Türkei-Wahl: Wie die Präsidentschaftswahl die deutschtürkische Community spaltet – ein Ortstermin
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Amtsinhaber oder Herausforderer? Das türkische Volk hat die Wahl.
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Berlin. „Giriş“ (Eingang) steht auf einem Zettel geschrieben, der an einem Stahltor des Türkischen Generalkonsulats in Berlin hängt. Ein paar Meter weiter steht „çıkış“ (Ausgang) geschrieben. Davor stehen Absperrgitter und drei Männer in roten Warnwesten dirigieren das Menschenaufkommen. Daneben hängt eine große Türkei-Fahne, vor der viele für Fotos posieren. Die beiden Zettel leiten den in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken den Weg zur Stimmenabgabe für die Stichwahl zur Präsidentschaft in der Türkei.
Recep Tayyip Erdoğan oder Kemal Kılıçdaroğlu: Das türkische Volk hat die Wahl – und ist gespalten. Die Fronten zwischen religiösen Traditionalisten und den Befürwortern eines neuen, demokratischen Weges sind verhärtet. Auch in Deutschland: Die Stimmung vor dem Berliner Wahllokal ist angespannt.
Recep Tayyip Erdoğan: Traditionalist kommt bei vielen gut an
„Er hat viel für die Türkei getan und wir sind sehr stolz auf ihn“, sagt eine junge Frau über den amtierenden Präsidenten Erdoğan. Er lebe den Glauben vor und sei sympathisch. Ihre beiden Begleiterinnen tragen ein traditionelles Kopftuch und stimmen ihr nickend zu. Auf die Frage, ob sie sich in Deutschland angenommen fühle, sagt sie : „Na ja, wir sind halt hier zur Welt gekommen.“
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Erdogans Erfolg, eine Folge deutscher Versäumnisse
Dass der Autokrat Erdogan bei Türkinnen und Türken in Deutschland so gut abschneidet, hat viel mit deutschen Versäumnissen zu tun. Zum einen hat die deutsche Gesellschaft zu wenig dafür getan, dass sich türkische Migranten und ihre Nachfahren hier zu Hause fühlen können. Zum anderen konnten die Außenstellen von Erdogans Autokratie in den Ditib-Moscheen zu lange frei walten, kommentiert Felix Huesmann.
Ein paar Meter weiter steht ein junger Mann Mitte 20 und schaut sich nervös um. Warum hat Recep Tayyip Erdoğan eine so große Fangemeinde in Deutschland? Der Jungwähler reagiert nervös: „Können wir ein bisschen hier rüber gehen?“ Bei seiner Antwort verhaspelt er sich und setzt zwei, drei Mal neu an. Immer wieder schaut er sich dabei um. Schließlich sagt er: „Sorry, ich kann gerade irgendwie nicht reden.“ Er bricht das Gespräch ab. Im Internet gebe es Videos, die zeigen, wie Erdoğan-Gegner angegangen und bedroht werden. Auch er habe Angst vor Übergriffen.
Erdoğan-Fan: „Er vertritt unsere Werte“
Direkt vor dem Eingang steht eine Frau mittleren Alters mit Kopftuch und sammelt Spenden für die Opfer der Erdbebenregion. Sie sei in Deutschland geboren und aufgewachsen und fühle sich insgesamt wohl, sagt sie. Präsident Erdoğan sei ein „guter Mann“. Er habe Wohlstand gebracht und Krankenhäuser aufgebaut. Ohne ihn wäre die Türkei noch lange nicht dort, wo sie heute ist.
Das sieht auch ein in Deutschland geborener Türke um die 40 so. Warum viele ihr Kreuz beim amtierenden Präsidenten setzen, ist für ihn klar: „Weil er stabile Werte vertritt und traditionell ist. Er vertritt das, was wir uns wünschen. Man sieht ja einen Aufschwung, es wird immer besser.“
Erdogan oder Kilicdaroglu? Stichwahl in der Türkei soll Entscheidung bringen
Auf dem Balkon seines Parteigebäudes in Ankara gab sich Erdogan am frühen Montagmorgen siegessicher.
© Quelle: Reuters
Erdoğan-Gegner: „Das führt leider dazu, dass sie diesem Faschisten ihre Stimme geben“
Etwas abseits steht ein junger Mann und dreht sich eine Zigarette. Er trägt langes Haar und einen Ring in der Nase. Am Hals ist ein kleines Tattoo zu erkennen. Warum Präsident Erdoğan eine so große Anhängerschaft in Deutschland hat, kann er nicht begreifen – und sagt das auch deutlich: „Leider Gottes gibt es hier sehr viele Menschen, die wenig politisch gebildet sind und häufig die Meinung ihrer Familien übernehmen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was in dem Land passiert, in dem sie selber gar nicht leben. In dem sie, wenn überhaupt, nur Urlaub machen.“ Das führe zu einem „ekligen Nationalstolz“, den der amtierende Präsident sehr gut bediene.
Dazu trage auch eine fehlende Integration in Deutschland bei. „Es ist eher eine Art Assimilation. Man soll sich einer deutschen Leitkultur anpassen und da entsteht schnell ein gekränktes Gefühl, und dieses nimmt Erdoğan dann auch wieder sehr gut auf und zeigt: Ich bin der starke Mann, der für euch einsteht, auch im Ausland“, sagt der junge Mann. „Das führt leider dazu, dass sie diesem Faschisten ihre Stimme geben.“ Mit dieser Wahl tragen seiner Meinung nach viele in Deutschland lebende Türkinnen und Türken dazu bei, dass das Land in Grund und Boden gerichtet werde.
Vor dem Eingang des Türkischen Generalkonsulats läuft ein älterer Mann vor dem Absperrgitter auf und ab. Dabei spricht er betont deutlich: „Ich lebe seit 41 Jahren in diesem Land und bin sehr dankbar. Hier funktioniert die Demokratie, bei uns in der Türkei gibt es keine.“ Die Männer in den roten Warnwesten fordern ihn auf, zu gehen. Wenige Meter entfernt beobachtet ein Polizist die Situation genau. „Ich habe vor niemandem Angst“, sagt der Mann, während er sich von der Szenerie entfernt.
Vor der Türkei-Fahne neben dem Zettel „çıkış“ (Ausgang) schießen Frauen mit Kopftuch fleißig weiter Fotos. An ihnen vorbei drängt sich eine schick gekleidete Frau mittleren Alters und schaut sich um. Auf die Frage, warum der amtierende Präsident so viele Anhänger in Deutschland hat, sagt sie leise: „Erdoğan muss weg, wirklich!“