SPD-Chef zu Besuch bei VW

Klimaschutz und Industriepolitik: Herr Klingbeil sucht den Schlüssel

Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, steht im „e-Motion-Room“ im Volkswagen Stammwerk, der nach dem Prinzip eines Escape-Rooms funktioniert.

Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, steht im „e-Motion-Room“ im Volkswagen Stammwerk, der nach dem Prinzip eines Escape-Rooms funktioniert.

Berlin. Lars Klingbeil stutzt. Das Volkswagen-Werk in Wolfsburg ist zwar schon einige Jahrzehnte alt, aber Fachwerkbalken, Gaslaternen und Kerzenleuchter hätte der SPD-Chef an diesem Ort dann doch nicht erwartet. VW-Personalchef Gunnar Kilian freut sich sichtlich über die kurze Irritation des prominenten Besuchers – bevor seine Leute das Rätsel auflösen.

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Was aussieht wie eine Schmiede aus dem 19. Jahrhundert, ist in Wahrheit das Modernste, was VW derzeit in Sachen Mitarbeiterqualifikation zu bieten hat. „e-Motion-Room“ mit kleinem e nennen sie den mit viel Liebe zum Detail erschaffenen Bereich, in dem der Konzern seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fit für das Zeitalter der Elektromobilität machen will. In kleinen Gruppen müssen die Beschäftigten Rätsel lösen und Aufgaben erledigen, um sich wie in einem „Escape Game“ von Raum zu Raum vorzuarbeiten. Es geht darum, den Schlüssel zu finden, um die Tür zu einem neuen Zeitalter aufzustoßen.

Dass das Lernen auf diese Weise Spaß machen kann, stellen Klingbeil und Kilian bei einer digitalen „Memory“-Partie unter Beweis. Die beiden Männer verstehen sich gut, sie haben eine gemeinsame Geschichte. Killian hatte Anfang der 2000er-Jahre das Bundestagsbüro des damaligen SPD-Abgeordneten und VW-Betriebsrats Hans-Jürgen Uhl geleitet, Klingbeil war kurzzeitig selbst Bundestags­abgeordneter und dann Büroleiter von Garrelt Duin. Auf dem Flur habe man sich häufiger gesehen, sagt Klingbeil über Kilian. „Wir waren beinahe Büronachbarn.“

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Knapp 20 Jahre später ist der eine Chef der Regierungspartei und der andere Arbeitsdirektor von Europas größtem Autobauer. Vor gewaltigen Heraus­forderungen stehen beide.

Schulung für mehr als 20.000 Beschäftigte

Kilian und seine Vorstands­kollegen müssen einen Konzern in Richtung Klimaneutralität umsteuern, der seit mehr als 80 Jahren sein Geld mit Verbrennungs­motoren verdient. Bei jedem zweiten VW-Mitarbeiter wird die Elektro­mobilität das Berufsbild derart verändern, dass umfangreiche Nachqualifizierungen nötig werden, haben sie ausgerechnet. Die neuen Schulungsräume in Wolfsburg sind ein Teil davon. Mehr als 20.000 Beschäftigte aus der Produktion sollen das Programm durchlaufen und dadurch auch Ängste vor Veränderung abbauen. Bei den meisten Mitarbeitern komme das Konzept sehr gut an, sagt Kilian.

Was Volkswagen da in nicht gerade kleinem Maßstab vollzieht, will die Bundesregierung auf das ganze Land übertragen. Bis 2045 sollen Wirtschaft und Gesellschaft klimaneutral werden. Das Vorhaben ist noch ein paar Nummern größer als das von VW. Und im Gegensatz zu dem Autobauer hat die Ampelregierung keine schicken „Escape Rooms“, in denen sie die Menschen von der Notwendigkeit des Wandels überzeugen kann. Die Politik sucht noch nach dem Schlüssel.

