Ukrainischer Botschafter: „Wir brauchen keine Vermittler, sondern Verbündete“
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Oleksii Makeiev, der Botschafter der Ukraine in Deutschland.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Herr Makeiev, Sie sind jetzt 100 Tage im Amt. Haben Sie sich in Berlin schon eingelebt, sofern man davon unter den Umständen des Krieges in Ihrer Heimat sprechen kann?
Eingelebt ist zu viel gesagt, dazu hatte ich leider bislang kaum Gelegenheit. Eingearbeitet habe mich bestimmt. Wenn man mich nach meinem Lieblingsplatz in Berlin fragt, antworte ich: mein Büro. Viel mehr habe ich in diesen 100 Tagen leider kaum gesehen. Aber es gab kleine Alltagserlebnisse, die mich sehr erfreuen, weil sie zeigen, dass die deutsche Bevölkerung weiterhin solidarisch zur Ukraine steht.
Wenn ich zum Beispiel auf der Straße oder im Lebensmittelgeschäft angesprochen werde und fremde Menschen mir ihre Solidarität zum Ausdruck bringen – das finde ich bewundernswert und dafür danke ich den deutschen Bürgerinnen und Bürgern. Und natürlich auch dafür, dass über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer hier Schutz gefunden haben.
Solidarität auch im Alltag spürbar
Wie sieht Ihre Bilanz als Botschafter nach 100 Tagen aus?
Ich denke, dass wir als diplomatisches Team wichtige Erfolge erzielt haben. Dazu zähle ich beispielsweise, dass Deutschland Panzer liefert, wie den Marder und den Leopard, oder das Flugabwehrraketensystem Patriot. Und es gibt einen guten Plan für die nächsten Monaten, was die militärische Unterstützung der Ukraine angeht. Dafür sind wir dankbar wie auch für die finanziellen und wirtschaftlichen Hilfen aus Deutschland.
Ein sehr wichtiger Punkt war aus unserer Sicht auch die Entscheidung des Bundestages von Ende November, den Holodomor als Genozid am ukrainischen Volk anzuerkennen.
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Was halten Sie vom Vorstoß des brasilianischen Präsidenten Lula als Vermittler bei Verhandlungen mit Russland aufzutreten?
Wir sagen immer: Wir brauchen keine Vermittler, sondern Verbündete. Von denen, die Verhandlungen fordern, war bisher kein konkreter Vorschlag zu erkennen, wie eine Verhandlungsstrategie aussehen könnte. Was ist das Ziel? Leider haben wir in den letzten Jahren erleben müssen, dass viele Verhandlungen auf Kosten der Ukraine stattgefunden und nur dazu geführt haben, dass die Ukraine weiter Territorium und Menschen verloren hat.
Wann wäre aus Ihrer Sicht der Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen?
Wir sehen überhaupt keine Bereitschaft Russlands zu Verhandlungen. Jeden Tag werden ukrainische Städte beschossen. Ich habe heute drei Mal versucht, meine Mutter in Kiew anzurufen. Es ging nicht, weil es nur drei Stunden lang Strom gab. Auch Mobilfunknetze funktionieren nicht. Voraussetzung für Verhandlungen muss ganz klar der Rückzug der russischen Truppen sein.
Ist die Ukraine in Sachen Gefangenenaustausch weiterhin mit Russland im Gespräch?
Das läuft ständig. Es gibt permanent Gespräche über Gefangenaustausche. Aber das geschieht in aller Stille. Das muss so sein, wenn es erfolgreich sein soll.
Dankbar für Panzerkoalition
Stichwort Leopard-Kampfpanzer: Bis sie an der Front eintreffen, wird noch Zeit vergehen. Kommen Sie womöglich zu spät?
Hauptsache, sie kommen! Und wir sollten uns beeilen, denn wir müssen damit rechnen, dass Russland versucht, schon bald eine neue Offensive zu starten. Wir haben nach diesen Panzern schon in der ersten Phase des Krieges gefragt, und es hat leider ziemlich lange gedauert. Jeden Tag bezahlt die Ukraine diese Zeit mit dem Blut von Soldaten und Zivilisten, die umgebracht werden.
Alle Waffen, die wir bekommen, helfen, Leben zu retten und uns zu verteidigen. Ohne Waffen können wir gegen diese russische Maschine nichts machen. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn die Panzer früher gekommen wären. Dennoch sind wir für diese Entscheidung dankbar, sie ist für unsere Verteidigung bahnbrechend. Wichtig ist, dass jetzt eine Panzerkoalition gebildet wurde. Nicht nur Deutschland liefert, sondern viele europäische Länder, die Leopard-Panzer besitzen, erhalten von Deutschland die Genehmigung zu liefern und sie beteiligen sich auch.
Rechnen Sie damit, dass es noch einmal zu einem russischen Großangriff auf Kiew kommt?
Da bin ich überfragt. Das weiß niemand. Unsere Armee kalkuliert in ihrer Planung natürlich alle Möglichkeiten ein.
Wird Deutschland jetzt Kriegspartei?
Seit dem Leopard‑2-Beschluss wachsen in Deutschland eine neue Beklommenheit und eine neue Begriffsverwirrung. Liegt darin schon eine Kriegserklärung an Russland? Völkerrechtlich lautet die kurze Antwort: nein. Die UN-Charta würde sogar noch weiter gehende Militärhilfen für die angegriffene Ukraine zulassen – auch Flugzeuge, Raketen und Schiffe.
