Der Staat greift nach der Lufthansa: Rettung wird zum Krimi
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Stillgelegte Lufthansa-Jets stehen auf dem Flughafen Frankfurt. In den Verhandlungen um mögliche Corona-Hilfen prüft die Lufthansa auch eine Insolvenz in Eigenverwaltung anstelle eines direkten Staatseinstiegs.
© Quelle: Boris Roessler/dpa
Jetzt wird mit ganz harten Bandagen verhandelt. Nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) will die Bundesregierung für die Lufthansa ein Rettungspaket mit etwa 10 Milliarden Euro schnüren, dafür aber auch Mitspracherechte beim Umbau des Konzerns haben. Letzteres lehnt Vorstandschef Carsten Spohr ab. Er hat stattdessen ein Schutzschirmverfahren für sein Unternehmen ins Gespräch gebracht. Für Insider ist klar: Ein Kompromiss wird nicht einfach.
Lufthansa-Rettung: Der Staat wird so mächtig wie bei VW
Der Vorstoß von Spohr sei völlig überraschend gekommen, heißt es in Branchenkreisen. Bei Verhandlungen zwischen Lufthansa-Managern und Vertretern der Bundesregierung am Montagabend soll es heftigen Streit gegeben haben. Nach Angaben aus Branchenkreisen wollen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ein Rettungspaket für den schwer angeschlagenen Luftfahrtkonzern mit einer Kapitalbeteiligung verknüpfen. Der Bund soll demnach einerseits frisches Eigenkapital zur Verfügung stellen, das dann einem Anteil von rund 25 Prozent an dem Unternehmen entspricht. Der Staat würde somit größter Einzelaktionär. Das soll dann außerdem bedeuten: Mindestens einen, eher zwei Sitze im Aufsichtsrat und eine sogenannte Sperrminorität: Bei wichtigen strategischen Entscheidungen könnte der Bund sein Veto einlegen. Eine ähnliche Konstruktion gibt es seit Jahrzehnten beim Volkswagen-Konzern.
Zum Eigenkapital sollen andererseits zinsgünstige Kredite von der staatlichen Förderbank KfW kommen. Alles in allem ein Volumen von 9,5 bis 10 Milliarden Euro. Mehrere Gewerkschaften unterstützen diese Pläne. Dabei geht es vor allem um Garantien für die Beschäftigten. “Wir erwarten die Sicherung der Arbeitsplätze und Einkommen bei staatlichen Beteiligungen”, betont etwa Christine Behle, Vizevorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Es gehe darum, hierzulande die Infrastruktur des Luftverkehrs zu erhalten. Dafür brauche es auch die Beschäftigten der Lufthansa. Sie bildeten das Rückgrat des Konzerns und müssten deshalb vor Arbeitsplatzverlust geschützt werden.
Lufthansa-Boss will Einflussnahme der Politik verhindern
Spohr wehrt sich aber vehement gegen eine Einflussnahme der Politik bei wichtigen Entscheidungen des Managements. Er befürwortet eine sogenannte stille Beteiligung – also einen staatlichen Aktionär, der sich aus allem heraushält. Doch da will vor allem Scholz nicht mitspielen. Deshalb brachte das LH-Management am Dienstag das Schutzschirmverfahren ins Spiel. Der Vorstand prüfe auch diese Option, sagte ein Lufthansa-Sprecher. Es sei eine Alternative, falls dem Konzern bei einem Staatseinstieg nicht wettbewerbsfähige Konditionen drohten. In Gewerkschaftskreisen wird dies als Drohung und Provokation gewertet. Vorbild könnte für das LH-Management indes der kleinere Konkurrent Condor sein, der seit Herbst vorigen Jahres ein Schutzschirmverfahren durchläuft. Es ist die milde Form eines Insolvenzverfahrens: Das Unternehmen wird vor seinen Gläubigern geschützt. Das Management kann aber weitermachen. Es darf sich einen Sachwalter aussuchen, der die Sanierung überwacht. In so einer Konstellation hätten Spohr und seine Leute weitgehend freie Hand in puncto Standortschließungen und Arbeitsplatzabbau.
Corona trifft die Lufthansa mit voller Wucht
Klar ist, dass durch Corona die größte Umstrukturierung in der Geschichte der Lufthansa bevorsteht. Standortschließungen und der Abbau ganzer Abteilungen stehen vermutlich bevor. Spohr geht davon aus, dass es Jahre dauern wird, bis die Luftfahrt wieder auf das Niveau von vor der Corona-Krise zurückkehrt. Vor allem die blau-gelbe Kernmarke dürfte in der näheren Zukunft massiv leiden. Dort wurde das meiste Geld verdient, weil rund 70 Prozent der Einnahmen mit Geschäftsfliegern erwirtschaftet werden, die in der Regel auf teuren Sitzen in der Businessclass befördert werden. Branchenkenner erwarten, dass das Niveau bei Dienstreisen von vor der Krise nicht mehr erreicht wird, weil vielfach dauerhaft auf Videokonferenzen umgestellt wird.
Der Vorstandschef hat jedenfalls bereits angedeutet, dass etwa 10.000 Vollzeitstellen zur Disposition stehen könnten, was wegen der vielen Teilzeitbeschäftigten etwa 18.000 Frauen und Männern entsprechen würde. Auch will Spohr rund 100 Maschinen von insgesamt rund 760 Jets des Konzerns stilllegen lassen.
Lufthansa braucht dringend Geld – und die Reserven schwinden
Klar ist auch, dass der Konzern dringend Geld braucht. Laut Spohr verliert das Unternehmen pro Stunde eine Million Euro – der Flugverkehr ist fast vollständig eingestellt. Zugleich fallen Kosten an: für die Flugzeuge, die am Boden stehen, für gemietete Gebäude und fürs Personal, obwohl Tausende in Kurzarbeit geschickt wurden. Insider gehen davon aus, dass die Airline-Gruppe, zu der auch die Swiss, die österreichische AUA und unter anderem die Billigflugsparte Germanwings gehören, im Sommer ihre Liquiditätsreserven aufgebraucht hat. Es seien in jedem Fall mindestens 6 Milliarden Euro nötig, um über die nächsten Monate zu kommen, auch bei einem Schutzschirmverfahren, heißt es in Branchenkreisen. Dieses Geld kann weitgehend nur vom Staat kommen oder durch ihn abgesichert werden. Bei all dem spielt eine wichtige Rolle, dass derzeit alle großen Netzwerk-Airlines auf Finanzhilfen angewiesen sind. Manager, die dabei die günstigsten Konditionen heraushandeln, werden beim Neustart der Luftfahrt die besten Karten haben, um sich Marktanteile zu sichern.
Spohrs Vorstoß mit dem Schutzschirm könnte darauf abzielen, in die große Koalition einen Keil zu treiben. Denn aus dem Wirtschaftsflügel der Union gibt es starke Stimmen, die einen Einstieg des Staates ablehnen oder bestenfalls die stille Beteiligung akzeptieren wollen. Ein Kompromiss könnte darauf hinauslaufen, dass die Staatsbeteiligung zeitlich befristet wird. Genau dies hat Thomas Bareiß (CDU), Tourismusbeauftragter der Bundesregierung, gerade vorgeschlagen.
RND