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Olaf Scholz bei der Europäischen Politischen Gemeinschaft

Das Signal von Moldau gegen Moskau: EU-Elite am Rande des Kriegsgebietes

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steigt ins Flugzeug.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steigt ins Flugzeug.

Berlin. Es wird die größte politische Veranstaltung, die die kleine Republik Moldau je auf die Beine gestellt hat. Fast 50 Staats- und Regierungschefs, unter ihnen auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), reisen an diesem Donnerstag in die Hauptstadt Chisinau, um auf Schloss Mimi zum zweiten Gipfel der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zusammenzukommen. Nahe der Grenze zur Ukraine, gegen die Russland seit 15 Monaten Krieg führt. Und nahe zu Transnistrien – der von Moskau gestützten abtrünnigen Region im Osten Moldaus – mit 1500 stationierten russischen Soldaten. Näher können europäische Spitzenpolitiker der russischen Aggression kaum kommen.

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Es geht um Solidarität mit der 2,6-Millionen-Einwohner-Republik, die zwischen Rumänien und der Ukraine liegt und wie die Ukraine 2022 den Status eines EU-Beitritts­kandidaten erhalten hat. Die prowestliche Präsidentin Maia Sandu begeistert auf internationalen Tagungen Amtskolleginnen und ‑kollegen mit ihrer eigenen Begeisterung für die EU. Sie verspricht ihren Landsleuten den Weg in die EU und den Aufbau eines wohlhabenden Landes. Den EPG-Gipfel nennt sie „historisch“. Und kündigt am Mittwoch auf Twitter euphorisch an: „Gemeinsam machen wir Europa stärker.“

Moldau kämpft seit Kriegsbeginn mit schweren wirtschaftlichen Problemen

Vor allem will sie aber ihr Land stärken. Moldau kämpft seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine mit schweren wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Die ehemalige Sowjetrepublik hat gemessen an der Bevölkerungszahl so viele ukrainische Kriegsflüchtlinge aufgenommen wie kein anderes Land. Die Inflation liegt bei 22 Prozent. Die EU stockte am Dienstagabend Hilfskredite von 150 auf 295 Millionen Euro auf. Damit sollen die Wirtschaft stabilisiert und strukturelle Reformen eingeleitet werden. Und Scholz betont: „Moldau ist nicht allein.“

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Es geht bei dem Gipfel auch um den Versuch des Schulterschlusses gegen Moskau. In Chisinau wächst die Sorge, dass der Krieg übergreift. Mit Transnistrien und seinen rund 375.000 Einwohnern hat Kremlchef Wladimir Putin schon einen Fuß im Land. Und etwa ein Viertel der Bevölkerung Moldaus spricht Russisch­. Auch viele Angehörige anderer Minderheiten sprechen Russisch und informieren sich aus russischen Propaganda­medien.

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Nach Angaben der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung wird in Moldau nicht ausgeschlossen, dass es eine Antwort Russlands auf den Gipfel geben werde, beispielsweise durch eine erneute Verletzung des moldauischen Luftraums. Darauf hätten sich die moldauischen Sicherheitskräfte seit Wochen vorbereitet und mithilfe von EU-Ländern wie Polen die Sicherheitsvorkehrungen deutlich erhöht.

Sicherheitsvorkehrungen im Land deutlich erhöht

Die moldauische Regierung verstehe ihre Gastgeberrolle als einmalige Chance, sich als Teil Europas und als zukünftiges Mitglied der Europäischen Union zu beweisen. Der 1. und 2. Juni wurden zu arbeitsfreien Tagen deklariert, um den Verkehr in und um Chisinau so gering wie möglich zu halten. Schloss Mimi, das etwa 35 Kilometer südöstlich der Hauptstadt gelegen ist, sei aus logistischen Gründen ausgewählt worden. Ein Gipfel im Zentrum Chisinaus hätte die vorhandenen Konferenz- und Übernachtungskapazitäten deutlich überschritten und Sicherheitsfragen weiter verkompliziert.

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+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Die Gipfelbilder sollten auch der eigenen Bevölkerung zeigen, dass Moldau auf internationaler Bühne als vertrauensvoller Partner Anerkennung finde. Zur Mobilisierung der proeuropäischen Kräfte in der Bevölkerung hatte Sandu erst am 21. Mai zu einer Demonstration in Chisinau aufgerufen, an der mehr als 75.000 Menschen für einen Beitritt Moldaus zur EU auf die Straße gingen. Die unerwartet hohe Beteiligung sei als großer persönlicher Erfolg der Präsidentin zu bewerten und als deutliche Machtdemonstration gegenüber der prorussischen Opposition zu verstehen, die seit Herbst 2022 regelmäßig mit Demonstrationen Stimmung gegen die Präsidentin macht.

