Nach der Dürre die Sintflut
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Carabinieri tragen Anwohner huckepack durch die überschwemmten Straßen von Faenza. Die italienischen Regionen Emilia-Romagna und die Marken werden weiter von schweren Unwettern heimgesucht.
© Quelle: Arma dei Carabinieri/dpa
Rom. Die Opfer- und Schadenbilanz ist verheerend und weiterhin nur provisorisch, denn in der betroffenen Region regnet es noch immer, wenn auch inzwischen weniger stark.
Nach Angaben des Ministers für Zivilschutz, Nello Musumeci, mussten in den Überschwemmungsgebieten bis Donnerstag mindestens 13.000 Personen aus ihren Häusern evakuiert werden; tausende andere Bewohner haben ihre überfluteten Häuser von sich aus verlassen und haben sich zu Verwandten geflüchtet. Mindestens 14 Menschen sind neuesten Angaben zufolge in den Fluten umgekommen, darunter zwei Rentner, die in den eigenen vier Wänden ertranken. In den am stärksten betroffenen Gebieten sind am Mittwoch in 24 Stunden über 200 Millimeter Regen pro Quadratmeter gefallen.
„Was wir hier erleben, ist wie ein weiteres Erdbeben“
„In drei Tagen jährt sich das Erdbeben in der Emilia-Romagna zum elften Mal - und was wir hier erleben, ist wie ein weiteres Erdbeben“, erklärte der Präsident der Region Emilia-Romagna, Stefano Bonaccini, gestern gegenüber dem italienischen Fernsehen. Insgesamt standen laut Bonaccini am Mittwoch, dem Höhepunkt der Flut, mehr als achtzig Städte und Dörfer ganz oder teilweise unter Wasser; 21 Flüsse seien über die Ufer getreten.
Wegen des Starkregens hätten sich 250 Schlammlawinen und Erdrutsche ereignet, 450 Strassen seien unterbrochen, viele Schulen bleiben geschlossen. „Ein grosser Teil unseres Territoriums ist nicht wiederzuerkennen“, erklärte Bonaccini. Wegen der anhaltend hohen Gefahr von Erdrutschen herrschte gestern in der ganzen Region weiterhin Alarmstufe rot.
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Besonders betroffen von den Überschwemmungen sind die bevölkerungsreichen Städte Cesena, Forlì, Faenza und Ravenna in der Po-Ebene. Aber auch an der oberen Adriaküste und in Touristenorten wie Rimini und Riccione war die Lage mitunter kritisch. Überschwemmungen wurden auch aus Senigallia in der Region Marken gemeldet; die Stadt an der Adria war bereits im vergangenen Jahr von einem schweren Unwetter verwüstet worden.
Zudem begann es wieder zu regnen, was die Sorge vieler Menschen erhöhte. Allerdings dürften die Niederschläge „nicht vergleichbar“ sein mit jenen, die Anfang der Woche historische Ausmaße annahmen und zu den katastrophalen Folgen führten, sagte Irene Priolo, die Vizepräsidentin der Region, im italienischen Fernsehen. Der Regen könne aber vor allem zu weiteren Erdrutschen führen, fürchtete sie.
Für die kommende Woche und insbesondere für Pfingsten erwarten die Meteorologen zwar eine Wetterberuhigung. Aber insgesamt bleibe das Wetter in ganz Italien bis weit in den Juni hinein unbeständig und in den meisten Regionen auch zu kühl für die Jahreszeit. Immerhin: In einigen Gebieten, etwa in Ravenna, sind die Pegelstände gestern etwas gesunken; einzelne Bewohner kehrten in ihre Häuser zurück.
Po-Ebene leidet seit vielen Monaten stark unter Wetterextremen
Vor allem die Po-Ebene leidet seit vielen Monaten stark unter Wetterextremen. Im vergangenen Jahr erlebte Norditalien die schlimmste Dürre seit siebzig Jahren mit Milliardenschäden in der Landwirtschaft. Auch im Winter fiel kaum Niederschlag, und so herrschte noch vor wenigen Wochen die höchste Alarmstufe: Die Pegelstände des Po und wichtiger Wasserspeicher wie Gardasee oder Lago Maggiore lagen noch tiefer als im Jahr zuvor während der Rekorddürre. Nun rechnet der italienische Bauernverband Coldiretti erneut mit Milliardenschäden - diesmal nicht wegen der Trockenheit, sondern wegen der Flut.
5000 Bauernbetriebe stehen oder standen laut Coldiretti unter Wasser. Bereits Anfang Mai war die Emilia-Romagna von einem ersten Starkregen betroffen gewesen; in Faenza fielen in zwei Tagen 240 Liter Regen pro Quadratmeter. Die Stadt stand schon damals unter Wasser und ist auch heute wieder einer der am stärksten von den Überschwemmungen betroffenen Orte.
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© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Fluss Po führt zwar mehr Wasser – aber für Normalstand „müsste es noch wochenlang weiterregnen“
Wer nun aber glaubt, mit den beiden Starkregen-Ereignissen habe sich wenigstens das Problem des Wasserdefizits erledigt, irrt. Der Klimatologe und Direktor des Wetterportals ItaliaMeteo, Carlo Cacciamani, betont, dass der grösste Teil des gefallenen Regens oberflächlich abgeflossen sei: Beim ersten Unwetter von Anfang Mai seien die Böden zu ausgetrocknet und damit zu hart gewesen, um das viele Wasser aufzunehmen, und beim derzeitigen Starkregen seien sie inzwischen zu gesättigt mit Wasser. Der nasse Mai verschaffe in den direkt betroffenen Gebieten bezüglich des Wasserdefizits zwar durchaus Linderung. „Der Po führt in der Emilia-Romagna nun wieder mehr Wasser - aber damit er seinen normalen Pegel erreicht, müsste es noch wochenlang weiter regnen“, betont Cacciamani
Und vorallem müsste auch in der oberen Po-Ebene, im Piemont und in der Lombardei, deutlich mehr Niederschlag fallen. In diesen beiden Regionen, die im letzten Jahr ebenfalls stark von der Dürre betroffen waren, fiel in den letzten Tagen und Wochen deutlich weniger Regen als in der Emilia-Romagna und an der Adria - entsprechend gross ist das Wasserdefizit geblieben.
Ein - wenn auch schwacher - Trost sieht Cacciamani darin, dass die Klimamodelle und auch die kurzfristigen Wetterprognosen immer präziser werden: „Wir konnten die Bewegung des Tiefdruckwirbels über der Po-Ebene und der Adria sehr exakt voraussagen, was es den Behörden ermöglicht hat, die Bevölkerung rechtzeitig zu warnen und wo nötig vorsorglich zu evakuieren“, betont Cacciamani. Dies habe Schlimmeres verhindert. „Aber mit einer Atmosphäre voller Wasser und voller Energie in Kombination mit versiegelten Böden werden wir leider immer wieder solche Tragödien erleben, wie sie gerade jetzt stattfindet.“