Newsletter „Hauptstadt-Radar“

Der Koalitionsausschuss als Drama in fünf Akten

Eindeutig ein offenes Drama: Das Ende des Koalitionsausschusses mit dem Statement der drei Parteivorsitzenden, Lars Klingbeil (SPD, von rechts) Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP).

Eindeutig ein offenes Drama: Das Ende des Koalitionsausschusses mit dem Statement der drei Parteivorsitzenden, Lars Klingbeil (SPD, von rechts) Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP).

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politische Entscheidungsprozesse verlaufen oft nach dem Muster der Dramen der Weltliteratur. Der dreitägige Koalitionsausschuss fällt eindeutig in diese Kategorie. Um es einmal durchzuspielen: Das klassische Drama beginnt mit der Ausgangssituation (Exposition) – in diesem Fall der gescheiterte Koalitionsausschuss von Januar, in dem die Themen, die von Sonntag bis Dienstag besprochen wurden, bereits auf dem Tisch lagen. Es gab auch schon ein Papier, in dem manches stand, was am Dienstagabend als Neuigkeit verkündet wurde.

Als zweiter Akt folgt im klassischen Drama das erregende Moment. Die Schlüsselszene in diesem zweiten Akt war eindeutig das „Tagesthemen“-Interview des Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck. Streng genommen ist Habeck der Wahrheit einfach nur ein Stück zu nah gekommen, als er über die vielen Vorhaben der sogenannten Fortschrittskoalition sagte: „Wir kriegen sie halt nicht über die politische Ziellinie gebracht, weil dann immer wieder geschaut wird, wie ist der mediale Echoraum, was macht mein nächster Parteitag, wo sind die nächsten Landtagswahlen“.

Trug mit seinem „Tagesthemen“-Interview die Schlüsselszene des zweiten Akts bei: Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck.

Trug mit seinem „Tagesthemen“-Interview die Schlüsselszene des zweiten Akts bei: Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck.

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Den Höhepunkt und damit den dritten Akt erreichten die Verhandlungen über die Klima- und Energiepolitik der Ampelkoalition am Montagmorgen, als klar war: Es gibt kein Ergebnis, der Streit über die Planungsbeschleunigung dauert an und das halbe Kabinett fliegt ohne Schlaf jetzt erst einmal zu einer gemeinsamen Klausur mit den niederländischen Kolleginnen und Kollegen. Die Schlüsselszene in diesem Akt: Der Helikopter landet um 14.45 Uhr auf dem militärischen Teil des Flughafens BER. Kanzler Scholz, Vizekanzler Habeck, Außenministerin Baerbock und Verkehrsminister Wissing laufen ohne miteinander zu sprechen über das Rollfeld und klettern in die graue Maschine der Luftwaffe. Es fehlt: der Parteichef der FDP und Finanzminister Christian Lindner. Eine knappe Viertelstunde lässt er die Kolleginnen und Kollegen warten, mit denen er sich die ganze Nacht gestritten hat. Er ließ sich mit einer Limousine bringen.

Nach dem Höhepunkt folgt im Drama wie im Koalitionsstreit das retardierende Moment. An dieser Stelle sei die klassische Definition zitiert, weil sie so hübsch passt: „Es sorgt für Spannung, in dem es den Schluss hinauszögert und somit auch die Gewissheit, ob der dramatische Konflikt sich auflösen oder in einer Katastrophe enden wird.“ Schlüsselszene: Kanzler Scholz verlässt den Kabinettssaal im fünften Stock des Kanzleramts, wo der Koalitionsausschuss mit Unterbrechung seit 25 Stunden tagt. Er fährt im Fahrstuhl ins Erdgeschoss des Kanzleramts, um den kenianischen Präsidenten William Ruto zu begrüßen. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz versprüht Scholz mit Blick auf den Verhandlungsmarathon die Zuversicht, „dass wir ein großes Werkstück zustande bringen“.

Das retardierende Moment: Olaf Scholz fährt kurz vor Ende des Ausschussmarathons zur Pressekonferenz mit dem Präsidenten Kenias, William S. Ruto.

Das retardierende Moment: Olaf Scholz fährt kurz vor Ende des Ausschussmarathons zur Pressekonferenz mit dem Präsidenten Kenias, William S. Ruto.

Anschließend fährt er mit dem Fahrstuhl wieder in den fünften Stock und steht schon im fünften Akt, in dem der dramatische Konflikt laut klassischem Dramaschema aufgelöst wird oder eben in einer Katastrophe endet. Die Koalition entscheidet sich für die erste Variante und lässt das Drama mit gutem Ausgang vor eilig aufgebauten Kameras auf der Fraktionsebene im Reichstagsgebäude mit Statements der drei Parteivorsitzenden enden.