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Gerade für die SPD, die sich als Partei der Arbeit und der kleinen Leute versteht, ist das mitunter schwierig. Die Sozial­demokraten bekennen sich zwar zum Klimaschutz und wollen das Feld nicht allein den Grünen überlassen, gleichzeitig aber beobachten sie, wie die Klimapolitik gerade in ihrer Wählerschaft Ängste, Ablehnung und teilweise auch Hass hervorruft. Die Folgen lassen sich vor allem in den neuen Bundesländern erkennen, wo die AfD inzwischen bei nahezu jeder Umfrage führt.

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Klingbeil will gegensteuern, indem er die industrie­politische Tradition der SPD wieder stärker betont. Er absolviert in diesen Tagen mehr Unternehmens­besuche als sonst und pflegt den Austausch mit Konzern­lenkern. Es ist auch der Versuch, das eigene Profil noch einmal zu verändern. Nach der Digital- und der Verteidigungs­politik schafft sich der Politiker aus der Lüneburger Heide nun auch noch die Wirtschafts­politik drauf.

„Brauchen zügig Industriestrompreis“

So fordert er jetzt mit Nachdruck günstigere Energiepreise für Unternehmen. „Wir brauchen zügig einen Industriestrom­preis, damit unsere Industrie in Deutschland als international wettbewerbsfähig bleibt und der klimaneutrale Umbau unserer Wirtschaft gelingt“, sagt er. Bezahlbare Energie sei ein wichtiger Standort­vorteil. „Unternehmen investieren dort, wo Energie günstig und verfügbar ist.“

Dass der Wirtschafts­standort Deutschland in dieser Hinsicht meilenweit hinter ausländischen Konkurrenten herhinkt, ist fester Bestandteil des Klageliedes, dessen Text inzwischen jeder Wirtschafts­boss mitsingen kann. Klingbeil weiß das, und deshalb fordert er mehr Tempo – auch beim Ausbau der Landeinfrastruktur.

Von einer „Deutschland-Geschwindigkeit“ sprechen die Sozial­demokraten inzwischen gern, in Anlehnung an die in nur wenigen Monaten fertiggestellte Infrastruktur für den Import von Flüssiggas. Das Problem ist nur, dass in den meisten anderen Bereichen von einer solchen Beschleunigung keine Rede sein kann – im Gegenteil. Deutschland agiert behäbig, während die internationale Konkurrenz davonzieht.

China eilt davon

Beispiel China: Dort hat die Regierung nach den Corona-Lockdowns den Turbo in Sachen Elektro­mobilität eingelegt. Von 2,4 auf vier Millionen Autos ist der Absatz rein elektrischer Fahrzeuge binnen eines Jahres gestiegen. In Großstädten wie Shanghai ist inzwischen jedes zweite Auto elektrisch.

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Die deutschen Hersteller spielen in diesem wichtigen Zukunftsmarkt so gut wie keine Rolle. Gerade einmal 6300 Elektroautos hat VW im Januar und Februar in China verkauft. Wegen der Schwäche bei den Stromern haben die Niedersachsen, die bei den Verbrennern noch die Nase vorne haben, im ersten Quartal die Marktführerschaft in China an den heimischen Konkurrenten BYD verloren. Kaum jemand rechnet damit, dass sich das in naher Zukunft wieder ändern wird – auch weil Volkswagens Elektro­modelle in China kaum konkurrenzfähig sind.

Zwar präsentieren sie dem SPD-Chef stolz das neue Elektro­flaggschiff ID.7, das auf der Shanghai Auto Show seine Weltpremiere gefeiert hat, die Gegenwart in Wolfsburg aber ist noch fossil. All die glänzenden Golf- und Tiguan-Modelle, die Klingbeil bei seiner Werksführung zu Gesicht bekommt, haben eine Sache gemeinsam: Unter der Motorhaube steckt ein Verbrenner.

Im Herbst dieses Jahres soll es dann auch im VW-Stammwerk endlich losgehen mit der Elektro­mobilität. Der ID.3. Ein neues Elektro-SUV und weitere Modelle sollen folgen und das Werk auf Dauer in eine elektrische Zukunft führen. Jetzt müssen Sie nur noch den Schlüssel finden.

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