Streit um Nato-Norderweiterung: Warum Erdogan Schwedens Beitritt blockiert und Finnland hofft
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ZRG524PYNVBP7CBFIOLQXVD6AI.jpg)
Schweden kann nach einer Koranverbrennung in Stockholm nach Aussage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht mit einer Unterstützung der Türkei für einen Nato-Beitritt rechnen.
© Quelle: IMAGO/APAimages
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan könnte an diesem Freitag (17. März) nach monatelanger Blockade seine Zustimmung zum Nato-Beitritt Finnlands ohne Schweden verkünden. Es wird erwartet, dass Erdogan bei einem Treffen mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö in Istanbul grünes Licht für den Schritt gibt. Die Aufnahme Finnlands könnte damit noch vor der Wahl in der Türkei am 14. Mai vom Parlament ratifiziert werden.
Dass Erdogan Finnland den Vortritt gibt und Schweden warten lässt, damit hatte man im Norden Europas zuletzt immer stärker gerechnet. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson bekräftigte am Mittwoch bei einem Besuch bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dass sein Land auch auf diese Möglichkeit vorbereitet sei - auch wenn ihm ein gemeinsamer Beitritt mit Finnland weiterhin lieber wäre.
Islamfeindliche Protestaktionen in Schweden verkomplizierten die Lage
Doch islamfeindliche Protestaktionen im schwedischen Stockholm verkomplizierten die Lage. Als im Januar dieses Jahres der rechtsextreme Aktivist Rasmus Paludan vor der türkischen Botschaft in Stockholm einen Koran verbrannte, loderten in Ankara die Flammen der Empörung. Ein Sprecher des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geißelte die Koranverbrennung als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von GetPodcast, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Das türkische Außenministerium verurteilte „den abscheulichen Angriff auf unser heiliges Buch“ aufs Schärfste. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar lud seinen schwedischen Kollegen Pal Jonson, der in dieser Zeit nach Ankara reisen wollte, wieder aus.
Schwedischer Botschafter in Ankara einbestellt
Erst wenige Tage zuvor hatte das türkische Außenministerium den schwedischen Botschafter einbestellt, nachdem Demonstranten in der Nähe des Stockholmer Rathauses eine Puppe mit den Gesichtszügen Erdogans kopfüber aufgehängt hatten. Dass die schwedische Staatsanwaltschaft entschied, wegen des Vorfalls keine Ermittlungen einzuleiten, brachte die türkische Regierung zusätzlich in Rage.
Erdogan: Türkei unterstützt keinen Nato-Beitritt Schwedens
Protestaktionen in Schweden hatten zuletzt erneuten Ärger mit der Türkei nach sich gezogen.
© Quelle: dpa
Türkei will Auslieferung von „Terroristen“
Erst die Puppe am Galgen, dann die Koranverbrennung: Für Staatschef Erdogan waren das gleich zwei Steilvorlagen. Im Tauziehen um die Nato-Norderweiterung schaltete er auf stur. Schweden könne „nach einer solchen Widerwärtigkeit kein Wohlwollen mehr von uns erwarten“, sagte Erdogan im Januar. Die schwedische Regierung lasse „Terrororganisationen ihr Unwesen treiben und erwartet dann unsere Unterstützung“ bei der Nato-Aufnahme. „Das wird nicht passieren“, so Erdogan.
Schweden und Finnland hatten nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ihre jahrzehntelange Neutralität aufgegeben und am 18. Mai vergangenen Jahres die Aufnahme in die Nato beantragt. Am 5. Juli unterzeichneten in Brüssel die Botschafter aller Nato-Staaten die Beitrittsprotokolle. Damit die Aufnahme vollzogen werden kann, müssen die Parlamente aller 30 Mitgliedsländer zustimmen. Zwei Ratifizierungen stehen zuletzt noch aus.
Medienbericht: Ungarn verschiebt Nato-Votum erneut
Das ungarische Parlament wollte eigentlich in einer am 20. März beginnenden Sitzung über die Anträge entscheiden. Wie das Nachrichtenportal „atv.hu“ jedoch am Freitag aus Fraktionskreisen der Regierungspartei Fidesz erfuhr, sei nun geplant, dass die Volksvertretung nun erst am 31. März über die Ratifizierung der Beitrittsprotokolle abstimmt. Eine Delegation des ungarischen Parlaments hat ihre Unterstützung für den Beitritt Schwedens zur Nato bereits Anfang März bekundet. Auch Ministerpräsident Viktor Orban sprach sich zwar mehrfach für die Annahme der Beitrittsprotokolle aus, ließ aber Debatte und Abstimmung über die Dokumente unter verschiedenen Vorwänden immer wieder verschieben.
Erdogan knüpft die Ratifizierung an immer neue Bedingungen, vor allem im Fall Schwedens, das traditionell ein Zufluchtsort für politisch verfolgte Türkinnen und Türken ist. Ankara fordert von Stockholm ein schärferes Vorgehen gegen Terrororganisationen wie die kurdische PKK, aber auch gegen türkische Regierungskritiker, die in Schweden Aufnahme gefunden haben.
Anfangs forderte die Türkei von Schweden die Auslieferung von 33 Gesuchten. Im Dezember wurde die Zahl 42 genannt. Dann legte Erdogan nochmals nach: Mitte Januar sprach er von „fast 130 Terroristen“, die ausgeliefert werden müssten.
Die jüngste Verschärfung des Streits spielt Erdogan innenpolitisch in die Karten. Vor der Parlaments- und Präsidentenwahl im Mai dieses Jahres kann er sich seinen Landsleuten als starker Führer präsentieren, der die Nato vor sich hertreibt und die Werte des Islam verteidigt. Das dürfte ihm Beifall seiner religiös-nationalistischen Kernwählerschaft einbringen.
Ungeduld in der Nato wächst
In der Allianz wächst die Ungeduld. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg appellierte an die Türkei, den Weg für die Nordweiterung frei zu machen. Er selbst finde zwar die Koran-Verbrennung „unangemessen“, ein solcher Protest sei aber in einer Demokratie nicht zwangsläufig illegal, sagte Stoltenberg im TV-Sender „Welt“.
Aktualisiert mit dpa-Material