Für germanistische Feinschmecker sei an dieser Stelle angefügt, dass es sich bei dem Koalitionskrach um ein offenes Drama handelte. Denn das geschlossene Drama hat ein klares Ende und lässt keinen Raum für weitere Interpretation. Das kann man über das 16-seitige Ergebnispapier der Ampelkoalition nun nicht sagen. Das Papier enthält zahlreiche Formelkompromisse, die reichlich Spielraum für unterschiedliche Auslegung lassen – beispielsweise wer nun wirklich wann wieviel CO₂ einsparen muss.

Und gab es Tote? Nun die einen sagen so, die anderen sagen so. Die Umweltverbände und die Grüne Jugend sehen in jedem Fall den Klimaschutz als Opfer. Der Vorhang für das nächste Drama wird sich spätestens wieder öffnen, wenn die Koalition den Haushalt für 2024 und die mittelfristige Finanzplanung aufstellen muss. Auch dafür gibt es schon eine Exposition: Finanzminister Lindner hatte die Eckpunkte für den Haushalt vor zwei Wochen von der Tagesordnung im Kabinett streichen lassen.

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Bittere Wahrheit

„Das ist nicht einmal ein Wümmschen“

Alexander Dobrindt,

CSU-Landesgruppenchef

Gewohnt angriffslustig kommentiert der Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, die Ergebnisse des rund 30-stündigen Koalitionsausschusses. Mit dem 16-seitigen Papier, das sowohl konkrete Klimabeschlüsse wie auch die Verwässerung bisheriger Ziele enthält, hadern auch etliche Koalitionäre – vor allem die Grünen. Am Ende wird sich die Frage, ob dies nun ein Wumms oder ein Wümmschen ist, bei der Umsetzung entscheiden.

Gewohnt angriffslustig: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Gewohnt angriffslustig: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

 

Wie Demoskopen auf die Lage schauen

Die Debatte um die Energiepolitik in Deutschland schadet dem Image von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Im Trendbarometer von RTL/n-tv, das durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa erstellt wird, hat Außenministerin Annalena Baerbock ihren Parteifreund überholt. Die Bevölkerung tickt in Fragen der Energieversorgung laut Forsa deutlich traditioneller als die Grünen. Der Umfrage zufolge meinen weit über die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger, dass zur Sicherung der Energieversorgung auch weiter Erdgas (meinen 59 Prozent) und Kernenergie (57 Prozent) genutzt werden sollten. Für einen weiteren Einsatz von Öl sprechen sich nur 34 Prozent aus.

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In der Sonntagsfrage bleibt die SPD unter 20 und die Union unter 30 Prozent.

 

Das ist auch noch lesenswert

Eine Atempause von dem verrückten Berliner Demokratiebetrieb haben sich Steven Geyer und Hannah Scheiwe gegönnt und am Mittwoch King Charles und Königsgemahlin Camilla am Brandenburger Tor beobachtet. (+) Die beiden haben auch die Verbindungen von Charles nach Deutschland ausgeleuchtet. Ganz klar: Blaues Blut ist dicker als Wasser.

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Wer noch genau wissen möchte, an welchen Stellen der Streit der Ampelkoalitionäre beim Thema Klima erneut ausbrechen wird, dem sei die Recherche von Daniela Vates und Alisha Mendgen empfohlen.

Während dieses Koalitionsausschusses haben sich viele gefragt, ob die Entscheidungen der Ampelspitzen angesichts ihres Schlafmangels gut sein können für Deutschland. Leonard Laurig hat dazu mit einem Schlafforscher gesprochen. Sein Urteil: „Plötzlich kommen uns erstaunliche Einfälle“.

Die Frauenrechtlerin Bahareh Hedayat (41) sitzt ihr achtes Frühjahr hinter Gittern.

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Um das Regime im Iran ist es nur scheinbar ruhiger geworden. In Wahrheit lassen die Mullahs kaum noch Journalisten ins Land, damit möglichst wenig über ihre Schandtaten berichtet wird. Mein Kollege Harald Stutte berichtet über den Brief einer sehr mutigen Frauenrechtlerin aus dem Gefängnis, die schreibt, dass es nicht um Reformen, sondern um den Sturz des Regimes gehe – selbst wenn der Preis dafür das eigene Leben sei.

Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Dienstag wieder. Dann berichtet mein Kollege Markus Decker. Bis dahin!

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Herzlichst

Ihre Eva Quadbeck

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