Ukrainisierung vs. Russifizierung

Ukrainer stürzen Denkmäler – Russen bauen sie auf

Kiew reißt sowjetisches Denkmal für ukrainisch-russische Freundschaft nieder

Kiew reißt sowjetisches Denkmal für ukrainisch-russische Freundschaft nieder

Kiew/Moskau. Unter dem Eindruck des Blutvergießens in ihren zerbombten Städten und Dörfern trennt sich die Ukraine immer rigoroser von ihrem russischen Erbe. Denkmäler russischer Schriftsteller werden gestürzt und Straßen umbenannt. Schon seit Jahren wird die noch vor wenigen Jahren am weitesten verbreitete russische Sprache auch von der ukrainischen Führung zurückgedrängt – zum Ärger Moskaus. In den von Russland besetzten Gebieten hingegen wird die Ukrainisierung des Lebens inzwischen mit Gewalt rückgängig gemacht.

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Um die Welt gingen die Bilder aus der Hauptstadt Kiew, wo Bürgermeister Vitali Klitschko ein Denkmal für die Freundschaft beider Völker abreißen ließ. Das Monument zweier Arbeiter – eines Ukrainers und eines Russen – stammte aus Sowjetzeiten, als beide Länder Teil eines Staates waren. Zuerst fiel der Kopf des russischen Arbeiters. Das habe Symbolkraft, meinte Klitschko. „Wir müssen den Feind und den russischen Besatzer aus unserem Land vertreiben.“

In der Vergangenheit waren schon in vielen Orten Denkmäler des russischen Revolutionsführers Lenin entfernt worden, der die Sowjetunion vor 100 Jahren 1922 gegründet hatte. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte im Februar erklärt, die Ukraine habe Lenin und dem russischem Imperium ihre Größe zu verdanken. Er werde ihr zeigen, was es bedeute, sich von diesem Erbe loszusagen. Kurz darauf befahl er am 24. Februar den Einmarsch, den Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew vor allem als Vernichtungskrieg gegen alles Ukrainische sieht.

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Russlands Invasion verschnellert die Loslösung der Ukraine

Putins Bomben und Raketen beschleunigen in der Ukraine inzwischen die radikale Abkehr von der „russischen Welt“, die der Kremlchef eigentlich erhalten wollte. Jetzt geraten auch andere Monumente ins Visier. Denkmäler für den russischen Nationaldichter Alexander Puschkin im westukrainischen Mukatschewe und für den Schriftsteller Maxim Gorki in Winnyzja wurden entfernt. In Odessa steht das zentrale Denkmal der deutschstämmigen russischen Zarin Katharina II. zur Debatte, die die Hafenstadt gegründet hatte.

Russlands Angriffskrieg, gestartet von Putin mit dem Ziel, eine Zwangs-Ukrainisierung zu verhindern, hat das Gegenteil erreicht. In der Hauptstadt Kiew wird über Namen von mehr als 500 Straßen, Plätzen, Parks und U-Bahnstationen diskutiert. „Wir stellen Denkmäler zu Ehren der Menschen auf, die einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der ukrainischen Kultur, der ukrainischen Geschichte geleistet haben“, sagte die Stadtratsabgeordnete Xenija Semenowa von der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ im Fernsehen zu den Plänen.

Teenager in Odessa offenbar nach Raketenangriff gestorben

Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj soll ein 14-jähriger Junge in Odessa getötet worden sein.

Entfernt werden soll auch das erst 2007 aufgestellte Denkmal für den weltberühmten Kiewer Schriftsteller Michail Bulgakow an seinem Wohnhaus in Kiew. Doch es gibt Streit. Der Parlamentarier der Präsidentenpartei Danylo Hetmanzew ist gegen die Entfernung von Bulgakow oder Lew Tolstoi aus dem Bild der Stadt. „Nicht Tolstoi und Bulgakow bombardieren Kiew. Das machen Wilde, die mit Kultur nichts gemeinsam haben“, schrieb er bei Facebook. Bulgakow, Puschkin und Tolstoi hätten keine Nationalität und seien Teil der Weltkultur.

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Moskau kritisiert seit Jahren einen antirussischen Kurs der Regierung in Kiew. Russlands Außenminister Sergej Lawrow beklagte in einem Fernsehinterview in Italien erst diese Woche die schon seit Jahren dauernde Unterdrückung alles Russischen, etwa „die Schließung von Fernsehsendern in russischer Sprache, das Ende des Verkaufs jedweder Druckerzeugnisse in russischer Sprache“. Lawrow warf erneut den USA vor, diese gegen Russland gerichtete Politik in der Ukraine zu steuern, um Feindschaft zwischen den Völkern zu säen und die Region zu destabilisieren. Es gehe ihnen darum, Russland zu besiegen.

Russland baut Denkmäler in Cherson wieder auf

In den von Russland im Krieg eingenommenen und besetzten Gebieten wird indes die Zeit zurückgedreht. Das Gebiet Cherson im Süden der Ukraine hat den russischen Rubel eingeführt – wie zuvor schon die Gebiete Luhansk und Donezk, deren Unabhängigkeit Moskau anerkennt. Die Menschen empfangen statt ukrainischer nun wieder russische Fernseh- und Radiosender. Tausende erhalten russische Sozialhilfe. Im Gebiet Cherson steht das Denkmal Lenins wieder in Nowa Kachowka und in Henitschesk auf dem zentralen Platz vor der Stadtverwaltung.

Das Leben in der russischen Welt lockt vor allem mit mehr Geld. In den Gebieten Luhansk und Donezk im Donbass erhalten die Veteranen des Zweiten Weltkrieges zum Tag des Sieges der Sowjetunion über den deutschen Faschismus am 9. Mai 10 000 Rubel (134 Euro). Putin hatte im Februar auch erklärt, die Menschen in der Ukraine seien unter Selenskyj nur noch ärmer geworden. Sie hätten mehr verdient. Bekommen haben sie bisher aber vor allem – wie etwa in der Hafenstadt Mariupol – Zerstörung, Tod, Hunger und Leid.

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Russlands „Entnazifizierung“

Unter „Entnazifierung“ läuft die russische Militäroperation, wie Außenminister Lawrow in dem Interview noch einmal betonte. Dabei warf er Staatschef Selenskyj, der jüdische Wurzeln hat, vor, er lasse Gesetze im Sinne einer „nazistischen Theorie und Praxis“ verabschieden. Zudem beklagte Lawrow, dass der größte ukrainische Faschist Stepan Bandera, der im Zweiten Weltkrieg mit den deutschen Faschisten kollaborierte, heute wie ein Nationalheld verehrt werde. Er hat inzwischen Dutzende Denkmäler im Land.

Während Russland den Tag des Sieges trotz des Krieges in der Ukraine am 9. Mai wieder mit Militärparaden und Feuerwerk begehen wird, verschwindet indes in der Ukraine das einst gemeinsame Gedenken aus dem öffentlichen Leben. Mit dem erwarteten Sieg der Ukrainer über Russland werde der Feiertag seine Bedeutung verlieren, sagt der Chef des für die Geschichtspolitik zuständigen Instituts für nationales Gedächtnis, Anton Drobowytsch. „Nicht, weil irgendjemand das verbieten wird, sondern weil wir unseren Sieg haben werden, der wichtiger für uns, für unsere Identität ist“, sagt der 36-Jährige.

RND/dpa

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