Gratis-Essen für Schulkinder: Fußballstar Rashford zwingt Premier Johnson in die Knie
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/4P53KZLU2ZGTRKXBXJQN27JYGI.jpeg)
Muss sich nach Marcus Rashfords Brief geschlagen geben: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien.
© Quelle: House Of Commons/PA Wire/dpa
London. Mit „Parteipolitik“ habe sein Einsatz nichts zu tun. Es sei einfach „eine Frage der Menschlichkeit“, erklärte gestern Marcus Rashford. Aber der Appell, den der Manchester-United-Fussballer und englische Nationalstürmer an Grossbritanniens Regierungspartei richtete, erwies sich in seiner Menschlichkeit als hochexplosiv.
Rashford forderte im Grunde Premierminister Boris Johnson heraus. Er trat an gegen dessen jüngste Entscheidung, während der kommenden Sommerferien keine Essens-Gutscheine mehr für englische Schulkinder auszustellen.
Dieser Regierungsbeschluss hatte schon in den letzten Tagen Unruhe ausgelöst. Doch erst ein offener Brief des prominenten Fußballers an die Verantwortlichen im Lande machte die Sache zum Thema – und zu einem heißen dazu.
Rashfords Appell schlägt hohe Wellen
Am Dienstagmorgen griff die gesamte britische Presse Rashfords Appell auf. Die konservative Times bescheinigte dem Nationalspieler „Fair Play“ bei seinem Vorstoß. Die Labour-Opposition zettelte noch für den selben Tag eine Unterhaus-Debatte zu dieser Frage an.
Und im weiteren Verlauf des Tages sahen sich peinlich berührte Tory-Abgeordnete vor die Frage gestellt, ob sie denn wollten, dass englische Kinder hungerten, solange die Schultore geschlossen bleiben und es für die Ärmsten kein freies Schulessen gibt.
In der Tat hatte die Regierung in den letzten zwölf Wochen noch Gratis-Gutscheine für bedürftige Kinder ausgegeben, mit denen Eltern in bestimmten Läden zusätzliche Lebensmittel kaufen konnten. 15 Pfund pro Kind und Woche wurden bewilligt dabei.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VZVGQH3AQBBR5ONIWHK5JOWEYM.jpeg)
Marcus Rashford, Stürmerstar von Manchester United.
© Quelle: Owen Humphreys/PA Wire/dpa
1,3 Millionen Kinder bekommen normalerweise Gratis-Essen in Schulen
1,3 Millionen Kinder aus den einkommensschwächsten Familien erhalten normalerweise Gratis-Essen im englischen Ganztags-Schulbetrieb. Wegen der hohen Rate mittelloser Briten sind, zumal in der kolossalen Coronavirus-Krise, viele Familien auf zusätzliche Hilfe angewiesen vom Staat.
Vom Anfang der Sommerferien an aber wollte die Regierung die Essens-Gutscheine einstellen. Weiterhin laufende Subventionen für die Gemeinden, hiess es im Schulministerium, reichten voll aus.
Gegen diese Entscheidung war Rashford Sturm gelaufen. Nicht um den üblichen Parteienzank in Westminster dürfe es hier gehen, fand er: „Können wir uns nicht alle darauf einigen, dass kein Kind hungrig zu Bett gehen soll?“
Können wir uns nicht alle darauf einigen, dass kein Kind hungrig zu Bett gehen soll?
Marcus Rashford
Stürmerstar von Manchester United
Dass arme Familien in England kein Geld hätten, um sich ausreichend zu versorgen, sei schon vor der Krise ein riesiges Problem gewesen, meinte Rashford. Diese Situation könne „nur schlimmer werden“, wenn die staatlichen Covid-Hilfsaktionen demnächst eingestellt würden.
Schon in den letzten Monaten „hätte man das Wembley-Stadion zweimal füllen können mit Kindern, die auf Mahlzeiten verzichten mussten, weil ihre Familien im Lockdown nicht für genug Essen sorgen konnten.“ Er frage sich, ob diese Kinder „mit ihren knurrenden Mägen“ eines Tages wohl je stolz genug auf ihr Land wären, um sich ein Nationaltrikot überzustreifen oder die Nationalhymne anzustimmen.
Rashford: Ich hätte selbst eins dieser Kinder sein können
„Vor zehn Jahren hätte ich selbst eins dieser Kinder sein können“, erklärte der 22-jährige schwarze Fussballer, der in armen Verhältnissen in Manchester aufwuchs. Seine Mutter, die ganztags für minimalen Lohn arbeitete, habe alles getan, was sie konnte, um ihren fünf Kindern jeden Abend eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu stellen.
„Aber auch das war nicht genug. Als Familie waren wir angewiesen auf Frühstücks-Clubs, freie Schulmahlzeiten und wohltätige Nachbarn und Trainer. Suppenküchen und städtische Essensausgaben waren uns nicht fremd.“
Rashford spendete 20 Millionen Pfund an FareShare UK
Rashford, heute ein international bekannter Spieler, hat jene Jahre nicht vergessen. Während des Lockdown hat er zusammen mit der Wohlfahrts-Organisation FareShare UK 20 Millionen Pfund an Spendengeldern für hungrige Kinder aufgetan.
„Dies ist die niederschmetternde Realität Englands im Jahre 2020“, hat er anklagend erklärt. „Dringende Hilfe“ sei nötig. Dass das Schulministerium seinen Appell verwarf, mochte er nicht hinnehmen: „Noch geben wir uns nicht geschlagen.“ Den Premierminister forderte er auf, „das Richtige zu tun“.
Johnson knickt ein - Rashfords Treffer saß
Im Laufe des Dienstag zeigte Rashfords Appell Wirkung. Etliche Tory-Abgeordnete, wie der Vorsitzende des Bildungs-Ausschusses im Unterhaus, Robert Halfon, fanden, dass es zweifellos „das Richtige“ wäre, die Essens-Gutscheine weiter auszugeben. „Das ist doch elementar. Gebt den Kindern zu essen“, meinte auch die frühere Tory-Chefin Schottlands, Ruth Davidson.
Und als klar war, dass die Regierung bei der für den Abend geplanten Parlaments-Abstimmung eine böse Niederlage erleiden würde, akzeptierte auch Boris Johnson, dass der Treffer im Netz saß. Plötzlich fand der Premier 120 Millionen Pfund extra, um die Gutschein-Ausgabe auch für die Dauer der Sommerferien sicher zu stellen. Dies sei ebenfalls „England 2020“, freute sich Marcus Rashford. „Das können wir erreichen, wenn wir zusammen stehen.“