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Fast 8 Prozent der Bewohnenden betroffen

Pflegereport: Heimbewohner bekommen häufig Beruhigungsmittel

Ein Flur eines Altersheims.

Ein Flur eines Altersheims.

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Fast 8 Prozent der Pflegeheimbewohnenden in Deutschland erhalten dauerhaft Beruhigungs- und Schlafmittel. Das hat der am Mittwoch veröffentlichte AOK-Pflegereport gezeigt. „Die Verordnung dieser Medikamente ist kritisch“, sagte Studienleiterin Antje Schwinger. Die angstlösende Wirkung könne nach vier Wochen nachlassen und ins Gegenteil kippen und das Risiko zu stürzen erhöhe sich. Sie seien für Ältere ungeeignet.

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„Obwohl davon Hunderttausende Menschen betroffen sind, bleibt der Aufschrei aus. Bund und Länder sind gefordert, aktiv gegen solche Maßnahmen vorzugehen“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Folge einer dauerhaften Einnahme seien Schwindel, Benommenheit, schwere Stürze bis hin zu Apathie oder Aggression, warnte er. Nötig sei ein permanentes Monitoring des Einsatzes von Psychopharmaka für jede Einrichtung in der Langzeitpflege. „Transparenz ist die Voraussetzung für einen Rückgang der ruhigstellenden Medikamente“, mahnte Brysch.

Patientenschützer sieht Fixierungen und Bettgitter durch Gabe von Beruhigungs- und Schlafmitteln ersetzt

Brysch lobte, dass der Einsatz von Bettgittern oder Fixierungen von kranken und pflegebedürftigen Menschen zurückgegangen sei. Dazu hätten breit angelegte Kampagnen der Länder und Pflegeheimbetreiber beigetragen. Der Einsatz dieser freiheitsentziehenden Maßnahmen überprüft der Medizinische Dienst im Rahmen der gesetzlichen Qualitätssicherung stationärer Pflege in Deutschland. Die Verordnung von Beruhigungsmitteln nicht.

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„Der Arzt muss hier sensibel sein. Was wir sichtbar machen, ist, dass es in manchen Regionen wirklich sehr überproportional häufig ist. Und damit werfen wir die Frage auf: Ist das immer medizinisch wichtig und richtig?“, sagte Schwinger dem RND.

Brysch formuliert es drastischer: „Anscheinend wurde hier der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Denn die dauerhafte Gabe von Beruhigungs- und Schlafmitteln wird viel zu oft zur Ruhigstellung eingesetzt.“ Laut Pflegereport ging auch diese Verordnung im Vergleich zu 2017 (8,4 Prozent im Bundesdurchschnitt) leicht zurück. Allerdings stieg die Dauerverordnung von Antipsychotika bei Demenzkranken von 8,9 im Jahr 2017 auf 9,5 im jüngsten Datensatz von 2021. „Nicht medikamentöse Behandlungsformen sollten bei herausforderndem Verhalten als erstes Mittel der Wahl gelten“, heißt es seitens der Krankenkasse.

Vermeidbare Einweisungen ins Krankenhaus kurz vor Lebensende laut Pflegereport ebenfalls zu häufig

Als nicht überraschend bezeichnete Brysch die weiterhin hohe Quote der Krankenhauseinweisungen von Pflegeheimbewohnern am Lebensende von 42 Prozent. „Anders als bei Hospizen, die rund 10.000 Euro monatlich von den Sozialkassen erhalten, gibt es für Sterbende in der stationären Langzeitpflege keine zusätzlichen Mittel für die Hospiz- und Palliativarbeit“, kritisierte er. So sei das dringend notwendige, zusätzliche Personal für die Sterbebegleitung nicht zu bezahlen, mahnte der Verbandsvertreter. Studienleiterin Schwinger betonte, dass Patientenverfügungen wichtig seien, damit das Pflegeheim und Angehörige den Willen der Betroffenen respektieren können.

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Die Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK beruht auf Abrechnungsdaten der Krankenkasse und jährlichen Befragungen von 350.000 Pflegeheimbewohnenden – laut AOK der Hälfte aller vollstationär versorgten Pflegebedürftigen in Deutschland. Die Ergebnisse variieren regional stark. In Kreisen in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland gebe es überdurchschnittlich hohe Verordnungsraten der kritischen Medikamente: Bis zu 25 Prozent der Pflegeheimbewohnenden sind betroffen. Woran das liegt, untersuchte die Studie nicht.

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