Deutschlands Wirtschaft: noch einmal winziges Wachstum, doch die Zukunft sieht finster aus
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Untergangsstimmung bei der deutschen Wirtschaft: Die Prognosen von Fachleuten gehen bergab.
© Quelle: Christian Charisius/dpa
Frankfurt am Main. Deutschland hat im Frühjahr gerade so die Kurve noch einmal gekriegt. Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) stieg die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 0,1 Prozent und erreichte damit das Vorkrisenniveau vom Herbst 2019. Ökonomen gehen aber davon aus, dass dies eine Art letztes Aufbäumen war – bevor es talwärts Richtung Rezession geht.
„Trotz der schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich die deutsche Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen behauptet“, sagte Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes. Von Januar bis März war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sogar um 0,8 Prozent gewachsen. Der private Konsum hat die Wirtschaft stabilisiert. Das galt auch noch von April bis Juni. „Dabei hat die Öffnung nach den Corona-Beschränkungen dazu geführt, dass die Menschen in Deutschland wieder mehr ausgegeben haben, etwa für Restaurantbesuche und Freizeitaktivitäten“, sagte Sebastian Dullien, Chef des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts IMK, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Laut Destatis stiegen die privaten Konsumausgaben auch im Vergleich zum Jahresanfang noch einmal. Der Staat gab ebenfalls mehr aus. Davon haben vor allem die Dienstleistungsbereiche profitiert. Und Unternehmen investierten kräftig in Maschinen und Geräte. Am Bau ging es hingegen deutlich bergab – in der Branche ist es mit dem jahrelangen Boom nun offenbar endgültig vorbei.
Wachsender Pessimismus in den Unternehmen
Der Blick nach vorne sieht allerdings weniger erfreulich aus: Die Stimmung in den Unternehmen ist im Sommer deutlich düsterer geworden. Ablesen lässt sich dies am Ifo-Geschäftsklimaindex, dem wichtigsten hiesigen Frühindikator für die Wirtschaft. Die Laune ist so schlecht wie seit zwei Jahren nicht mehr. Der Index sackte im dritten Monat in Folge ab. Und in den Firmen sind die Erwartungen für den nächsten Dreimonatsabschnitt noch etwa pessimistischer geworden, als sie es zuvor ohnehin schon waren. Vor allem der Handel sieht schwarz. „Die Stimmung in der Wirtschaft ist schlecht“, betonte Ifo-Chef Clemens Fuest. Er spricht von einer hohen Unsicherheit in den Unternehmen und erwartet, dass die Wirtschaftsleistung im dritten Quartal schrumpft.
Dem schließen sich viele renommierte Wirtschaftsfachleute an. „Die deutsche Wirtschaft steht wohl vor einer Rezession“, sagte Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank, dem RND. Rezession bedeutet ein sinkendes BIP über mindestens zwei Quartale. Die Messzahl für die Geschäftserwartungen sei seit dem Frühjahr auf ein so tiefes Niveau gesunken, „wie sie es in früheren Jahren nur im Vorfeld von Krisen erreicht hat“, so Holstein.
Deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal leicht gewachsen
In einer ersten Schätzung war das Statistische Bundesamt noch davon ausgegangen, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal 2022 stagnieren würde.
© Quelle: dpa
Dullien geht ebenfalls davon aus, dass der Privatkonsum als Konjunkturstütze in den kommenden Monaten wegbricht und im Winterhalbjahr „sogar zu einer spürbaren Belastung für die Konjunktur werden dürfte“. Die Ursache dafür liegt auf der Hand und macht sich immer stärker bei den Verbrauchern bemerkbar: die steigenden Energiepreise. Die rauben den Konsumenten Kaufkraft, wodurch sie weniger Geld für Anschaffungen, fürs Ausgehen oder Ausflüge zur Verfügung haben werden – wobei bislang nur ein Teil der Aufschläge für die Beschaffung von Strom und Gas im Großhandel an die Kunden weitergegeben wurde.
Am Donnerstag kletterten an den Energiebörsen die Notierungen für Erdgas in neue Rekordhöhen. Für die europäische Referenzsorte Dutch TTF mussten zeitweise 318 Euro pro Megawattstunde gezahlt werden – eine Steigerung um rund 1050 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dahinter stecken Wetten darauf, dass Putin die Gaslieferungen nach Europa komplett einstellt.
Dullien betont: Die jetzigen Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung würden bei Weitem nicht reichen, „um die Belastungen der kommenden Monate und erst recht nicht die absehbaren Belastungen durch steigende Gas- und Strompreise 2023 auszugleichen“.
Nur geringes Staatsdefizit
Dennoch gilt der alte Sinnspruch: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Destatis meldete am Donnerstag Zahlen für das Finanzierungsdefizit des Staates im ersten Halbjahr. Und siehe da: Es wurden nur 13 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen. Das macht eine Quote von 0,8 Prozent gemessen am BIP. Der EU‑Stabilitäts- und Wachstumspakt lässt auf Jahresniveau maximal 3 Prozent zu. Auf der Einnahmeseite schlugen besonders immense Steuereinnahmen – auch durch die Inflation bedingt – zu Buche. In Kombination mit einer hohen Beschäftigung. Bei den Ausgaben machten sich weniger Subventionen bemerkbar, weil viele Corona-Hilfen ausgelaufen sind.
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Für Dullien bedeutet dies, „dass der Staat aus ökonomischer Sicht durchaus Spielräume für Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger hätte“. Der IMK-Direktor fordert deshalb von der Bundesregierung, „zum Jahresende noch einmal kräftige kreditfinanzierte Entlastungen für die Privathaushalte zu verabschieden – etwa in Form einer neuen Energiepauschale“. Diese müsse vor allem Menschen zugutekommen, die bislang kaum entlastet wurden, beispielsweise Rentnerinnen und Rentner. Bis Ende 2022 gilt noch die Notfallsituation, mit der das Aussetzen der staatlichen Schuldenbremse begründet wird. Finanzminister Christian Lindner (FDP) will 2023 die Schuldenbremse aber wieder in Kraft setzen.
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