Vorkasse bei Flugtickets: Was dafür und was dagegen spricht
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VXXPFJZLIJFJVB5UYVOUXPGWTI.jpg)
Müssen Reisende ihre Flugtickets künftig erst beim Check-in bezahlen?
© Quelle: IMAGO/Kirchner-Media
Frankfurt am Main. Niedersachsens Landesregierung will angehen, was Fluggäste sowie Verbraucherschützerinnen und ‑schützer seit Jahren nervt: die Vorkasse für Flugtickets. Diese Art der Vertragsgestaltung habe „vielfach zu erheblichen Schwierigkeiten für Reisende geführt, wenn Flüge nicht wie geplant durchgeführt worden sind“, heißt es laut dpa in einem Papier, das das Kabinett in Hannover am Dienstag beschließen will. Das Thema soll Mitte September im Bundesrat diskutiert werden. Künftig soll erst beim Check-in der Passagiere gezahlt werden. Die Lufthansa lehnt dies ab.
Hintergrund sind Tausende Stornierungen in diesem Sommer. Alle Airlines müssen Verbindungen streichen, weil es vor allem an Personal fehlt. In der Regel werden die Tickets unmittelbar nach der Buchung bezahlt – das kann bei Urlaubsreisen viele Monate im Voraus bedeuten. Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sagte dem Handelsblatt, die Flugausfälle gingen fast immer zu Lasten der Reisenden. Die Kundinnen und Kunden müssten sich bei Stornierungen mühsam und teilweise langwierig um eine Rückerstattung bemühen.
Ein Sprecher der Lufthansa sagte hingegen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland: „Trotz der vielen Flugplanänderungen leisten wir die Erstattungen nahezu vollständig in der vorgegeben Frist von nur sieben Tagen. Insofern gibt es für diese politische Initiative keinen Anlass.“ Er fügt hinzu: „Zudem stellt sich die Frage, ob es im Interesse von Fluggästen ist, durch ein Verbot der Vorkassepraxis de facto die günstigeren Frühbuchertarife einzuschränken.“
In der Airlinebranche wurde ein Vorstoß à la Althusmann bereits erwartet. „Die Bundesregierung beobachtet sehr genau, wie schnell die Rückzahlungen geleistet werden“, sagt ein Insider. Davon habe man in den Ressorts für Verkehr und Verbraucherschutz abhängig gemacht, ob das Prinzip Vorkasse angegangen werde. Dass die Initiative nun aber aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium kommt, dürfte auch damit zusammenhängen, dass Althusmann bei der Landtagswahl am 9. Oktober als Spitzenkandidat der CDU antritt.
Indes hatte sich auch Ramona Pop, Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV), schon Ende Juli für die Abschaffung der Vorauszahlungen starkgemacht. Für den Verband sind die Gepflogenheiten der Airlines seit Jahren ein rotes Tuch. Die Verbraucherschützer verweisen dabei immer wieder auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das dort verankerte werkvertragliche Prinzip. Demnach fällt eine Vergütung erst an, wenn die vereinbarte Leistung erbracht ist – das wäre eigentlich sogar erst nach der Landung des Fliegers der Fall.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Die Leute vom VZBV gehen davon aus, dass die Fluggäste mit ihren Vorauszahlungen de facto zinslose Kredite gewähren, mit denen die Unternehmen ihre Liquidität sichern und/oder verbessern können. Theoretisch könnten die Airlines das Geld sogar für Wochen und Monate anlegen und damit Gewinne erwirtschaften.
Bisher gilt eine Ausnahme für Fluggesellschaften
Schon 2021 hatte der VZBV eine Kampagne mit dem Ziel gestartet, dass der „Flugpreis frühestens bei Flugantritt fällig wird“. Dies sollte auch entsprechend im BGB ausdrücklich festgelegt werden. Ergänzt durch den Hinweis, dass Abweichungen von diesen Regelungen zu Lasten des Reisenden nicht zulässig seien. Diese Gesetzesänderungen wären nötig, weil der Bundesgerichtshof 2016 in einem umstrittenen Urteil entschieden hatte, dass nach geltendem Recht für Fluggesellschaften eine Ausnahme von Werksvertragsprinzip gelte, da die Firmen von den Behörden besonders streng beaufsichtigt würden und deshalb die Risiken einer Insolvenz besonders gering seien – was inzwischen nach dem Zusammenbruch zahlreicher Airlines widerlegt sein dürfte.
Bei dieser Diskussion darf aber nicht vergessen werden: Tickets, die erst bei Reiseantritt bezahlt werden, gab es schon immer. Schließlich kann sich der Kunde einen Sitzplatz am Airport noch kurz vor dem Abflug kaufen, sofern noch einer frei ist. Das späte Bezahlen ist zudem bei der geschäftlichen Fliegerei von Mitarbeitern großer Firmen üblich, weil es hier häufig zu kurzfristige Änderungen in den Terminplänen gibt. Diese Tickets sind aber auch besonders teuer: Mit den höheren Tarifen finanzieren die Airlines Sitzplätze, die kurzfristig leer bleiben.
Auch die Branchenlobby BDL weist derweil darauf hin, dass die Vorauszahlung „finanzielle Planungssicherheit“ bringe. Dies ermögliche, dass die Airlines „eine hohe Auslastung der Flugzeuge erreichen und den Verbrauchern im Gegenzug preiswerte Tickets über Frühbucherrabatte anbieten“. Wie stark dieser finanzielle Aspekt zu Buche schlägt, ist umstritten. Der VZBV hat in seiner 2021-Kampagne zwar eingeräumt, dass Airlines sich zusätzliches Geld bei Banken leihen müssten, wenn die Vorkasse wegfalle. Aber: „Selbst bei einer vollständigen Überwälzung auf die Fluggäste würden sich die Preise um nicht mehr als 3,3 Prozent erhöhen.“
Diese Berechnungen werden in Luftfahrtkreisen bestritten – auch weil der Aspekt der höheren Planungssicherung inklusive hoher Auslastung der Flieger, was auch der Umwelt zugutekomme, dabei nicht berücksichtigt werde. Zudem wird angemahnt, dass bei einem Verbot der Vorkasse in der Luftfahrt dies auch für zahlreiche andere Branchen nachvollzogen werden müsse – ein prominentes Beispiel ist der Onlinehandel.
Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter