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Vodafone-Chef: „Vier Millionen Mobilfunk­kunden könnten plötzlich in einem Funkloch leben“

Hannes Ametsreiter, Vorstandsvorsitzender von Vodafone Deutschland.

Hannes Ametsreiter, Vorstandsvorsitzender von Vodafone Deutschland.

Frankfurt. Hannes Ametsreiter (Jahrgang 1967) ist seit Oktober 2015 Geschäftsführer von Vodafone Deutschland und zugleich Mitglied des Konzernvorstandes der Vodafone-Gruppe. Der Telekommunikationskonzern ist hierzulande einer der drei Mobilfunknetzbetreiber.

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Im RND-Interview schlägt er einen neuen Weg bei der Neuvergabe von Funkfrequenzen vor, deren Nutzungsrechte 2025 auslaufen: die bestehenden Lizenzen für die drei bisherigen Netzbetreiber (Vodafone, Deutsche Telekom, Telefonica) einfach verlängern. Das werde Deutschland helfen, beim Mobilfunk den Aufstieg „vom Mittelfeld in die Champions League“ zu schaffen.

Ametsreiter verspricht vor allem eine bessere Versorgung der Nutzer in ländlichen Regionen, da die Unternehmen viel Geld für den Erwerb von Lizenzen einsparen könnten. Diese Mittel würden dann in den Netzausbau fließen. Bei den Lizenzen sind Funkfrequenzen im Bereich von 800 Megahertz besonders wichtig, da sie wegen ihrer großen Reichweite für die Versorgung des ländlichen Raums von großer Bedeutung sind.

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Die Bundesnetzagentur hat als Aufsichtsbehörde fünf Szenarien zur Zukunft dieser Frequenzrechte zur Diskussion gestellt. Bis zum 23. August können Unternehmen aus der Branche ihre Kommentare dazu abgeben.

Herr Ametsreiter, erst 2019 wurden Mobilfunkfrequenzen versteigert. Sie machen sich schon jetzt Gedanken über die Auktion, die in einigen Jahren erst kommen könnte. Was treibt Sie um?

In den kommenden Monaten entscheidet sich Deutschlands digitale Zukunft. Es geht es um die Frage: Wie werden Mobilfunkfrequenzen künftig vergeben? 2023 rücken besonders wichtige Frequenzen in den Fokus. Die Politik muss jetzt eine richtungsweisende Entscheidung treffen: Wollen wir einen Auktionsmarathon oder einen Ausbauantrieb? Entscheiden wir uns erneut für einen Auktionsmarathon, könnte die digitale Spaltung zwischen Stadt und Land nicht kleiner, sondern deutlich größer werden.

In der Vergangenheit waren die Frequenzversteigerungen teils sehr spektakuläre Aktionen.

Spektakulär, aber leider auch sehr teuer. Die Telekommunikationsanbieter haben in Deutschland in etwas mehr als 20 Jahren fast 70 Milliarden Euro nur für Lizenzscheine ausgegeben, mehr als in jedem anderen europäischen Flächenland. Von dem Geld könnte man 150.000 Einfamilienhäuser bauen. Oder 300.000 neue Mobilfunkstationen – damit gäbe es hier in Deutschland so viele Funkmasten wie in den USA, wo deutlich mehr Fläche abgedeckt werden muss. Wir hätten keine Funklöcher mehr.

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Einspruch. Wäre nicht zumindest ein größerer Anteil dieses eingesparten Geldes genutzt worden, um Gewinne zu erhöhen und Dividenden für die Aktionäre zu steigern?

Unser erstes Ziel sind gute Netze. Ohne die keine Kunden. Und ohne Kunden keine Dividende. Für die Zukunft bräuchte es klare und realistische Rahmenbedingungen. Man könnte vereinbaren, dass die Mobilfunkunternehmen Geld, das bei den Funklizenzen eingespart wird, direkt in den Ausbau der Netze investieren, um zusätzliche Masten auf dem Land zu bauen und auch in der Fläche eine bestimmte Qualität im Mobilfunk zu erreichen.

Bei der Neuvergabe der Lizenzen ist eine Reihe von Optionen möglich. Was droht im schlimmsten Fall den Verbrauchern und drei aktiven Netzbetreibern – Vodafone, Deutsche Telekom und Telefonica? Kann es so weit kommen, dass die Versorgung von ländlichen Regionen zusammenbricht?

Wenn man die so wichtigen Flächenfrequenzen im 800-Megahertz-Bereich nach bekanntem Auktionsverfahren vergäbe, könnte nicht nur extrem viel Geld verloren gehen, das später für neue Stationen fehlt. Noch viel schlimmer: Die Mobilfunknetze in Deutschland könnten sogar deutlich langsamer werden als bislang. Die Flächenfrequenzen sind das Fundament für die Versorgung in ländlichen Gebieten und Häusern. Heute mit LTE und künftig auch mit 5G.

Diese Frequenzen werden von den drei Mobilfunkanbietern, die bereits Tausende Stationen auf dem Land gebaut haben, längst genutzt. Viele Millionen Kunden auf dem Land telefonieren und surfen damit täglich im Mobilfunk. Das Problem: Die momentan verfügbaren Flächenfrequenzen reichen nur, um drei Netze zu bauen. Es gäbe aber vier Unternehmen, die bieten.

