Corona, Rezession, Brexit: Schlucken die Briten das alles?

Ein Bild vom vergangenen Jahr: Damals, beim Parteitag der Konservativen im November, versprach Premier Boris Johnson, der Austritt aus der EU werde “Großbritanniens Potenzial entfesseln”. Derzeit allerdings, nach der weithin missglückten Virenabwehr, erwartet das Land laut der Bank of England die tiefste Rezession seit 300 Jahren.

Ein Bild vom vergangenen Jahr: Damals, beim Parteitag der Konservativen im November, versprach Premier Boris Johnson, der Austritt aus der EU werde “Großbritanniens Potenzial entfesseln”. Derzeit allerdings, nach der weithin missglückten Virenabwehr, erwartet das Land laut der Bank of England die tiefste Rezession seit 300 Jahren.

Den Briten bleibt derzeit wirklich nichts erspart. Und nun kommen auch noch die Chlorhühner.

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Großbritannien, nach dem Austritt aus der EU auf sich selbst gestellt, braucht dringend neue Handelsverträge für die Zeit ab Januar 2021. Doch nicht nur die Gespräche mit der EU stocken. Auch zwischen London und den USA knirscht es – obwohl doch Präsident Donald Trump seinem rechtspopulistischen Freund Boris Johnson ein “wunderbares Abkommen” versprochen hatte.

Das einstige Empire wird zur Chlorhuhn-Kolonie der USA

Der Teufel liegt, wie überall, im Detail. So besteht Washington erwartungsgemäß darauf, den Briten auch amerikanische Chlorhühner zu verkaufen. Die billig begasten Produkte sind zwar gesundheitlich unbedenklich, markieren aber im Segment industrieller Tierfleischerzeugung die allerunterste Schublade. In der EU sind sie nicht zugelassen.

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Lange tat Johnson so, als könne er die auch bei den Briten unbeliebten Chlorhühner stoppen. Doch danach sieht es nicht mehr aus. Mehrere Zeitungen berichteten in dieser Woche, London müsse dem Chlorhuhn wohl oder übel die Türen öffnen, allen bisherigen Beteuerungen zum Trotz. Das ist bitter, vor allem wegen der politischen Vorgeschichte: “Regain control” – das war einer der stolzen Schlachtrufe der britischen EU-Gegner. Man wollte “die Kontrolle zurückgewinnen”. In der Realität aber schrumpft nun das einstige Empire zur machtlosen Chlorhuhn-Kolonie der USA.

“Das war’s dann mit der zurückgewonnenen Kontrolle”, ärgerte sich etwa der Labour-Abgeordnete Richard Corbett auf Twitter. In Wirklichkeit laufe der Brexit darauf hinaus, “dass wir unsere Lebensmittelstandards absenken auf das amerikanische Level und die besseren Standards aufgeben, die wir gemeinsam mit unseren Partnern in der EU entwickelt haben”.

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Immer mehr Enttäuschungen dieser Art addieren sich in letzter Zeit für die Briten. Was sollen, was müssen sie noch alles schlucken? Wie Hohn erscheint rückblickend das Versprechen, London werde mit dem angeblich durch den Austritt aus der EU gesparten Geld das nationale Gesundheitswesen NHS sanieren.

40.000 Tote – und die tiefste Rezession seit 300 Jahren

In Wirklichkeit weisen alle Daten abwärts, in der Wirtschaft wie im Sozialwesen. Das Land wird hart geprüft. In der Viruskrise gingen die Kurven bei den Briten höher als anderswo; kein Land in Europa zählte mehr Tote. In der Wirtschaftskrise gehen die Kurven tiefer; die Bank of England erwartet inzwischen offiziell die schlimmste Rezession seit dem legendären “Great Frost”, das war im Jahr 1709.

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Johnson hätte die Möglichkeit, nun wenigstens Zeit zu gewinnen und den Austritt aus dem Binnenmarkt noch einmal um ein Jahr zu verschieben. Doch er bleibt bockbeinig. Er sieht Politik als Spiel, in dem man einfach mal dieses und mal jenes probiert. Diese Mentalität hatte dazu geführt, dass er in der Viruspolitik wochenlang erst mal das Ziel der schnellen Herdenimmunisierung verfolgte – bis das Anwachsen der Totenzahlen allzu makaber wurde.

Wie viel Nonsens, wie viel Verantwortungslosigkeit wollen sich die Briten von diesem Premier noch bieten lassen? Eben erst warnte Nissan vor der Schließung aller britischen Produktionsstätten für den Fall, dass keine rechtzeitige Vereinbarung über einen Handelsvertrag mit der EU zustande kommt. Es ist ein riskanter Poker, in dem Johnson jetzt ungerührt die Uhr ticken lässt – das Risiko tragen dabei freilich allein die britischen Arbeitnehmer.

“Keep calm and carry on”?

Die Briten müssen sich überlegen, ob sie ihr eigentlich wunderbares Motto “Keep calm and carry on” nicht inzwischen völlig falsch interpretieren. In Phasen der Bedrohung durch Kriege, Krisen oder Terror hatte der Slogan seine Berechtigung. Wenn aber die eigene Regierung einen vermeidbaren Fehler an den anderen reiht, gibt es keinen Grund, “ruhig zu bleiben und weiterzumachen”.

Ein erster dringender Schritt wäre jetzt die Verlängerung der Verhandlungen mit der EU. Als das britische Parlament auf einen Austritt aus dem Binnenmarkt schon zum 31.12.2020 pochte, konnte niemand ahnen, dass im gleichen Jahr erstens eine globale Pandemie anheben würde und zweitens die größte Rezession seit 300 Jahren. Beides sind historische Ausnahmesituationen, auf die eine vernünftige Nation jetzt eine vernünftige Reaktion finden muss.

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Es hat keinen Sinn mehr, dass britische Unterhändler sich mit dem EU-Diplomaten Michel Barnier zusammensetzen und über dieses oder jenes Detail reden. Es gibt eine Grundsatzfrage, die auf höchster Ebene geklärt werden muss, zwischen Johnson, der deutschen Kanzlerin und dem französischen Präsidenten. Die Botschaft an die Briten muss klar sein: Europa kann nach Viruskrise und Konjunktureinbruch jetzt nicht noch eine Brexit-Krise gebrauchen. Und zu Europa werden die Briten auch in Zukunft immer gehören, schon aus geografischen Gründen, allen Spielereien und allem Theater in London zum Trotz.

RND

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