Zwölfjährige Luise getötet - Psychologen warnen: Senkung des Strafalters könne „fatale Folgen“ haben
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Nach der Tötung der zwölfjährigen Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg warnen Psychologen vor einer vorschnellen Senkung des Strafbarkeitsalters.
© Quelle: Oliver Berg/dpa
Düsseldorf. Nach der Tötung der zwölfjährigen Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg warnen Psychologen vor einer vorschnellen Senkung des Strafbarkeitsalters. Eine gesetzliche Entscheidung etwa auf politischen Druck durch Petitionen oder aus der Allgemeinbevölkerung könnte „fatale Folgen für Kinder und Jugendliche und somit auch für unsere Gesellschaft als Gemeinschaft mit sich ziehen“, erklärte der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen am Freitag und rief zur Besonnenheit auf. Bei einer solchen Debatte müssten alle Aspekte und maßgeblichen Experten berücksichtigt werden.
Mordfall Luise: Ermittler gehen gegen Falschmeldungen vor
Offenkundig gebe es besonders in den sozialen Medien Spekulationen, die sich nicht mit dem aktuellen Stand der Ermittlungen decken würden.
© Quelle: dpa
Der Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, Gerd Höhner, wies Forderungen nach einer Senkung des Alters der Strafmündigkeit zurück. Er sei absolut dagegen: „Das ist ein Appell, der mehr mit den Fordernden zu tun hat, als mit der Forderung selbst. Man will damit die eigene Hilflosigkeit überwinden und fordert etwas, ohne es länger zu bedenken“, sagte Höhner der „Rheinischen Post“.
Rechtsnorm der Strafmündigkeit ab 14 Jahren habe guten Grund
„Ich glaube auch nicht, dass es etwas nutzen würde. Fangen wir dann an, Kinderstrafanstalten zu errichten?“ Die Debatte war nach der Tötung der zwölfjährigen Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg entbrannt. Die mutmaßlichen Täterinnen sind mit 12 und 13 Jahren selbst Kinder und damit strafunmündig. Die Tat von Freudenberg sei in ihrer Ausprägung ein absoluter Einzelfall, sagte Höhner.
Höhner: „Es scheint keine reine Affekttat gewesen zu sein“
Die Rechtsnorm der Strafmündigkeit ab 14 Jahren habe einen guten Grund: „Das deutsche Strafrecht setzt Schuld für Strafe voraus.“ Die Strafmündigkeit beinhalte eine moralisch-ethische Reife. „Das Kind muss nicht nur wissen, dass es etwas nicht tun darf, sondern auch intellektuell in der Lage sein, eine äußere Norm für sich selbst zu übernehmen.“
Höhner, der jahrelange Erfahrung mit kriminellen Kindern hat, widersprach der Behauptung der Ermittler, dass Erwachsene die Motive der Kinder nicht nachvollziehen könnten. Die grundlegenden Emotionen wie Wut und Eifersucht könnten Erwachsene sehr wohl verstehen. „Es stellt sich eher die Frage, wie man mit Kindern in eine Kommunikation kommt.“
Im Fall Freudenberg würde ihn aber viel mehr beschäftigen, was in der Kommunikation der beiden mutmaßlichen Täterinnen passiert sei. „Denn es scheint keine reine Affekttat gewesen zu sein.“ Zwölfjährige trügen in der Regel keine Messer bei sich. Auch der Fund- und Tatort spreche gegen eine reine Affekttat. „Es scheint zumindest eine Idee hinter der Tat gestanden zu haben“, sagte Höhner.
Fragen zu Motiv und Tat könnten unbeantwortet bleiben
Laut den Ermittlern könnte es aber möglicherweise keine offiziellen Antworten zum Tatgeschehen geben. „Wir können auch die rechtlichen Grenzen, die uns gesetzt sind, nicht überschreiten, nur weil die Bevölkerung meint, ein Anrecht zu haben, alle Hintergründe zu kennen“, sagte Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss von der Staatsanwaltschaft Siegen am Freitag. Hintergrund ist der Persönlichkeitsschutz der Minderjährigen. „Wir werden natürlich vollumfänglich aufklären“, betonte er. Sollten sich die beiden geständigen Mädchen als Täterinnen bestätigen, „dann werden wir keine Aussagen zu Tatabläufen oder Motivlagen machen.“
„Wenn wir Auskunft erteilen können und dürfen, tun wir das sicherlich“, sagte von Grotthuss. In so einem speziellen Fall - Opfer und Tatverdächtige sind Kinder - müsse man auch mal akzeptieren, dass es gewisse Informationen gebe, die nicht für die Öffentlichkeit seien. „Damit muss man letztlich irgendwo leben“, sagte er.