Es gibt Berichte, wonach Russland 200.000 mobilisierte Soldaten zusätzlich an die Front werfen will. Was bedeutet das für die Ukraine, Sie können Ihre Truppenstärke nicht unendlich aufrüsten?
Wir sehen, dass Russland sich vorbereitet. Wir tun das auch und wir stimmen unsere Vorbereitung eng mit unseren Partnern ab. Berichte und Aufklärungsergebnisse werden ausgetauscht. Dabei es ist sehr wichtig, dass die militärische Unterstützung der Ukraine kontinuierlich weitergeht, damit wir uns schützen und die Menschen in den von Russland besetzten Gebieten befreien können. Uns geht es in erster Linie um Menschen. Das ist übrigens der Unterschied zu den Russen, die Unmengen von Soldaten an die Front bringen und überhaupt keinen Wert auf menschliches Leben legen.
Heißt das, Sie hoffen mit westlicher Militärtechnik die zahlenmäßige Überlegenheit der Russen aufwiegen zu können?
Ich bin kein Militärtechniker, ich kann Ihnen nicht sagen, ob ein Panzer fünf Soldaten ersetzt. Tatsache ist, es ist viel effizienter die russischen Angriffe mit moderner Waffentechnik abzuwehren. Gerade die deutschen Waffensysteme haben bisher klar gezeigt, wie überlegen sie der russischen Technik sind.
Zum Beispiel hat sich das hochmoderne Luftabwehrsystem IRIS-T mit einer Trefferquote von fast 99 Prozent sehr bewährt. Die Panzerhaubitze 2000 hat geholfen, russische Munitions- und Kraftstoffdepots auszuschalten. Auch der Mehrfachraketenwerfer Mars II war sehr wichtig. Das heißt, deutsche Waffen machen einen Unterschied.
Deutsche Waffen machen einen Unterschied
Nach den Kampfpanzern fordert die Ukraine jetzt auch Kampfflugzeuge und Langstreckenraketen. Es war sogar von U-Booten die Rede.
Ich verstehe nicht, warum es in den Medien immer heißt, wir würden etwas fordern, wenn wir um etwas bitten. Die Gespräche mit unseren Partnern werden mit anderen Redewendungen geführt, nicht mit „fordern“. Was wir grundsätzlich brauchen, sind auch moderne Kampfflugzeuge und Langstreckenraketen. Ein großer Teil der russischen Marschflugkörper werden von unserer Luftwaffe abgefangen, die aus alten sowjetischen Maschinen besteht. Hier müssen wir nachrüsten mit modernen westlichen Flugzeugen.
Also bitten Sie jetzt Deutschland um Kampfflugzeuge und Langstreckenraketen?
Wir haben bisher mit Deutschland nicht über Kampfflugzeuge gesprochen. Es gibt von unserer Seite gegenüber Deutschland keine offizielle Anfrage zur Lieferung deutscher Kampfflugzeuge. Es ist nichts im Gespräch.
Immer wieder ist von Politikern zu hören, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse.
Das freut mich sehr, denn früher hieß es immer nur die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren.
Aber was heißt das konkret aus Ihrer Sicht? Ist der Krieg gewonnen, wenn ukrainische Truppen vor Moskau stehen?
Erstens: Die russischen Besatzungstruppen müssen unser Land verlassen, inklusive die Donbass-Region und die Krim. Das ist völkerrechtlich anerkanntes ukrainische Territorium. Punkt zwei: die russische Führung und russische Kriegsverbrecher müssen verurteilt werden. Und Russland muss Reparationen zahlen für die Zerstörung der Ukraine und für den Wiederaufbau. Außerdem wird es im Interesse alle demokratischen Länder der Welt sein, Russland die Fähigkeit zu nehmen, weiter Kriege zu führen und seine gesamte Nachbarschaft zu terrorisieren.
Nach russischen Angaben waren russische Bomberflugplätze etwa 500 Kilometer hinter der ukrainische Grenze in den Regionen Rjasan und Saratow Ziele ukrainischer Angriffe. Waren das Einzelaktionen oder fasst Kiew weiterhin solche Ziele ins Auge?
Das waren unglückliche Unfälle auf russischem Territorium. Vielleicht hat dort jemand geraucht in der Nähe von Munitionsdepots oder mit Feuer gespielt.
Mitte Januar sorgte ein Korruptionsskandal für Schlagzeilen in Kiew, in den wichtige Ministerien verwickelt sein sollen, darunter auch das Ressort Verteidigung. Können Sie etwas zum Stand der Ermittlungen sagen?
Dazu kann ich nichts sagen, die Ermittlungen haben gerade begonnen. Aber ich möchte betonen, dass die Ukraine in den letzten Jahren ein sehr effizientes Antikorruptionssystem aufgebaut hat. Bei jedem Verdacht wird sofort ermittelt. Was jetzt geschehen ist, muss untersucht werden und die darin verwickelten Personen müssen durch ein Gericht verurteilt und bestraft werden. Die ukrainische Gesellschaft zeigt in diesen Kriegszeiten null Toleranz gegenüber Korruption.