Gefahr einer neuen Gewaltwelle

Wie Rechtsextreme wieder gegen Flüchtlingsunterkünfte mobilmachen

Ein Protest gegen die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft im nordsächsischen Strelln. Vorneweg ein Banner der rechtsextremen „Freien Sachsen“.

Ein Protest gegen die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft im nordsächsischen Strelln. Vorneweg ein Banner der rechtsextremen „Freien Sachsen“.

Leipzig/Berlin. Es gibt ein Protestbanner, das zurzeit durch Sachsen reist. „Wir wollen kein Asylantenheim“ steht darauf, und gemeint ist: Nicht hier und auch nicht anderswo. Denn das Banner taucht an verschiedenen Orten auf.

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In Laußig in Nordsachsen zum Beispiel, wo 280 Menschen gegen eine geplante Notunter­kunft für Asylbewerber und -bewerberinnen demonstrierten. Den Bürgermeister verdäch­tigten die Protestierenden der geheimen Planung jener Unterkunft und riefen ihm vor seinem Rathaus zu: „Komm runter, du Sau!“ Im Dresdner Stadtteil Sporbitz tauchte das Banner auf, wo Menschen schon seit Anfang November regelmäßig gegen eine geplante Containerunterkunft demonstrieren. Und in Kriebethal in Mittelsachsen war das Banner zu sehen, wo sich Widerstand regt gegen die Unterbringung von einem Dutzend minderjähriger Flüchtlinge.

Sachsen hat beim Thema Geflüchtete aktuell zwei Probleme. Im vergangenen Jahr kamen mehr Schutzsuchende als 2015 – aus der Ukraine und zuletzt wieder vermehrt aus Syrien und Afghanistan. Die Menschen brauchen Sprachkurse, Ärztinnen und Ärzte, Kita-Plätze, Woh­nungen. Die Kapazitäten werden knapp, die Unterkünfte zum Beispiel sind zwischen 60 und 90 Prozent ausgelastet. Bei der Suche nach weiteren Immobilien stoßen Landkreise und Kommunen dann auf Problem Nummer zwei: auf den Widerstand von Menschen, die ganz grundsätzlich gegen Asyl sind. „Wir haben doch 2015/16 so viel gelernt“, sagte kürzlich Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD). „Dass wir mancherorts wieder bei null anfangen, betrübt mich.“

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Rechtsextreme Demo-Touristen führen den Protest an

Dabei ist zumindest das Protestgeschehen mit 2015 aktuell nicht zu vergleichen. Es gibt zwar regelmäßig Demonstrationen an einem knappen Dutzend Orten, wo manchmal mehrere Hundert Menschen zusammenkommen.

Aber es sind nicht die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinden, die dort vorrangig demons­trie­ren. Angefeuert werden die Proteste vor allem von den „Freien Sachsen“, einer rechts­extremen Kleinstpartei, die vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet wird. Partei­kader reisen als Demo-Touristen durch Sachsen, verteilen Fahnen mit Parteilogo, bringen ihr radikales Kernklientel mit und ihre Banner. Auch das Banner mit dem Satz „Wir wollen kein Asylantenheim“ stammt von den „Freien Sachsen“.

Einige Hundert Kilometer weiter nördlich in Mecklenburg-Vorpommern sorgte der Protest gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft in der vergangenen Woche für bundesweite Schlagzeilen: Bis zu 700 Menschen demonstrierten in Grevesmühlen vor dem Sitzungs­gebäude des Kreistags. Dort beschlossen die Kommunalpolitikerinnen und -politiker an diesem Tag die Einrichtung einer Massenunterkunft in der Gemeinde Upahl. Ein kleinerer Teil der Demonstrierenden versuchte, in das Landkreisgebäude einzudringen, 120 Polizisten drängten sie zurück.

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Rechte Netzwerke mobilisieren

Sie waren zwar nicht in der Mehrheit, doch auch in Grevesmühlen waren zahlreiche Rechts­extreme unter den Demonstrierenden. Das ist nicht nur der örtlichen Polizei aufgefallen, sondern auch Daniel Trepsdorf. Er leitet das Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg und beobachtet die rechtsextreme Szene in der Region sehr genau. Zu dem eskalierten Protest hätten Neonazis aus Nordwestmecklenburg auch in rechtsextremen und völkischen Kreisen in anderen Bundesländern mobilisiert, berichtet Trepsdorf. Er sieht „ein kommunikativ vernetztes, ideologisch geschultes sowie logistisch schlagkräftiges Netzwerk aus Rechtsextremisten“ am Werk, die enorm mobilisierungsfähig seien.

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Die NPD, rechtsextreme Kampfsportler, neonazistische Wählergemeinschaften und auch die AfD machen gezielt Stimmung gegen die Aufnahme von Geflüchteten.

