Wagner-Chef Prigoschin warnt vor Niederlage im Ukraine-Krieg – und verkündet Bachmut-Abzug
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Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin in der Ukraine.
© Quelle: Telegram
Moskau. Der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat seine Kritik an der Kriegsführung gegen die Ukraine bekräftigt und vor einer Niederlage gewarnt. „Wir müssen uns auf einen sehr schweren Krieg vorbereiten“, sagte er dem kremlnahen Polittechnologen Konstantin Dolgow, der ein Video von dem Interview mit Prigoschin in der Nacht zum Mittwoch veröffentlichte.
Damit Russland nicht verliere, müsse es den Kriegszustand ausrufen und die Wirtschaft auf die Produktion von Munition umstellen, sagte Prigoschin. „Wir sollten neue Mobilmachungen einleiten“, sagte der Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin. Alle sollten nur für den Krieg arbeiten.
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Prigoschin erinnerte einmal mehr an die zahlreichen Niederlagen der russischen Streitkräfte, die sich vor Kiew und in Cherson in die „Hose gemacht“ hätten und dann abgehauen seien. Der 61-Jährige meinte auch, dass nicht er die „militärische Spezialoperation“ begonnen habe, sondern andere. Putin hatte den Krieg am 24. Februar 2022 angeordnet. Zugleich sagte Prigoschin, dass der nun eben einmal begonnene Kampf auch zu Ende gebracht werden müsse.
Prigoschin lobt die ukrainische Armee
Erneut äußerte sich Prigoschin auch zu dem vom Kreml genannten Kriegsziel einer „Entmilitarisierung“ der Ukraine. Die Ukraine habe heute viel mehr und schwerere Waffen und mehr kämpfendes Personal als vor dem Krieg. Russland habe das Land in Wahrheit „militarisiert“. Prigoschin lobte die ukrainische Armee sogar als eine der besten der Welt. „Sie verfügen über ein hohes Maß an Organisation, ein hohes Ausbildungsniveau, ein hohes Maß an geheimdienstlicher Aufklärung, sie haben verschiedene Waffen. Sie arbeiten mit allen Systemen – sowjetischen oder von der Nato – gleichermaßen erfolgreich.“
Russland will den Angriff auf die Ukraine nicht einfrieren
Russland werde die „militärische Spezialoperation bis zum Ende führen“, hieß es von Kremlsprecher Peskow.
© Quelle: dpa
Dagegen kritisierte er erneut das russische Verteidigungsministerium, das der Wagner-Armee weder ausreichend Munition noch angefordertes Personal bereitstelle. Prigoschin meinte, dass der gesamte Donbass heute schon erobert sein könnte, wenn er die 200.000 angeforderten Soldaten als Verstärkung bekommen hätte. Wagner habe heute 6000 Männer, die eine Kompanie führen könnten. Sie könnten demnach eine Armee von 600.000 Soldaten steuern. Doch gebe es in der Militärführung Ängste, die Wagner-Truppen könnten sich gegen den russischen Machtapparat wenden und am Ende in Moskau einmarschieren, sagte er.
Widersprüchliche Angaben zu den gefallenen Soldaten
Außerdem widersprach Prigoschin den Angaben des Kremls über die Zahl der im Krieg gegen die Ukraine gefallenen Soldaten. Seine Truppe habe in der langwierigen Schlacht um die Stadt Bachmut mehr als 20.000 Kämpfer verloren, sagte er. Diese Zahl steht in krassem Gegensatz zu den Behauptungen Moskaus, Russland habe nur etwas mehr als 6000 Soldaten während der Invasion verloren.
Am Donnerstag kündigte der Wagner-Chef an, dass seine Soldaten ihre Stellungen in Bachmut an die regulären Streitkräfte übergeben. Demnach sollen alle Wagner-Söldner bis zum 1. Juni abgezogen werden. Prigoschin hatte Bachmut, das seit Monaten hart umkämpft war, vor Kurzem als vollständig erobert erklärt. Die Ukraine dementierte die Aussage. Die Schlacht um die Stadt in der Region Donezk gilt als die bisher blutigste seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022. Die Angaben können aktuell nicht unabhängig geprüft werden.
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Etwa 20 Prozent der 50.000 russischen Sträflinge, die er für den seit 15 Monaten andauernden Krieg rekrutiert hatte, seien in der ostukrainischen Stadt umgekommen, sagte Prigoschin weiter. Analysten gehen davon aus, dass allein der vor neun Monaten begonnene Kampf um Bachmut Zehntausende Soldaten das Leben gekostet hat. Berichten zufolge wurden die Strafgefangenen kaum ausgebildet, bevor sie an die Front kamen.
Vertreter des Weißen Hauses sagten am Mittwoch, Prigoschins Äußerungen stünden im Einklang mit ihren eigenen Schätzungen, wonach sich die russischen Verluste beschleunigt hätten. Die US-Regierung schätzte in diesem Monat, dass die russischen Streitkräfte seit Dezember 20.000 Todesopfer zu beklagen hatten. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, sagte damals, dass etwa die Hälfte der Getöteten Wagner-Söldner gewesen seien.
Prigoschin berichtete von Tötungen von Zivilisten
Kirby spekulierte am Mittwoch über die Beweggründe für Prigoschins Äußerungen. Möglicherweise beanspruche der Wagner-Chef auf diese Weise die Anerkennung für das Erreichte in Bachmut, sagte er. Gleichzeitig versuche Prigoschin, das Verteidigungsministerium öffentlich in Verlegenheit zu bringen. Prigoschin berichtete zudem, dass die Kreml-Kräfte während des Krieges Zivilisten getötet haben, was Moskau wiederholt und vehement bestritten hat.
Der wohlhabende Geschäftsmann mit langjährigen Verbindungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin ist für seine lautstarken, oft mit Obszönitäten gewürzten Äußerungen bekannt. Schon früher hat er unüberprüfbare Behauptungen aufgestellt, von denen er einige später wieder zurücknahm. Anfang Mai veröffentlichten seine Sprecher ein Video, auf dem er schreiend und fluchend auf etwa 30 uniformierte, auf dem Boden liegende Leichen zeigt und sagte, es handele sich um Wagner-Kämpfer, die an einem einzigen Tag getötet worden seien. Er behauptete, das russische Verteidigungsministerium habe seinen Männern die Munition entzogen und drohte, den Kampf um Bachmut aufzugeben.
RND/dpa/AP/sic