SPD-Chefin Saskia Esken: „Christian Lindner und ich sind seit einigen Wochen per Du“
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Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken.
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa
Berlin. Frau Esken, haben Sie als Kind gern Verstecken gespielt?
Das machen doch alle Kinder gern.
Viele in der Union sagen, Sie verstecken sich gerade häufig.
Viele in der Union behaupten sogar, ich würde versteckt. Das ist Blödsinn. Ich bin viel im Wahlkampf unterwegs. Wir sind ständig auf den Straßen und Marktplätzen, klopfen an Wohnungstüren und stehen an Infoständen, um bisher unentschiedene Wählerinnen und Wähler von der SPD zu überzeugen.
Warum waren Sie nach dem TV-Triell nicht bei Anne Will? Jens Spahn hatte sich als Vertreter der CDU schon auf die Debatte mit Ihnen gefreut.
Ich hatte die Wahl, entweder am Sonntag das Triell von ARD und ZDF bei Anne Will zu kommentieren oder an diesem Sonntag darüber zu diskutieren, wie wir unsere Klimapolitik sozial gerecht gestalten. Das ist eines der Themen, die mich am meisten umtreiben – und deshalb habe ich für diese Sendung zugesagt.
Wer hat im Fall einer gewonnenen Wahl das Sagen in der SPD: die Parteivorsitzenden oder der Kanzlerkandidat?
Nach der Wahl läuft es so wie auch jetzt schon: Der Kanzlerkandidat, die Parteivorsitzenden und die übrige Spitze der SPD arbeiten eng und vertrauensvoll zusammen. Die SPD steht so geschlossen wie schon lange nicht mehr. Olaf Scholz, Norbert Walter-Borjans und ich werden unseren Weg gemeinsam fortsetzen.
Zur Frage nach Ihrer Zukunft als Parteichefin haben Sie gesagt, Sie hätten noch eine Agenda vor sich. Kandidieren Sie definitiv noch einmal? Und: Wollen Sie im Duo mit Norbert Walter-Borjans weitermachen?
Wir konzentrieren unsere ganze Kraft momentan auf den Wahlkampf und unser Ziel, die SPD zur stärksten Kraft und Olaf Scholz zum nächsten Bundeskanzler zu machen. Die Zusammenarbeit zwischen Norbert Walter-Borjans und mir ist sehr gut. Dass wir jetzt eine Doppelspitze mit zwei Menschen nicht nur unterschiedlichen Geschlechts haben, die jeweils ihre eigenen Sichtweisen und Erfahrungen einbringen und gemeinsam die Partei führen, hat die SPD definitiv bereichert.
Nach der Bundestagswahl ist voraussichtlich ein Drei-Parteien-Bündnis nötig. Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat die Regierungsfähigkeit der Linken mit Blick auf die Außenpolitik stark in Zweifel gezogen und gesagt, die Linke habe sich ins Abseits gestellt. Stimmen Sie zu?
Ich halte es für grundfalsch, dass die Linken im Bundestag gegen die Evakuierungsmission der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt haben. Das war verantwortungslos gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und gegenüber den Ortskräften in Afghanistan – ein falsches Signal.
Ausschließen wollen Sie eine Koalition mit der Linken dennoch nicht.
Über mögliche Koalitionen reden wir nach der Wahl. Erst dann wissen wir genau: Mit wem haben wir es am Verhandlungstisch zu tun? Das gilt für die Linke wie für die anderen Parteien. Nur mit den Rechtspopulisten von der AfD sprechen wir nicht. Klar ist aber: Wer nicht bereit ist, außenpolitisch Verantwortung zu übernehmen und sich eindeutig zur Nato zu bekennen, mit dem können wir nicht regieren.
Als realistischste Koalitionsoption für die SPD gilt die Ampel. Was mögen Sie an FDP-Chef Christian Lindner?
Christian Lindner und ich sind seit einigen Wochen per Du und begegnen uns bei Podien und Talkrunden sehr professionell und freundlich. Nach einem etwas holprigen Start freut mich diese positive Entwicklung. Am Ende geht es darum, ob man miteinander etwas erreichen kann. Das werden wir nach der Wahl auch mit der FDP ausloten. Die Wirtschaftswissenschaft hat die neoliberale Idee ja längst als Irrweg erkannt, und es gab in der Geschichte der Bundesrepublik sozialliberale Koalitionen, die gut und erfolgreich zusammengearbeitet haben.
Schicken wir noch mehr Impfmobile los! Impfen wir auch in Supermärkten!
Saskia Esken,
SPD-Chefin
Die Corona-Krise wird das Land auch nach der Bundestagswahl weiter beschäftigen. Schließen Sie eine Impfpflicht dauerhaft aus?