RUSSIA, MOSCOW - MAY 30, 2023: Russias President Vladimir Putin visits the Development of the Russian Creative Economy exhibition at the Zotov Centre for the Study of Constructivism. Vladimir Astapkovich/POOL/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY 59511994

Das war ein Drohnenangriff auf die russischen Köpfe

Die Attacken mit Drohnen auf Ziele in Moskau sind militärisch unbedeutend. Doch als Mittel der psychologischen Kriegsführung können sie kurz vor Beginn der ukrainischen Gegenoffensive helfen, ein klassisches Ziel zu erreichen: Verwirrung auf der Seite des Feindes.

Der Außenexperte der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die Solidarität Europas ist für Moldau überlebenswichtig, kurzfristig und in der Perspektive als EU-Mitglied.“ Schon heute sei die EPG ein Instrument, das neben der EU etwas bewirken könne. „Die EU steht vor einem Trilemma: Ihre Erweiterung ist geopolitisch unverzichtbar, die Beitrittsfähigkeit der Bewerberländer aber so schwierig wie die Aufnahmefähigkeit der EU. Wenn die EPG substanziell aufgewertet wird, kann sie ganz wichtige Funktionen wahrnehmen.“

Da ist aber auch noch der Europarat mit seinen 46 Mitgliedern, der sich im Kern um den Schutz der Menschenrechte und die Völkerverständigung kümmert. Nicht zu verwechseln mit den Institutionen der Europäischen Union, dem Europäischen Rat – dem Organ der Staats- und Regierungschefs der EU – und dem Rat der Europäischen Union – dem Ministerrat. Der Europarat ist gänzlich unabhängig von der EU.

EPG geht auf einen unabgestimmten Vorschlag Macrons zurück

Was also soll dann noch die EPG ausrichten? Oder ist sie einfach nur noch ein Club in Europa – einer, der nicht viel bewirken kann? Das Bündnis der 27 EU-Staaten und weiteren Ländern Europas geht auf einen weitgehend unabgestimmten Vorstoß von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zurück. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz war im vorigen Jahr davon überrascht worden. Doch im Oktober traf sich die Gruppe mit damals 40 Teilnehmern zum ersten Mal in Prag.

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Es geht um eine neue Art der Zusammenarbeit in Europa, um Augenhöhe und Austausch manchmal sehr schwieriger Partner, um Einbindung von Ländern wie Armenien, Aserbaidschan, Serbien, Kosovo. Sieben Themen wurden in Prag formuliert: Energiesicherheit, kritische Infrastrukturen, Cybersecurity, Jugend, Migration, regionale Zusammenarbeit im Kaukasus und in der Schwarzmeerregion sowie finanzielle Unterstützung für Veränderungsprozesse. Moldau verändert sich, Moldau will zur EU gehören. Dafür braucht Sandu Schutz vor Russland.

Vier von fünf russischen Konsulaten in Deutschland müssen schließen

Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine nehmen zwischen Deutschland und Russland die diplomatischen Spannungen zu.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Michael Roth, sagte dem RND: „Seit Jahren besteht in der EU kein breiter Konsens mehr über das Thema Erweiterung, das bislang erfolgreichste Instrument der EU zur Befriedung, Stabilisierung und Demokratisierung Europas.“ Nicht nur Frankreich und die Niederlande täten sich schwer damit.

Er forderte: „Nachdem der Europäische Rat im Juni vergangenen Jahres die Tür nach Osteuropa endlich geöffnet und der Ukraine sowie Moldau den Kandidatenstatus verliehen hat, müssen jetzt weitere Taten folgen. Im fragilen westlichen Balkan muss es endlich vorangehen. Nach 20 Jahren Beitrittsversprechen und nur geringen Fortschritten hat die EU in den dortigen Gesellschaften massiv an Attraktivität eingebüßt. Zumal die Lage in Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Serbien brandgefährlich ist. Hier muss die EU noch sichtbarer und engagierter werden.“

Mit dem Europarat gebe es bereits eine bewährte paneuropäische Institution, die es zu stärken gelte. Roth fügte hinzu: „Sollte die EPG aber einen verlässlichen und substanziellen Dialog mit Staaten schaffen, die in die EU streben, könnte das einen echten Mehrwert bieten. Abstrakte Bekundungen der Solidarität reichen längst nicht mehr aus.“

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