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Erneute Zusammenstöße

Pulverfass auf dem Balkan: Warum die Lage im Kosovo immer wieder eskaliert

Polizisten aus dem Kosovo sichern eine Kreuzung in der Nähe des Banjska-Klosters im Dorf Banjska.

Polizisten aus dem Kosovo sichern eine Kreuzung in der Nähe des Banjska-Klosters im Dorf Banjska.

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Berlin. Seit dem Wochenende ist der Norden der ehemals zu Serbien gehörenden und seit 2008 unabhängigen Republik Kosovo erneut Schauplatz schwerer militärischer Zusammenstöße. Wie das Innenministerium mitteilte, hat die kosovarische Polizei am vergangenen Sonntag ein serbisches Kampfkommando zerschlagen, das offenbar vom benachbarten Serbien unterstützt und gelenkt wurde. Bei den Gefechten im Dorf Banjska bei Mitrovica kamen mindestens vier Menschen ums Leben. Doch worum geht es eigentlich bei dem Konflikt? Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat gemeinsam mit dem Westbalkanexperten der Grünen im Bundestag, Boris Mijatovic, wichtige Fragen und Antworten zu dem Konflikt zusammengetragen.

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Wo liegen die historischen Wurzeln des Streits im Kosovo?

Der Streit über das Kosovo ist uralt und geht auf das Jahr 1389 zurück, als bei der Schlacht auf dem Amselfeld (serbisch: Kosovo polje) eine serbische Koalitionsarmee einem osmanischen Heer gegenüberstand. Die Schlacht endete zwar ohne eindeutigen Sieger, aber im Ergebnis war der Widerstand der serbischen Fürsten gegen den osmanischen Vormarsch in den folgenden Jahren entscheidend geschwächt. Bis in die 1990er Jahre hinein war die mehrheitlich von muslimischen Albanerinnen und Albanern bewohnte Region ein autonomer Teil des mehrheitlich christlich geprägten aber sozialistischen Jugoslawiens. Nach dessen Zerfall gehörte das Kosovo als Teil Serbiens zur Bundesrepublik Jugoslawien.

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Wann flackerte der Konflikt erstmals auf?

Boris Mijatovic sagt, schon in den 1980er-Jahren sahen Angehörige der albanischen Minderheit ihre Rechte, wie Sprache, Kultur und Tradition, unterdrückt und begehrten mit Protesten dagegen auf. Gleichzeitig erklärte der damalige serbische Präsident Slobodan Milosevic den serbischen Nationalismus zu einer Art Staatsräson und warnte davor, dass serbischen Minderheiten im Kosovo „etwas geschehen“ könnte.

Mijatovic spricht von einer „inszenierten Unterdrückung der Serben“, die von der Belgrader Zentralmacht genutzt wurde, um ethnische Differenzen in ganz Jugoslawien zum Thema zu machen. Am Ende zerfiel das Land infolge der Jugoslawien-Kriege (1991–2001) in sieben Teilstaaten, von denen einer das heutige Kosovo ist, das jedoch von Serbien und über einem Dutzend europäischer Staaten nicht anerkannt ist, darunter auch die fünf EU-Mitgliedsländer Spanien, Rumänien, Griechenland, Zypern und Slowakei.

Kosovo-Konflikt: eine gefährliche Mischung aus Zögerlichkeit und Zündeln – ein Kommentar

Bei einer Demonstration der serbischen Minderheit im Norden des Kosovo werden auch internationale KFOR-Soldaten verletzt. Der Kosovo-Konflikt wird durch zündelnde Politiker vor Ort geschürt, durch Russlands Einflusssphären-Politik befördert und durch die Gutgläubigkeit der EU am Leben gehalten. Es ist eine Mischung, die verzweifeln lässt, kommentiert Daniela Vates.

Wie kam es zur Unabhängigkeit des Kosovos?

Die Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2008 war eine Folge des Kosovo-Krieges, in den vom 24. März 1999 bis zum 9. Juni 1999 die Nato im Rahmen der Operation Allied Force eingriff, um die Regierung Slobodan Milosevics zum Rückzug seiner Armee aus dem Kosovo zu zwingen und weitere serbische Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Federführend waren die USA, aber auch die deutsche Luftwaffe war an der Operation beteiligt, die weder durch ein UN-Mandat noch durch das Eintreten des Nato-Bündnisfalls gedeckt war.

