Unionsspitze kündigt Widerstand gegen Ampel-Wahlrechtsreform an
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/HPVJE5QJGVEGDJME2KNIZGXLDM.jpeg)
Der Entwurf der Ampel-Koalition zu einem neuen Bundeswahlrecht stößt bei mehreren Unionspolitikern auf Kritik.
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa
München. Der Entwurf der Ampel-Koalition zu einem neuen Bundeswahlrecht stößt bei der Spitze der Unionspartei auf Kritik. Unionsfraktionschef Friedrich Merz droht der Ampel-Koalition wegen deren geplanter Wahlrechtsreform mit einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Wenn es im Bundestag eine Mehrheit für die veränderten Pläne gebe, „ist aus meiner Sicht eine verfassungsrechtliche Überprüfung in der Tat geboten“, sagte Merz, der auch CDU-Chef ist, am Dienstag vor einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Er werde vorschlagen, die Pläne bei der am Freitag geplanten Abstimmung abzulehnen.
Die Unionsfraktion werde für den Fall eines entsprechenden Bundestagsbeschlusses in der nächsten Sitzungswoche Ende März eine Entscheidung über eine mögliche Klage treffen, kündigte Merz an. In der SPD-Fraktion hätten sich jene durchgesetzt, die ein Wahlrecht nach den Vorstellungen der SPD haben wollten, kritisierte Merz. „Die SPD schafft sich jetzt mit dem Koalitionspartner FDP und Grünen ein eigenes Wahlrecht.“ Die Ampel-Pläne, die die Koalition mit eigener Mehrheit beschließen kann, seien ein fundamentaler Systemwechsel weg von einem personalisierten Verhältniswahlrecht hin zu einem mehr oder weniger reinen Verhältniswahlrecht.
„Wenn die Ampel nicht nachbessert, werden wir klagen“
Abgeordnete, die in ihren Wahlkreisen direkt gewählt sind, würden den Ampel-Plänen zufolge nur noch zur Zählgröße und müssten eine sogenannte Zweitstimmendeckung haben. Dies werde dazu führen, dass eine größere Zahl direkt gewählter Abgeordneter nicht mehr in den Bundestag einziehe, sagte Merz. Dies sei ein „Wahlrecht des betrogenen Wählers“ und gezielt vor allem gegen die CSU gerichtet. Laut den Ampel-Plänen müsse eine Partei, die in einem Bundesland kandidiere, in ganz Deutschland die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, sonst fielen alle Wahlkreismandate weg. Dies sei „ein eklatanter Verstoß gegen das Demokratieprinzip“.
Wahlrechtsreform: Söder sieht CSU-Existenz bedroht
Markus Söder sieht mit dem Entwurf der Ampelkoalition zu einem neuen Bundeswahlrecht die Existenz seiner Partei infrage gestellt.
© Quelle: dpa
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Parteichef Markus Söder sieht mit der Reform sogar die Existenz seiner Partei infrage gestellt. Der Entwurf, der am Freitag vom Bundestag beschlossen werden soll, sei „ein dicker Hund“, sagte Söder am Dienstag in München. Er kündigte an, im Zweifel dagegen klagen zu wollen.
Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat sich dafür ausgesprochen, die Pläne der Ampel-Koalition für ein neues Wahlrecht nach der Bundestagsentscheidung vom Verfassungsgericht in Karlsruhe überprüfen zu lassen. Die Pläne beträfen ausdrücklich die Opposition im Bundestag, „die Ampel schnitzt sich also ein Wahlrecht“, kritisierte Dobrindt am Dienstag in Berlin. Man teile zwar das Ziel der Verkleinerung des Bundestags. Das Mittel der Ampel dazu sei aber „schlichtweg respektlos und unfair und muss deswegen aus unserer Sicht vom Verfassungsgericht überprüft werden“.
Strobl sieht „Schwächung des Südens“
Auch der baden-württembergische CDU-Chef Thomas Strobl hält nichts von der geplanten Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung im Bund. „Das ist eine Reform, die der Demokratie mehr schadet als sie der Demokratie nützt“, sagte er am Dienstag in Stuttgart. „Hier wird ein neues Wahlrecht geschaffen, indem diejenige oder derjenige, der vom Volk gewählt wird, unmittelbar und direkt, dann nicht mehr ins Parlament einzieht.“ Das könne besonders in den Großstädten, in den neuen Ländern und auch in Baden-Württemberg und Bayern erhebliche Auswirkungen haben, sagte Strobl. Dass die Reform „im Grunde genommen auch eine Schwächung des Südens darstellt, das ist ohne Zweifel so.“
Grünes Licht von der FDP
Die FDP-Fraktion im Bundestag hat der geplanten Reform hingegen einstimmig zugestimmt. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag aus Teilnehmerkreisen. Zuvor hatte es Zweifel gegeben, wie geschlossen die Abgeordneten hinter dem Reformvorhaben stehen würden. Einige von ihnen müssen damit rechnen, bei der nächsten Wahl ihr Mandat durch die angestrebte Verkleinerung des Bundestags zu verlieren.
Die Ampel-Pläne sehen eine Verkleinerung des Bundestags von 736 auf dauerhaft 630 Abgeordnete nach der nächsten Wahl 2025 vor. Neben den Überhang- und Ausgleichsmandaten wird die sogenannte Grundmandatsklausel gestrichen, nach der Parteien auch dann in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen können, wenn sie weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten. Sie müssen dafür mindestens drei Direktmandate über die Erststimmen gewinnen.
Sonderstellung der CSU könnte gefährlich werden
Hintergrund ist die Sonderstellung der CSU im Parteiensystem. Als Regionalpartei, die nur in Bayern antritt, bildet sie im Bundestag eine gemeinsame Fraktion mit ihrer Schwesterpartei CDU. Im Wahlgesetz wird die CSU aber als eigenständige Partei behandelt.
Würde sie etwa nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, könnten künftig auch die von ihren Bewerbern errungenen Siege in den einzelnen Wahlkreisen hinfällig werden, weil künftig der Gewinn eines Wahlkreises nicht mehr automatisch zum Einzug ins Parlament berechtigt. Die CSU hatte bei der Bundestagswahl 2021 alle 46 bayerischen Wahlkreise gewonnen, bis auf einen. 2017 konnte die CSU sogar alle Wahlkreise für sich entscheiden.
Damit könnte bei einer Wahlrechtsreform eine Situation entstehen, in der die CSU zwar in 40 oder mehr Wahlkreisen in Bayern das stärkste Erststimmen-Ergebnis erzielt, aber dennoch keinen einzigen Bundestagsabgeordneten mehr stellt - dann nämlich, wenn sie im bundesweiten Maßstab unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen würde. Bei der Bundestagswahl 2021 lag die Partei mit 5,2 Prozent nur noch knapp über dieser Hürde.
Der Entwurf zum neuen Wahlgesetz sieht vor, dass die sogenannte Grundmandatsklausel wegfallen soll. Diese hat bisher Parteien erlaubt, in Fraktionsstärke in den Bundestag zu ziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate erzielt hat. Künftig sollen die Mandate jedoch nur noch gemäß des Zweitstimmenergebnisses verteilt werden - wer hier keine fünf Prozent erreicht, könnte komplett durchfallen.
RND/dpa