Wahlrechtsreform: Klagt die Union gegen den Ampelvorschlag?
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Der Plenarsaal ohne Stuhlreihen und Teppichboden: Wie viele Stühle es nach der umstrittenen Wahlrechtsreform werden sollen, ist noch unklar.
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Mit dieser Woche könnte ein jahrelanger Streit enden – jedenfalls vorerst, und zumindest, wenn es nach SPD, Grünen und FDP geht: Sie wollen im Bundestag die noch immer leidenschaftlich umkämpfte Reform des deutschen Wahlrechts beschließen. Noch hoffe man zwar, dass auch große Teile der Opposition zustimmen, heißt es aus der Regierungskoalition. Doch die Aussichten darauf sind schlecht.
Über Problem und Ziel sind sich die meisten Parlamentarier zwar einig: Der Bundestag sei zu groß und müsse verkleinert werden, heißt es seit Jahren fast schon mantraartig im politischen Berlin. Doch ein gemeinsamer Weg ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Änderungen, die die Ampel nach der ersten Lesung an ihrem Gesetzentwurf vorgenommen hat, hat nach der Union nun auch die Linke erzürnt.
Deckelung auf 630 Abgeordnete
Dabei hat die jüngste Bundestagswahl den Handlungsbedarf erneut unterstrichen: Im Jahr 2021 blähte sich der Bundestag auf die Rekordgröße von 736 Abgeordneten auf. Der Grund ist das deutsche Wahlsystem. Mit der ersten Stimme wählen die Wahlberechtigten ihren Wahlkreiskandidaten, und mit der zweiten Stimme wird der Anteil der Sitze einer Partei im Bundestag bestimmt. Der Knackpunkt: Wenn eine Partei eigentlich mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach der Zweitstimme zusteht, bekommt sie Überhangmandate. Die anderen Parteien bekommen dafür Ausgleichsmandate. Bis zu 16 Ausgleichsmandate kamen so auf ein Überhangmandat.
Nun macht die Ampel Nägel mit Köpfen: Mit ihrem Gesetzesentwurf will sie den Bundestag nach der nächsten Wahl bei 630 Abgeordneten deckeln. Zunächst war im Gespräch, die Abgeordnetenregelzahl auf 598 festzulegen. Davon sind die Regierungsfraktionen abgewichen – auch, um der Union und den Kritikern in den eigenen Reihen entgegenzukommen.
Damit künftig Überhang- und Ausgleichsmandate wegfallen, wird zudem die bisherige Regelung geändert, wonach ein Wahlkreissieger auch ohne ausreichende Zweitstimmen für die jeweilige Partei in den Bundestag einzieht. Das würde dazu führen, dass künftig nicht aus jedem Wahlkreis ein Direktkandidat entsandt wird, sondern nur Listenkandidaten – oder auch niemand. Auch, damit dieser Fall möglichst selten eintritt, habe man die Regelzahl der Sitze nach den ersten Entwürfen erhöht, heißt es aus der Ampel.
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Wie die Ampel immer neue Posten schafft
Neben den 16 Ministerinnen und Ministern sowie 37 Parlamentarischen Staatssekretären gibt es in der Ampelkoalition bald 46 Beauftragte, Sonderbevollmächtigte und Koordinatoren. Die Kosten sind klar. Weniger klar ist der Nutzen – außer für jene, die die Posten bekommen oder sie vergeben.
„Absage an eine gut begründete demokratische Praxis“
Eine weitere Neuerung: Auch die Grundmandatsklausel soll gestrichen werden. Durch sie konnten bisher Parteien, die zwar die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreicht, aber drei Direktmandate gewonnen haben, dennoch in Fraktionsstärke einziehen. Ohne diese Regelung wäre die Linksfraktion mit ihrem Ergebnis bei der vergangenen Wahl nicht ins Parlament gekommen. Kein Wunder, dass die Parteispitze nun erzürnt: Das sei eine Absage an „eine gut begründete demokratische Praxis“, sagte Linken-Chef Martin Schirdewan.
