Lauterbach: „Kitas sind keine wichtigen Treiber der Pandemie gewesen“ – keine Schließungen im Winter
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Karl Lauterbach stellte heute die Corona-Kita-Studie vor.
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
Berlin. Die Corona-Pandemie traf die Jüngsten mit Maßnahmen wie Lockdowns, Kita- und Schul-Schließungen und fehlenden sozialen Kontakte besonders hart. Die Folgen für Kinder und Jugendliche untersuchte eine interministerielle Arbeitsgruppe in der sogenannten Kita-Corona-Studie nun genauer. Den Abschlussbericht stellten Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Mittwoch in Berlin vor.
Aus den Erkenntnissen der Studie folgert Lauterbach, dass die Kita-Schließungen während der Pandemie nicht verhältnismäßig waren. Dafür gebe es mehrere Gründe: Zum einen liege die Übertragungsrate des Corona-Virus bei Kita-Kindern lediglich bei 9,6 Prozent, wodurch sie nicht als Infektionsherde gesehen werden könnten. Außerdem liege der Teil des pädagogischen Kita-Personals, das die dritte Corona-Impfung erhalten hat, bei 85 Prozent. „Aus heutiger Sicht waren die Kita-Schließungen medizinisch also nicht angemessen“, sagte Lauterbach.
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„Die Kita-Schließungen während der Pandemie wären nicht nötig gewesen“
Sozial benachteiligte Kinder haben laut Familienministerin Paus besonders unter der Pandemie gelitten. Die Auffassung teilt auch der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB). „Gut zwei Drittel der Kinder sind stark genug, um solche Krisen bewältigen zu können“, sagte der Präsident Heinz Hilgers dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „aber das Drittel, das ohnehin von Kinderarmut betroffen ist, leidet besonders.“
Das zeigt sich auch in den Bildungserfolgen der Jüngsten. Der Bedarf an Sprachförderungsprogrammen hat sich in Kitas mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Kinder laut Paus inzwischen verdoppelt. Diese Entwicklung schätzt der Kinderschutzbund mit Blick auf die deutsche Wirtschaft als besorgniserregend ein: „Momentan nehmen wir in Kauf, dass ein Drittel der Kinder zu Leistungsempfängern anstatt zu Leistungsträgern erzogen wird“, sagte Hilgers, „angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland können wir es uns aber nicht leisten, ein Drittel der Kinder außen vor zu lassen.“
Die Pandemie verschärfte nicht nur soziale Ungleichheiten, sondern ging bei vielen Kindern und Jugendlichen auch mit psychischen Folgen einher. Laut der Kita-Corona-Studie zeigen sich diese am häufigsten in Depressionen, Angst- und Essstörungen. Im Vergleich zu 2019 sind 2021 laut Paus etwa 40 Prozent mehr Kinder und Jugendliche mit Essstörungen ins Krankenhaus eingewiesen worden.
Lauterbach stellt Kliniken Milliardenunterstützung in Aussicht
Karl Lauterbach hat den Krankenhäusern angesichts von Inflation und hoher Energiekosten eine Milliarden-Unterstützung in Aussicht gestellt.
© Quelle: dpa
Hilgers befürchtet zudem einen Anstieg der Dunkelziffer bei Fällen von Kindeswohlgefährdung. „Die Pandemie war eine große Herausforderung für die Kinder: Die Umstellung auf den digitalen Unterricht und die weggefallenen Netzwerke unter Gleichaltrigen haben nicht alle Kinder gleich gut verarbeitet.“
Aktuelle Krisen verschärfen die Folgen
Aktuelle Krisen wie die Inflation und die steigenden Energiepreise verschärfen die soziale Ungleichheit laut Hilgers weiter. Er betonte außerdem, dass man auch die Folgen des Krieges für die Kinder und Jugendlichen bedenken müsse. „Kinder bekommen viel mit“, sagte Hilgers, „wichtig ist, dass sie die brutalen Bilder in den Medien nicht ohne ihre Eltern sehen, damit Traumata vorgebeugt wird.“
Neben einer Kindergrundsicherung, die in der Lage ist, Kinderarmut zu bekämpfen, muss dem Präsidenten des Kinderschutzbundes zufolge eine inklusionsfähige Politik geschaffen werden. Nur so könne man schwerwiegende Folgen der verschiedenen Krisen für die Jüngsten weitestgehend vermeiden. „Wir fordern außerdem, dass Eltern finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, die sie in die Bildung ihrer Kinder investieren können“, sagte Hilgers, „Eltern, die von Armut betroffen sind, muss mehr zugetraut werden, was den Umgang mit Geld angeht.“
Das Kinderwohl muss im Mittelpunkt stehen
Die Familienministerin Lisa Paus ergänzte die Ergebnisse mit Blick auf das Kindeswohl. Das müsse jetzt und in der zukünftigen Handhabung der Pandemie im Mittelpunkt stehen.
„Wir wissen, dass Jugendliche gelitten habe“, so Paus, „insbesondere die, die es vorher schon schwer hatten.“ Es habe sich gezeigt, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien jetzt mit schwereren psychischen und gesundheitlichen Folgen der Pandemie zu leben hätten. Als Beispiel nannte Paus unter anderem das psychische Wohlbefinden. Das habe sich bei der Hälfte aller Jugendlichen verschlechtert, bei den sozial benachteiligten waren es sogar zwei Drittel.
Die unterschiedliche Herkunft vertiefe die Unterschiede – dem müsse man sich mit aller Kraft entgegenstellen, erklärte Paus. Es werde einem sonst „teuer zu stehen kommen.“ Bislang hatten die psychischen Folgen im vergleich zu 2020 rund 130 Millionen Mehrkosten für das Gesundheitssystem verursacht.
Man wolle das Beratungsangebot aufstocken, dass sich an die Kinder direkt richte, so Paus. Lauterbach ergänzte, dass man auch das Therapieplätzeangebot für Kinder erhöhen werde.
Lauterbach: „Kitas sind keine wichtigen Treiber der Pandemie gewesen“
Der SPD-Bundesgesundheitsminister Lauterbach nannte die Maßnahme nach heutigem Wissensstand „medizinisch nicht angemessen“.
© Quelle: Reuters
Gesundheits- und Bildungsminsterium finanzieren Studie gemeinsam
Die von beiden Ministerien finanzierte und vom Deutschen Jugendinstitut und Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführte Kita-Studie lief von Sommer 2020 bis Juni dieses Jahres. Untersucht wurden die Auswirkungen der Pandemie und der Schutzmaßnahmen auf Kindertagesbetreuung, Kinder und Familien aus verschiedenen Blickwinkeln. Ermittelt wurde darin unter anderem, wie oft Kinder im Kita-Alter an Corona erkranken, wie empfänglich sie für das Virus sind und wie schwer die Krankheitsverläufe sind.
RND/rix/dpa