Die geplante Unterkunft in Upahl ist ein besonderer Fall. Dort sollen 400 Geflüchtete in Containern untergebracht werden. Das Dorf Upahl hat nur rund 500 Einwohner und Einwohnerinnen, die gleichnamige Gemeinde, zu der es mit weiteren Dörfern gehört, etwa 1600. Schwierigkeiten sind da vorprogrammiert. Und viele Fragen sind offen: Woher soll die Infrastruktur für den rapiden Anstieg der Einwohnerzahl kommen? Wie soll in einer Massen­unterkunft mitten auf dem Land Integration gelingen? Diese Fragen stellen sich viele in der Region. Auch, dass der Kreistag zuerst den heiklen Beschluss fasst und sich im Anschluss darum kümmert, die Bürgerinnen und Bürger über Details zu informieren, sorgt nicht für Beruhigung. Für Rechtsextreme, die gegen jede Aufnahme von Geflüchteten mobilmachen, entsteht so ein fruchtbarer Nährboden.

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Rechtsextreme Proteste nicht nur in Ostdeutschland

Für die rechte Szene kam der erneute Anstieg der Flüchtlingszahlen nur allzu passend: Nach den Corona-Maßnahmen hatten sich die „Freien Sachsen“ und andere Gruppen in ganz Deutschland auf Proteste gegen steigende Energiepreise und die Russland-Politik der Bundes­regierung vorbereitet. Allein: Der Winter verlief eher mild. Einen Mangel an Gas gab es nicht. Und auch die Sorgen vor explodierenden Energiepreisen konnte die Bundesregierung durch Entlastungspakete zumindest abdämpfen. Der „heiße Herbst“ und der „Wutwinter“ blieben aus.

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„Die Veranstalter solcher Protestgeschehen suchen nach Themen, die aus ihrer Sicht besser zünden“, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. „Und ja, mit hohen Flüchtlingszahlen, wie wir sie in Deutschland zurzeit feststellen können, wird auch dieses Thema wieder mehr an Gewicht bekommen“, fügte er an.

2015 versuchten Rechtsextreme in allen Teilen der Bundesrepublik, die steigenden Flücht­lings­zahlen für sich zu nutzen. Auch 2023 beschränkt sich das nicht auf die ostdeutschen Bundesländer. In Bayern versucht die Neonazi-Splitterpartei Dritter Weg mit Protesten gegen die Einrichtung neuer Flüchtlingsunterkünfte Anschluss zu gewinnen. Doch so groß wie in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern waren diese Proteste in fränkischen Städten und Gemeinden mit nur wenigen Dutzend Teilnehmenden bislang nicht.

Angst vor einer neuen Welle der Gewalt

Zurück in Sachsen. Michael Nattke beschäftigt sich beim Kulturbüro Sachsen seit Jahren mit rechtsextremen Strukturen in dem Bundesland, und er hat beobachtet, dass die Proteste vor allem eines eint: „Die Demonstrierenden sind nicht bereit, über die menschenwürdige Unter­bringung von Menschen zu diskutieren“, sagt er. Man könne ja darüber sprechen, ob kleine Orte ohne gute Infrastruktur wie Kriebethal in Mittelsachsen wirklich der richtige Platz seien, um jugendliche Asylbewerber unterzubringen. „Aber es steht nicht zur Debatte, dass die Menschen untergebracht werden“, sagt Nattke.

Michael Nattke sieht große Unterschiede zu 2015, wo die Proteste gegen Asylbewerber und ‑bewerberinnen sich lauffeuerartig verbreitet und viele Menschen vor Ort erfasst hätten. Er fürchtet aber eine Parallele: Damals zogen die Demonstrationen gewaltsame Angriffe auf Asyl­bewerber­unterkünfte und Attacken auf Geflüchtete selbst nach sich. „Ich habe Angst, dass auch dieses Mal einzelne Personen aus dem Demogeschehen zu Gewalttaten in der Lage sind“, sagt Nattke. Er hoffe, dass die Sicherheitsbehörden das aus den Erfahrungen von 2015 heraus im Blick haben.

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Diese Sorge treibt auch Daniel Trepsdorf in Nordwestmecklenburg um. Schon bei Corona-Protesten im vergangenen Jahr seien an mehreren Orten im Bundesland selbst gebaute Schusswaffen sowie Hieb- und Stichwaffen bei Neonazis sichergestellt worden. „Als Fach­kräfte nehmen wir diese Entwicklungen mit dem nötigen Respekt wahr und weisen Politik und Behörden darauf hin, dass hier ein erhöhter Handlungsbedarf besteht“, sagt Trepsdorf. Er warnt: „Brenzlige Situationen und Gewalteskalationen wie wir sie jüngst in Loitz, Upahl oder Grevesmühlen erlebt haben, können dann rasch unkontrollierbar explodieren.“

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