RND-Interview mit Detlef Scheele

Chef der Bundesagentur für Arbeit: „Gas ist entscheidend für unsere industrielle Produktion“

Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. (Archivbild)

Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. (Archivbild)

Herr Scheele, was würde ein schnelles Ende der russischen Gaslieferungen an Deutschland für unseren Arbeitsmarkt bedeuten?

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Wir können Risiken für die Wirtschaft und für den Arbeitsmarkt nur schwer kalkulieren, wenn es sehr schnell zu einem Ende der russischen Gaslieferungen an Deutschland käme. Gas ist entscheidend für unsere industrielle Produktion, insbesondere für die Chemieindustrie. Sie arbeitet mit Verfahren, die man zum Teil nicht kurzfristig hoch- und herunterfahren kann. Die Gefahr ist in der Chemieindustrie groß, dass es dann neben der Kurzarbeit auch zu Entlassungen kommen könnte.

Sie warnen also davor, dass wir den sofortigen Verzicht auf russisches Gas zu einem Teil der Sanktionen gegen Wladimir Putin machen?

Mit Blick auf Arbeitsplätze in Deutschland wäre das Risiko eines sofortigen Ausstiegs aus russischem Gas aus meiner Sicht aktuell sehr hoch. Es droht dann ja nicht nur die Chemiebranche in Deutschland lahmgelegt zu werden. Es gibt eine Multiplikatorenwirkung auf andere Industriezweige. Die Vorprodukte der chemischen Industrie werden in zahlreichen anderen Branchen benötigt: von der Pharmazie bis zur Automobilherstellung.

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Ist – anders als beim Gas – ein Ölboykott wirtschaftlich gut vertretbar?

Ein Ölboykott, der nach den Plänen der EU ab Ende des Jahres gelten soll, wäre für unsere Wirtschaft wohl laut Bundesregierung verkraftbar. Wir haben ja mit der Kurzarbeit eingeübte Reaktionsmechanismen, die das Gröbste am Arbeitsmarkt abfedern können.

Deutschland will die Geflüchteten nicht nur in den Arbeitsmarkt integrieren – sondern dies soll diesmal möglichst auch so gelingen, dass die Menschen Jobs finden, die ihrer Ausbildung entsprechen. Schaffen wir das?

Klar ist: Die humanitäre Hilfe steht zunächst im Vordergrund. Die Menschen müssen hier gut an- und unterkommen. Wenn Geflüchtete zu uns kommen und arbeiten möchten, orientieren wir uns an ihren Aussagen hinsichtlich der Qualifikation und Berufserfahrung. Die Menschen sind logischerweise nicht alle mit Zertifikaten hergekommen – und außerhalb reglementierter Berufe wie im medizinischen Bereich müssen wir jetzt pragmatisch handeln. Insgesamt können wir davon ausgehen, dass die geflüchteten Menschen aus der Ukraine gut qualifiziert sind.

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Woran fehlt es für eine erfolgreiche Integration?

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Wir brauchen Sprachkurse und Kinderbetreuungsangebote. Für die Sprachkurse gibt es laut Bundesamt für Migration und Flucht entsprechende Mittel, und es ist machbar, die Kapazitäten schnell hochzufahren. Das wird die Grundlage sein, um in qualifizierte Jobs vermitteln zu können. Ich sage aber auch: Wenn Menschen sagen, sie wollen schnell arbeiten, um Geld nach Hause schicken zu können, akzeptieren wir auch das und vermitteln erst einmal in Hilfstätigkeiten.

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Und wie ist es mit den Kita-Plätzen? Es geht ja in der Regel um geflüchtete Frauen mit Kindern.

Eine fehlende Kinderbetreuung kann die Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt verzögern. Denn man braucht nicht nur Räume, sondern auch ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher. Man kann nicht einfach nur mehr Kinder aufnehmen, ohne dass dort ausreichend Personal ist – zumal die geflüchteten Kinder eine besondere Förderung brauchen. Die Kommunen tun alles, um Kita-Plätze zu schaffen. Ich habe aber Verständnis, wenn sie signalisieren: Es braucht Zeit.

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Was ist Ihre Bilanz nach mehr als zwei Jahren Kurzarbeit in der Pandemie – und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

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Wir sprechen von konjunkturellem Kurzarbeitergeld. Zweieinhalb Jahre sind aber keine Konjunkturkrise mehr. Wir haben Kurzarbeit jetzt also für eine Situation eingesetzt, für die sie gar nicht gedacht war. Das hat uns geholfen, viele Jobs zu retten. Es verursacht aber einen Aufwand, der schwer zu bewältigen ist. Da Kurzarbeit eben sehr genau auf den einzelnen Beschäftigten zielt, werden wir noch bis in das Jahr 2024 hinein mit Abschlussprüfungen beschäftigt sein – oder sogar länger. Um die 2000 Menschen in der Bundesagentur sind damit beschäftigt.

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Was muss sich ändern?