Eigentlich gehört es zum guten Ton, eine Wahlrechtsreform mit der Opposition zu beschließen. Laut FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle ist die Ampel insbesondere der Union entgegengekommen. Die CDU allerdings sieht das völlig anders. Nach den jetzigen Reformplänen werde die Union überproportional Mandate verlieren, kritisierte CDU-Generalsekretär Mario Czaja am Montag in Berlin. Da die CDU in der Vergangenheit die meisten Wahlkreise gewonnen habe, sei es eine Reform, „die bewusst zulasten der Union gemacht wird“.
Dass der Kompromissversuch scheitern würde, war abzusehen. Von Unionspolitikern heißt es seit Wochen, die Vorstellungen seien nicht miteinander vereinbar. CDU und CSU forderten die Reduzierung der Wahlkreise von derzeit 299 auf 270. Zudem wollten sie bis zu 15 Überhangmandate unausgeglichen lassen. Sie nicht mehr auszugleichen, würde aber dazu führen, dass das Zweitstimmenergebnis verzerrt wird – zugunsten von CDU und CSU.
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Besonders die CSU profitiert stark von Überhangmandaten, weil sie fast ausschließlich mit Direktmandaten einzieht. Entsprechend nervös ist die Partei.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
CSU könnte an 5-Prozent-Hürde scheitern
Dass die Reform nun ohne Oppositions-Okay kommt, bereitet Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) „Bauchschmerzen“: Es sei aber möglicherweise in der Sache „unvermeidbar“, sagte der Liberale dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Schon in der vorigen Legislaturperiode war ein Kompromiss an CDU und CSU gescheitert – die da noch zur Regierungsmehrheit zählten. CDU-General Czaja gab am Montag zu: Man hätte eine weitgehendere Wahlrechtsreform hinbekommen können. „Es wäre sicherlich gut gewesen, hätte es auch unsererseits einen gemeinsamen mutigen Vorschlag gegeben“, sagte er. Insbesondere die CSU, die fast ausschließlich mit Direktmandaten einzieht und die stark von Überhangmandaten profitiert, bangt nun um ihre Macht im Bundestag. Bis „zur letzten Sekunde“ werde man dagegen vorgehen, kündigte CSU-Chef Markus Söder an. Notfalls werde es eine Verfassungsbeschwerde geben. 2021 holten die Christsozialen nur 5,2 Prozent. Sollte die Partei unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen, würde sie aus dem Bundestag fliegen – außer, sie tritt gemeinsam mit der CDU an. Grundsätzlich wäre es möglich, dass die CSU so in Bayern und die CDU in 15 Bundesländern antritt.
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Kritiker: Reformvorschlag verfassungswidrig
Ob die Klage allerdings kommt, ist noch nicht geklärt. Zwar drängt die CSU nach RND-Information intern massiv auf eine Klage. Die CDU-Führung ist aber nicht überzeugt. Die Sorge, in Karlsruhe zu scheitern, ist dem Vernehmen nach zu groß. Auch unter Verfassungsrechtlern ist umstritten, ob die Reform verfassungswidrig ist. „Durch die Anpassung der Abgeordnetenzahl von 598 auf 630 hat die Ampel das Risiko einer Verfassungswidrigkeit reduziert“, sagte etwa Staatsrechtler Ulrich Battis dem RND. Anders sieht es Staatsrechtler Philipp Austermann: „Ich halte den Reformvorschlag der Ampel-Koalition auch nach den jüngsten Änderungen für verfassungswidrig, weil weiterhin gewonnene Direktmandate nicht besetzt werden sollen – wenn auch in kleinerem Umfang als bisher geplant“, so Austermann.
Czaja betonte am Montag, man werde sich nach Beschluss die Sachlage anschauen. Ein Normenkontrollverfahren in Karlsruhe seitens der CDU/CSU-Fraktion müsse dann besprochen werden, sagte er zurückhaltend.