Diese Konstellation würde dazu führen, dass eine Auktion nach dem bisherigen Muster extrem teuer wird. Zieht einer der jetzigen Betreiber dabei den Kürzeren, dann könnten bis zu vier Millionen Kunden in diesem Netz plötzlich in einem LTE-Funkloch leben. Die Menschen auf dem Land drohen digital abgehängt zu werden.

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So weit können Ihr Unternehmen, aber auch die Telekom und Telefonica es nicht kommen lassen. Denn das würde den Verlust von Millionen Kunden bedeuten. Deshalb gehen Experten davon aus, dass 1&1 als Vierter im Bunde den Preis für diese Frequenzen theoretisch unendlich hoch treiben kann. Wie wollen Sie da rauskommen?

Wir haben schon vor der Auktion im Jahr 2019 auf finanzielle Risiken hingewiesen. Wir wurden leider nicht erhört. Mit insgesamt 6,6 Milliarden Euro für die damals aufgerufenen Frequenzen war das erneut eine sehr teure Angelegenheit. Heute haben viele erkannt, dass das ein Fehler war und wir deshalb bei 5G zunächst einem Rückstand hinterherlaufen mussten. Jetzt müssen wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen und den Mut haben, es anders zu machen.

Durch die Anpassungen im Telekommunikationsgesetz haben wir eine Chance, die man nur einmal in Jahrzehnten hat. Wir können beim Mobilfunk den Aufstieg vom Mittelfeld in die Champions League schaffen. Deshalb unser Vorschlag: Verlängerung der Frequenzlizenzen um fünf Jahre.

Auktionen sollen als marktwirtschaftliches Instrument den Wettbewerb fördern. Lähmt im Umkehrschluss eine Verlängerung der Lizenzen dann nicht den Wettbewerb?

Wir lieben den Wettbewerb, der im Mobilfunkmarkt auch wirklich sehr spürbar ist. Und wir lieben exzellente Netze. Dieser Faktor hat auch für viele Politiker und Bürger oberste Priorität. Mit einer Verlängerung der Lizenzen um fünf Jahre zu entsprechenden Bedingungen können exzellente Netze in Deutschland endlich Realität werden – ohne dass der Wettbewerb leidet. Wir brauchen einen „New Deal”, der klar regelt, dass Geld, das durch eine Verlängerung der Frequenzen eingespart wird, direkt in neue Mobilfunkstationen investiert wird, um Funklöcher zu schließen. Bei realistischen Regeln sind dann auch Bußgelder fair, wenn die Regeln nicht eingehalten werden.

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Die Erlöse der Versteigerungen sind doch nicht verloren gegangen. Sie flossen in den Bundeshaushalt. Und das Geld wurde auch zur Förderung der Digitalisierung eingesetzt. Was ist so falsch daran?

Das Geld fehlte aber für neue Mobilfunkmasten. Wir sollten uns die Frage stellen: Was ist das wichtigste Ziel für Deutschland? Hohe Einnahmen für den Staat zu generieren oder die beste digitale Infrastruktur zu haben. Ein moderner Staat sollte sich für die Topinfrastruktur entscheiden.

Schließen Sie mit einer Verlängerung der 800er-Lizenzen 1&1 nicht davon aus, sich zum vierten Netzbetreiber entwickeln zu können, was dann doch mehr Wettbewerb für die Branche bedeuten würde?

1&1 hat eine umfassende Vereinbarung mit Telefonica getroffen für die Mitnutzung der vorhandenen Mobilfunk-Infrastruktur in den nächsten zehn Jahren. Das Unternehmen verfügt über einen Zugang zu einem modernen Mobilfunknetz. Hier herrscht Waffengleichheit. 1&1 wird vermutlich bald auch anfangen, eigene Stationen zu bauen. Das ist gut. Denn das Unternehmen verfügt seit der Auktion 2019 bereits über Mobilfunkfrequenzen. Diese Frequenzen liegen derzeit brach.

Das Misstrauen der Politik gegenüber den Mobilfunkern ist groß. Es wird immer wieder durch Meldungen über einen unzulänglichen Netzausbau und über Funklöcher geschürt. Haben Sie dafür Verständnis?

Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass wir uns über Funklöcher ärgern. Mich ärgert das am meisten. Aber es wundert mich nicht. Wer immer wieder das gleiche alte Rezept anwendet, der darf nicht überrascht sein, wenn auch immer wieder die gleiche wenig gute Mahlzeit dabei rauskommt. So darf es nicht weitergehen. Jetzt müssen wir umdenken und ein neues Rezept der modernen Küche ausprobieren.

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Marktforscher weisen aber auch immer wieder darauf hin, dass in Deutschland der Mobilfunk teuer, die Übertragungsgeschwindigkeiten im Vergleich zu anderen Ländern aber sehr niedrig sind. Was läuft da falsch?

Deutschland ist im Mobilfunk Mittelmaß. Einer der Hauptgründe dafür sind die teuren Auktionen aus der Vergangenheit. In anderen Ländern waren die Voraussetzungen besser: In Finnland etwa mussten die Mobilfunker kaum etwas für die Lizenzen zahlen. Solche Rahmenbedingungen ermöglichen den Mobilfunkern, günstigere Preise für die Kunden zu offerieren.

In den deutlich größeren Ländern China und USA gibt es jeweils drei Mobilfunknetzbetreiber. In Europa über 100. In Deutschland vier. Europa verzwergt sich. Das bringt kurzfristig noch mehr Wettbewerb, schadet langfristig aber den Investitionen und der Netzqualität. Wer nur an möglichst viele Spieler denkt, der denkt zu klein.

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