist Paläontologe und Evolutionsbiologe. Er hat ein Leverhulme Early Career Fellowship an der Universität von Birmingham inne und arbeitet zudem für das Natural History Museum. 2016 erhielt er die John-C.-Marsden-Medaille der Linnean Society, 2018 gewann er die Hugh Miller Writing Competition. Sein Buch „Urwelten – Eine Reise durch die ausgestorbenen Ökosysteme der Erdgeschichte“ (464 Seiten, 28 Euro), von Hainer Kober aus dem Englischen übersetzt, ist im Hanser-Verlag erschienen.

Thomas Halliday ist Paläontologe und Evolutionsbiologe. Er hat ein Leverhulme Early Career Fellowship an der Universität von Birmingham inne und arbeitet zudem für das Natural History Museum. 2016 erhielt er die John-C.-Marsden-Medaille der Linnean Society, 2018 gewann er die Hugh Miller Writing Competition. Sein Buch „Urwelten – Eine Reise durch die ausgestorbenen Ökosysteme der Erdgeschichte“ (464 Seiten, 28 Euro), von Hainer Kober aus dem Englischen übersetzt, ist im Hanser-Verlag erschienen.

Gibt es besonders geeignete Fundstellen für Ihre Arbeit?

Ein Glücksfall sind prähistorische Vulkanausbrüche. In der Asche bleiben die Tiere und Pflanzen besonders gut erhalten. Teilweise finden wir dort feinste Strukturen von Haut, Federn oder Rinden. So stammen aus der Provinz Liaoning in China die schönsten Fossilien von gefiederten Dinosauriern und frühen Säugetieren. Manche von ihnen sind so gut erhalten, dass sich sogar die Farbe der Federn nachweisen lassen. Es ist, als hätten wir ein sehr detailliertes Foto aus dieser Zeit, ein perfekter Moment, aufgenommen durch einen Vulkan.

Das Interesse an neu entdeckten Dinos oder Mammutknochen ist groß. Wie wichtig sind diese einzelnen Entdeckungen für das Verständnis eines ganzen Ökosystems?

Jeder neue Fund hilft uns, die prähistorische Welt ein wenig besser zu verstehen. Aber natürlich reicht ein einzelnes Tier nicht aus, um ein gesamtes Ökosystem zu beschreiben. Es ist eher ein kleines, weiteres Puzzleteil. Gleichzeitig kann ich gut verstehen, dass ein neu entdeckter Dinosaurier in der breiten Öffentlichkeit mehr Begeisterung auslöst als eine Studie über Verwandtschaftsverhältnisse oder die klimatischen Veränderungen vor vielen Millionen Jahren. Andererseits helfen uns genau diese Erkenntnisse, mehr über die Lebensweise von Dinosauriern und Co. zu verstehen.

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Inwiefern profitiert die Paläontologie von modernen Technologien?

Dank neuer Technologien verstehen wir die prähistorischen Welten deutlich besser und können komplexere Fragen stellen. Ein Beispiel dafür ist die Analyse von komplexen Verwandtschaftsverhältnissen. Oft kennen wir einige Hundert verschiedene Arten innerhalb einer Tiergruppe und wollen genauer wissen, wie sie miteinander verwandt sind. Die Kombinationsmöglichkeiten sind dabei gigantisch, und es braucht gute Algorithmen und viel Rechnerpower. Eine weitere Schlüsseltechnologie für unsere Arbeit ist das Scannen von Fossilien. Dank Computertomografien und Co. können wir Fossilien heute viel genauer und auch noch zerstörungsfrei untersuchen. Dadurch eröffnen sich auch neue Perspektiven, zum Beispiel auf die Haut oder Farbe von urzeitlichen Tieren.

Gibt es Fragen, die für immer unbeantwortet bleiben werden?

Wir sind in unseren Quellen begrenzt. Wir brauchen Gesteinsschichten, die zugänglich sind und in denen wir Fossilien finden. Manchmal liegen die kilometertief in der Erde oder mitten im Meer. Gesteinsschichten, die eine lange Zeit lückenlos abbilden, sind immens selten. Aus Indien kennen wir zum Beispiel tolle Dino-Fossilien, aber fast gar keine Funde aus dem Paläozän, also aus der Zeit direkt nach dem Aussterben der Saurier. Dieses Zeitintervall ist immens wichtig für die Evolution der Säugetiere. Damals war Indien eine Insel, und Lebewesen könnten sich anders entwickelt haben als im Rest der Welt. Ohne Fossilien wissen wir aber nicht, wie. Außerdem werden tote Tiere nicht in jeder Umgebung zu Fossilien. In Gebirgen werden ihre Körper schlechter begraben, auch in Wäldern vergammeln tote Tiere und Pflanzen schnell. Aus einem großen Teil dieser prähistorischen Ökosysteme gibt es also keine versteinerten Spuren. Auch wenn wir ständig Neues entdecken, bleibt der größte Teil prähistorischer Welten doch für immer verborgen.

Solche Funde begeistern nicht nur die Fachwelt: Der Dinosaurierembryo Baby Yingliang, der in China gefunden wurde, ist wohl 66 bis 72 Millionen Jahre alt.

Solche Funde begeistern nicht nur die Fachwelt: Der Dinosaurierembryo Baby Yingliang, der in China gefunden wurde, ist wohl 66 bis 72 Millionen Jahre alt.

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Ist es schwieriger, 500 Millionen Jahre alte Ökosysteme zu erforschen als solche, die nur 50 oder zehn Millionen Jahre alt sind?

Wir haben viel weniger Fossilienfundstellen aus älteren Erdzeitaltern. Oft haben sie die lange Zeit im Stein nicht überlebt. So wird ein globales Bild der verschiedenen Ökosysteme schwieriger, und unser Blick ist stärker auf besonders gut erhaltene Fundstellen fokussiert. Ein weiterer Vorteil an Ökosystemen aus jüngerer Vergangenheit ist die größere Vergleichbarkeit mit heutigen Tieren oder Pflanzen. Ein Mammut ist eben mit heutigen Elefanten verwandt, und daher lassen sich Gemeinsamkeiten ableiten. Auch Vögel und ihre nahe Verwandtschaft zu Dinosauriern können uns erste Hinweise auf ihr Verhalten, zum Beispiel bei der Brutpflege mancher Arten, geben. Verlässlicher sind dagegen die Aussagen über das Klima in den einzelnen Erdzeit­altern. Temperaturen, die Kohlenstoffdioxidkonzentration oder der Wechsel von Regenzeiten und Hitze­perioden hinterlassen ihre Spuren im Gestein, außerdem sind die physikalischen Gesetzmäßigkeiten bis heute gleich geblieben.

Was lernen wir durch die Betrachtung vergangener Ökosysteme über unsere Zukunft?

Der Blick auf die Vergangenheit tut unserer Perspektive auf die Welt gut. Leben basiert ganz grundsätzlich auf den immer gleichen Regeln. Gleichzeitig haben sich die Ökosysteme und ihre Bewohner in den Millionen von Jahren stark verändert. Arten verschwanden, neue kamen. Kein ausgestorbenes Lebewesen kam zurück, was folgte, war immer anders. Auch nach uns Menschen wird es Leben auf der Erde geben, wie es aussieht, lässt sich nur schwer sagen. Früher verschwanden Ökosysteme durch Naturkatastrophen und Klimaveränderungen. Diesmal tragen wir Menschen die größte Verantwortung. Das sollte uns zu denken geben und Motivation genug sein, das Ruder noch herumzureißen.

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