Die Bundesregierung muss sich für lang andauernde Krisen Gedanken machen, welches Instrument geeignet ist. Es sollte eines sein, bei dem es nicht mehr darum geht, dass für einen einzelnen Arbeitnehmer in stundengenauer Abrechnung eine Hilfe beantragt wird. Eine Möglichkeit könnte sein, ein Einzelfallinstrument zu einem kollektiven Instrument weiterzuentwickeln. Dieses müsste genauso wie das Kurzarbeitergeld an einen temporären Arbeitsausfall und an den Erhalt der Arbeitsplätze gekoppelt sein.

Wird das Kurzarbeitergeld aus der Pandemie auf jeden Fall ganz genau abgerechnet?

Je später die Abschlussprüfung nach dem Ende der Kurzarbeit stattfindet, desto schwieriger ist dies auch für die Unternehmen, schon allein weil manche Abrechnungsprogramme nicht so weit in die Vergangenheit zurückrechnen können. Diese Debatte um ein handhabbares Instrument für längere Krisen gehört auf die politische Tagesordnung.

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Ein großes Reformprojekt in dieser Legislaturperiode soll sein, dass aus Hartz IV ein Bürgergeld werden soll – mit „Beratung auf Augenhöhe“, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Was bedeutet das praktisch?

Ich weiß nicht, ob Augenhöhe der richtige Begriff ist. Ganz sicher ist: Es geht um Respekt. Den bringen die Beraterinnen und Berater in den Jobcentern den Menschen schon heute entgegen.

Halten Sie es denn für richtig, dass es am Anfang keine Sanktionen geben soll?

Es gibt monatlich nur Sanktionen gegen 3 Prozent der Leistungsbeziehenden. Der größte Teil kommt mit Sanktionen nicht in Berührung. Für die wenigen, die ihre Pflichten verletzen, können frühe Konsequenzen hilfreich sein, auch damit wir den Kontakt zu den Menschen nicht verlieren. Deshalb sollte das beibehalten werden, zumal diese Verfahren durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgedeckt sind. Je länger jemand aus dem Arbeitsmarkt draußen ist, desto schwieriger ist es für ihn, wieder hineinzukommen.

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Muss der Hartz-IV-Satz wegen der Inflation schnell erhöht werden?

Das muss die Politik entscheiden. Es gibt für die Berechnung von Hartz IV einen Mechanismus, der über viele Jahre funktioniert hat. Bei einem so schnellen und heftigen Anstieg der Energiepreise hilft das aber nicht. Die Politik hat mit Einmalzahlungen reagiert und auch einen monatlichen Zuschlag für Kinder auf den Weg gebracht. Wenn die Energiepreise mittelfristig so hoch bleiben, muss die Politik überlegen, wie man den Bedürftigen helfen kann, denn Stromsperren wären kontraproduktiv.

Andrea Nahles hat gerade mit ihrer Einarbeitungsphase in der Bundesagentur für Arbeit begonnen. Was ist der wichtigste Rat, den Sie für die künftige Chefin der Bundesagentur für Arbeit haben?

Andrea Nahles beherrscht Arbeitsmarktthemen aus dem Effeff – da braucht sie wirklich keine Ratschläge. Die Herausforderung ist eine andere: Die Bundesagentur für Arbeit ist eine Organisation mit mehr als 150 Dienststellen, weiteren Geschäftsstellen, unterschiedlichen Regionaldirektionen und vielem mehr. Es kommt jetzt für Andrea Nahles darauf an, einen Einblick zu bekommen, wie die Bundesagentur tickt. Das war bei mir auch so. Da stehe ich ihr gern zur Seite.

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Welche Eigenschaft wird Andrea Nahles besonders helfen, wenn sie Chefin der Bundesagentur ist?

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Andrea Nahles ist jemand – und ich meine das im positiven Sinn –, die sich schnell ein Urteil bildet und dann zupackt. In einer Organisation mit so vielen Ebenen besteht auch immer die Gefahr, dass Entscheidungen so lange hin- und hergewendet werden, dass sie nie stattfinden. Das wird Andrea Nahles nie passieren. Ich bin sicher, dass sie eine gute Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit wird.

Sie sind seit 2017 Chef der Bundesagentur für Arbeit und gehen Ende Juli in den Ruhestand. Wie sehen Sie Ihre eigene Bilanz? Was war besonders wichtig?

Wir arbeiten heute sehr gut mit den Kommunen zusammen, haben die Berufsberatung in die Schulen verlagert und die Qualifizierung der Beschäftigten nach vorn gebracht. In den vergangenen zwei Jahren haben wir erfolgreich die Pandemie am Arbeitsmarkt bewältigt. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mit angepackt, viele haben dafür innerhalb kürzester Zeit neue Aufgaben übernommen. Ich bin stolz auf das ganze Team.

Kann der Chef der Bundesagentur für Arbeit sich ein Leben ohne Arbeit überhaupt vorstellen?

Jetzt, da ich hier noch sitze und arbeite, antworte ich: Ja, klar! Mein Freundeskreis sagt mir aber: Wenn der Sommer vorbei ist, sieht die Welt anders aus. Ab Winter muss ich noch mal genauer überlegen, was ich mache. Erst mal schalte ich die Kalenderfunktion im Handy ab und freue mich auf die neue Lebensphase. Der Sommer wird toll, der Rest wird sich finden.

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