Erste Staatschefin in Italien: Diese Grafiken zeigen, wo und wie Frauen die Regierung führen
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Giorgia Meloni übernimmt in Italien die Regierungsspitze von ihrem Vorgänger Mario Draghi.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Press
Nachdem Marine Le Pen in Frankreich bereits nah dran war, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, wird nun erstmals ein großes südeuropäisches Land von einer Frau regiert. Die Rechtsradikale Giorgia Meloni kann die knapp 60 Millionen Italienerinnen und Italiener künftig mit einer absoluten Mehrheit regieren. Nur wenige Tage zuvor hatte die konservative Liz Truss die Regierungsgeschäfte in Großbritannien niedergelegt. Damit bekommen nun mehr als 66 Millionen Briten aller Voraussicht nach wieder ein männliches Staatsoberhaupt.
Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat die Amtszeiten aller amtierenden Regierungschefinnen in den entwickelten Demokratien seit dem Jahr 2000 ausgewertet und die wichtigsten Kennzahlen dieser Regierungsphasen in Grafiken nachgezeichnet.
In Nordeuropa haben Staatschefinnen Tradition
In einigen skandinavischen und baltischen Ländern haben die Wählerinnen und Wähler bereits zum wiederholten Mal Frauen in das höchste Staatsamt gewählt. In Finnland beispielsweise regiert derzeit die jüngste Premierministerin der Welt, die 36-jährige Sanna Marin. In Dänemark konnte Mette Frederiksen im Jahr 2019 die Macht erringen, nachdem Helle Thorning-Schmidt dort bereits von 2011 bis 2015 als Staatspräsidentin amtiert hatte. Auch in Island, Estland und Litauen regieren aktuell Frauen. In Schweden ist Ministerpräsidentin Magdalena Andersson kürzlich abgelöst worden. Großbritannien hatte nach Margaret Thatcher und Theresa May immerhin schon zum dritten Mal eine Staatschefin. Doch die Amtszeit von Liz Truss endete bereits, bevor sie richtig begonnen hatte. Die folgende Animation zeigt die Entwicklung in Europa seit dem Jahr 2000.
Wenn man die Zeitleiste abfahren lässt, sieht man eine Phase mit recht vielen roten Flächen. Die Regierungszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel überschnitt sich in dieser Phase mit der ihrer Amtskollegin Theresa May aus Großbritannien und Beata Szydło aus Polen. Weil gleichzeitig auch in Dänemark und Norwegen Frauen regierten, sah es für eine kurze Zeit im Jahr 2016 so aus, als würden Frauen in Europa den Ton angeben.
Mit der Amtsübernahme von Boris Johnson und später von Olaf Scholz in Deutschland waren aber wieder fast überall Männer am Ruder. Die jüngste Entwicklung verschiebt die Gewichte zwar politisch, aber kaum merklich in der Geschlechterfrage: Großbritannien wird wieder blau, während sich Italien erstmals rot einfärbt. Damit befinden sich etwa 10,2 Prozent der Bevölkerung in den entwickelten Demokratien unter weiblicher Führung.
Die folgende Grafik zeigt, wie das Programm von Giorgia Melonis Partei Fratelli d’Italia im Vergleich mit den Parteien anderer Staatschefs- und chefinnen abschneidet. Das Projekt ParlGov hat alle Parteien der westlichen Demokratien in einem Punktesystem politisch verortet. Die Skala reicht von staatsnah auf der linken Seite bis staatsfern auf der rechten Seite, und von einem liberalen Führungsstil auf der unteren Seite zu einem autoritären Führungsstil auf der oberen Seite.
Die Punktwerte zwischen 0 und 10 entsprechen der durchschnittlichen Einschätzung von Experten. Allerdings hat diese Methode auch Unschärfen: Wenn Parteien in den vergangenen Jahren ihr Programm geändert haben, schlägt sich der Kurswechsel vorerst nicht in den Daten nieder. Zudem wird nicht berücksichtigt, wenn die Regierungschefs andere Positionen vertreten als ihre Partei.
Meloni pflegt einen autoritären Stil
Dennoch erlaubt die Übersicht eine Annäherung an die Wirklichkeit. Nach Ansicht der Experten rangiert Meloni am oberen Ende der Skala für autoritären Führungsstil, etwas höher noch als die ehemalige polnische Regierungschefin Beata Szydło. Nur in Norwegen und Kanada haben nach Einschätzung der Experten autoritärere Parteien das Staatsoberhaupt gestellt. Im Hinblick auf die Staatsferne ist Meloni im Mittelfeld einzuordnen, mit etwas mehr Nähe zum Markt als zum Staat.
Die weiblichen Staatsoberhäupter verteilen sich ähnlich über das Koordinatensystem wie die männlichen Kollegen. Die durchschnittlichen Werte auf den beiden Skalen unterscheiden sich kaum zwischen den Geschlechtern. Vom autoritären Stil Melonis am weitesten entfernt unter den amtierenden Staatschefinnen ist die seit 2017 regierende Premierministerin Islands, Katrín Jakobsdóttir. Die Sozialdemokratin war die erste offen homosexuelle Regierungschefin der Welt.
Nur Erdoğan länger als Merkel im Amt
Unter den Frauen hat sich Angela Merkel am längsten im Amt gehalten. Unter den Staatschefinnen, die derzeit im Amt sind, blickt Jacinda Ardern aus Neuseeland mit 4,9 Jahren auf die bislang längste Amtszeit zurück. Berücksichtigt man nur die Staatsoberhäupter, die nach 2000 ins Amt gekommen sind, hat Recep Tayyip Erdoğan mit mehr als 19,5 Jahren die längste Amtsdauer zu verzeichnen. Allerdings beschränkt der türkische Präsident die demokratischen Institutionen und unterdrückt die Opposition.
Inklusive nicht-demokratischer Staaten kommen weibliche Regierungschefs weltweit auf einen Anteil von etwa sechs Prozent, hat die IPU (Inter-Parliamentary Union), eine globale Organisation nationaler Parlamente, im März dieses Jahres errechnet. Außerhalb Europas haben etwa Bangladesch, Barbados, Gabon und Togo eine Frau an der Staatsspitze.
In den USA schaffte es mit Kamala Harris im Jahr 2020 immerhin erstmals eine Frau zur Vizepräsidentin. Der Anteil der weiblichen Minister beträgt im Jahr 2022 rund 22 Prozent, und damit nur etwas mehr als im Vorjahr. Auch der Anteil der weiblichen Abgeordneten in den Parlamenten stieg leicht auf 25,5 Prozent. Die Europäische Union zählt zwar nicht als Staat und geht insofern nicht in diese Zahlen ein. Doch die Europäische Kommission wird von einer Frau geleitet, der Präsidentin Ursula von der Leyen.