Polizei und Staatsanwaltschaft gingen am Freitag mit einer Mitteilung gegen Falschmeldungen in der Sache in die Offensive. „Offenkundig gibt es besonders in den sozialen Medien Spekulationen, die sich nicht mit dem aktuellen Stand der Ermittlungen decken“, hieß es. Die Ermittler baten, sich daran nicht zu beteiligen „und die Diskussionen über die Hintergründe des Vorfalls, auch zum Schutz der Angehörigen, nicht zu befeuern.“ Außerdem wurden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Social-Media-Kanäle der beiden Tatverdächtigen geschlossen. In sozialen Netzwerken hatte es auf den Profilen teils anonymer Nutzer zahlreiche Spekulationen und auch Drohungen und Hass gegen die Tatverdächtigen gegeben. Laut Polizei wird laufend geprüft, ob strafrechtlich Relevantes gepostet wird.
Aber sprießen die Gerüchte nicht gerade wegen des Informationsvakuums? „Jeder meint, auch den Anspruch zu haben, alles wissen zu dürfen. Man muss aber sagen: Es gibt Grenzen, zum Beispiel den Persönlichkeitsschutz“, sagte Oberstaatsanwalt von Grotthuss. „Das müssen wir dann auch aushalten, dass wir sagen: ‚Da gibt es halt keine weiteren Informationen.‘“ Dass die Identitäten der beiden Mädchen bekannt wurden, macht es den Ermittlern demnach zudem schwerer, Einzelheiten zu nennen. „Wie wollen Sie ein Motiv herausgeben, ohne dass Rückschlüsse auf Personen gezogen werden?“, sagte von Grotthuss. Die Mädchen sind demnach in der Obhut des Jugendamts in „geschützten Räumen“ untergebracht.
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Medienrechtler sieht Behördenlinie im Fall Luise kritisch
Die Ankündigung der Staatsanwaltschaft, im Fall der getöteten Luise keine Auskünfte zum Tatgeschehen und Motiv zu geben, stieß auf Kritik. „Über die Motive und das Tatgeschehen auch nach Abschluss des Verfahrens nicht zu informieren, halte ich für nicht tragfähig. Dafür ist die Tat zu spektakulär“, sagte Medienrechtler Prof. Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund. „Der Schutz der mutmaßlichen Täterinnen ist zu achten, kann hier aber nicht jegliche Information ausschließen, zumal sie ja bereits gestanden haben.“
Der Persönlichkeitsschutz sei bei Minderjährigen zwar deutlich höher anzusiedeln als bei Erwachsenen und Schutz der Identität zweifellos gerechtfertigt, Informationen über die Tat – also nicht zu den Täterinnen im Detail – seien aber etwas anderes. „Ich glaube nicht, dass das vor Gericht Bestand haben würde, weil die Tat so erschütternd und einzigartig ist – das öffentliche Interesse also erheblich. Es ist demnach nicht gerechtfertigt, jede Information darüber zurück zu halten, sofern die Persönlichkeitsrechte angemessen geschützt werden“, sagte Gostomzyk.
Er gehe sogar davon aus, dass die Behörden, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind, eine Pressekonferenz geben. „Wenn nicht, könnten die Medien ihren Auskunftsanspruch gerichtlich geltend machen.“ Zwar dürfe die Behörde in einem laufenden Verfahren mit Blick auf die Gefährdung der Ermittlungen Informationen zurückhalten, aber spätestens mit Abschluss der Untersuchungen falle dieser Grund weg, sagte Gostomzyk. „Und auf der anderen Seite stehe eben der rechtliche Belang des öffentlichen Interesses an Informationen.“
RND/dpa