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Das UN-Mandat war am Veto Russlands gescheitert, das als traditioneller Verbündeter Serbiens gilt. „Es gibt eine emotionale Verbundenheit zur russischen Kultur und historische Berührungspunkte“, sagte der CSU-Politiker Christian Schmidt unlängst im RND-Interview. Schmidt ist seit August 2021 Hoher Repräsentant der UN für den ebenfalls einst zu Jugoslawien gehörenden Westbalkanstaat Bosnien-Herzegowina.

Auf diesem vom Pressedienst des serbischen Präsidenten zur Verfügung gestellten Bild spricht Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, während einer Pressekonferenz. Mindestens 30 bewaffnete Männer töteten einen kosovo-albanischen Polizisten und stürmten dann ein orthodoxes Kloster im Kosovo nahe der Grenze zu Serbien. Damit lösten sie ein Feuergefecht aus, bei dem drei Angreifer starben und das die Spannungen zwischen den beiden ehemaligen Kriegsgegnern, die sich um eine Normalisierung ihrer Beziehungen bemühen, noch verstärkte.

Auf diesem vom Pressedienst des serbischen Präsidenten zur Verfügung gestellten Bild spricht Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, während einer Pressekonferenz. Mindestens 30 bewaffnete Männer töteten einen kosovo-albanischen Polizisten und stürmten dann ein orthodoxes Kloster im Kosovo nahe der Grenze zu Serbien. Damit lösten sie ein Feuergefecht aus, bei dem drei Angreifer starben und das die Spannungen zwischen den beiden ehemaligen Kriegsgegnern, die sich um eine Normalisierung ihrer Beziehungen bemühen, noch verstärkte.

Kam es danach zu einer Beruhigung der Situation?

Immer nur phasenweise. Tatsächlich gab es immer wieder Konflikte, vor allem in der mehrheitlich von Serbinnen und Serben bewohnten Nordregion des Kosovos. So eskalierte im Sommer 2022 ein Streit um Kfz-Kennzeichen, bei dem es darum ging, ob im Kosovo lebende Serbinnen und Serben dort weiterhin mit serbischen Kennzeichen fahren, also ihr Auto in Serbien registrieren lassen dürfen. Militante Serben errichteten Straßensperren, daraufhin sperrten Kosovo-Behörden den wichtigsten Grenzübergang nach Serbien nahe der Staat Podujevo.

Bei einem weiteren Konflikt im Mai 2023 ging es darum, dass militante Serben die Kommunalwahl vom April 2023 nicht anerkannten, in deren Folge in fünf Gemeinden albanische Bürgermeister das Rennen machten. Hintergrund dafür wiederum war eine sehr geringe Wahlbeteiligung von 3,5 Prozent, wie Boris Mijatovic erläutert. „Serbische Politiker hatten zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen, weil sie ihren Wunsch nach einer autonomen Selbstverwaltung im Norden des Kosovos bislang nicht durchsetzen konnten“, erklärt der Grünen-Politiker.

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Welche Rolle spielt die EU, und was ist mit der EU-Beitrittsperspektive?

Die EU hat sowohl Serbien als auch dem Kosovo seit Jahren eine Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt, wirklich vorangekommen sind die Verhandlungen jedoch nicht. „Die EU muss ihr Versprechen auch einlösen“, sagt der Grünen-Politiker Mijatovic. Man müsse Serbien zugleich aber klarmachen, dass der Glaube, mit Moskau besser zu fahren, ein großer Irrtum ist. „In Belgrad muss man verstehen, dass man nicht auf zwei Hochzeiten tanzen kann. Serbien macht den größten Teil seines wirtschaftlichen Umsatzes mit der EU, nicht mit Russland“, so Mijatovic. „Der Weg in die EU geht für beide Länder nur mit einer friedlichen Lösung der Konflikte in Verhandlungen und sicher nicht mit der Drohung und dem Einsatz von Gewalt.“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell telefonierte am Sonntag mit Kurti und mit Vucic. In den Gesprächen verurteilte er die Aggression gegen die kosovarische Polizei aufs Schärfste, teilte der Auswärtige Dienst der EU in Brüssel mit. Gegenüber Vucic bekräftigte er seine Forderung, dass sich die Angreifer ergeben sollten.

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