Eine Impfpflicht ist unter keinen Umständen der richtige Weg. Wir müssen und werden weiter für das Impfen werben. Wer sich impfen lässt, schützt schließlich nicht nur sich selbst, sondern auch Kinder unter zwölf Jahren, die noch nicht geimpft werden können. Oberste Priorität hat, dass wir in der Bildung wieder Begegnung ermöglichen und die Schulen offenhalten. Ich bin dafür, alles zu tun, was wir machen können, damit das Impfen für die Menschen so einfach wie möglich ist. Schicken wir noch mehr Impfmobile los! Impfen wir auch in Supermärkten! Diese Bemühungen müssen wir weiter ausbauen.
Sollen diejenigen, die ohne medizinischen Grund auf die Impfung verzichten, im Fall von Quarantäne künftig keine Lohnfortzahlung mehr erhalten?
Jeder ist frei, sich auch ohne medizinischen Grund gegen eine Corona-Impfung zu entscheiden. Ich halte es aber für richtig, dass der Einzelne dann auch die Verantwortung für seine Entscheidung übernimmt.
Was heißt das konkret?
Es ist nachvollziehbar, dass es im Fall von Quarantäne dann keine Lohnfortzahlung mehr gibt – schließlich muss die Allgemeinheit dafür aufkommen. Ich finde es wichtig, dass die Gesundheitsminister der Länder hierfür ein Konzept entwickeln, das sich bundesweit umsetzen lässt. Und im Fall hoher Hospitalisierungszahlen, wenn also die Intensivstationen mit zumeist ungeimpften schweren Covid-Verläufen volllaufen, halte ich es auch für richtig, den Besuch im Restaurant oder im Kino auf Geimpfte oder Getestete zu beschränken, statt die Gastronomie- und Kulturstätten wieder für alle zu schließen.
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Leiden darunter nicht zuerst Familien mit Kindern unter zwölf Jahren, die nicht geimpft werden können?
Nein. Kinder unter zwölf Jahren und Vorerkrankte müssen von solchen Regelungen ausgenommen sein. Das wäre sonst ungerecht. Wer sich nicht impfen lassen kann, darf keinen Nachteil haben.
Aus der Corona-Pandemie zu lernen bedeutet auch: Wir müssen beim Thema Depressionen und psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen genau hinschauen.
Saskia Esken,
SPD-Chefin
Die Einschränkungen in der Pandemie haben für viele Kinder auch große psychische Belastungen bedeutet. Was muss man da jetzt tun?
Für uns alle war von einem Moment auf den anderen unser normales Leben vorbei – für Wochen, für Monate. Das war insbesondere für die junge Generation eine schlimme Situation. Aus der Corona-Pandemie zu lernen bedeutet auch: Wir müssen beim Thema Depressionen und psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen genau hinschauen. Deutschland muss mehr Ärztinnen und Ärzte dafür ausbilden, es braucht auch mehr Klinikplätze. Die Versorgung war hier schon vor der Pandemie nicht ausreichend – gerade, wenn es um Hilfe auch in ländlichen Regionen geht.
In der Pandemie hat es Fortschritte beim Thema Digitalisierung in den Schulen gegeben, aber die Defizite sind weiter groß. Was muss die nächste Bildungsministerin oder der nächste Bildungsminister tun?
Beim Thema Digitalisierung und Schule war das Handeln der Bundesbildungsministerin leider an keiner einzigen Stelle ambitioniert. Wir brauchen digitale Plattformen für Lehr- und Lerninhalte, die auch länderübergreifend funktionieren. Es fehlen noch immer digitale Kompetenzzentren für die Lehrerfortbildung. Das Geld aus dem Digitalpakt Schule fließt noch zu langsam ab, weil Länder und Kommunen die berechtigte Sorge haben, dass man sie nach der Hilfe bei den Startinvestitionen mit allen Kosten und Problemen allein lässt.
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Was fordern Sie genau?
Der Digitalpakt muss verstetigt werden. Der Bund muss Länder und Kommunen bei der Digitalisierung in den Schulen dauerhaft finanziell unterstützen. Dieses Thema muss die nächste Bundesbildungsministerin oder der nächste Bildungsminister sofort anpacken. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der digitalen Bildung muss besser und intensiver werden. Sonst verschärft sich die Bildungsungerechtigkeit. Den höchsten Preis für Mängel im Schulsystem zahlen immer die Kinder, die zu Hause kaum oder gar nicht gefördert werden können.
Wollen Sie Bundesbildungsministerin werden?
Ich kämpfe dafür, dass Olaf Scholz Bundeskanzler wird. Und gemeinsam mit der SPD will ich dafür sorgen, das Thema digitale Bildung voranzubringen – wie ich es auch schon vor meiner Wahl zur SPD-Chefin getan habe.