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Proteste in der Hauptstadt

„Der Schmerz hört niemals auf“: Trauer um verschwundene Kinder überschattet Muttertag in Mexiko

May 10, 2023, Mexico City, Mexico: Hundreds of mothers of the disappeared march and protest to demand justice and the return of their children on Mother's Day in Mexico City, Mexico. on May 10, 2023 in Mexico City, Mexico (Photo by Luis Barron / Eyepix Group). (Photo by Eyepix/NurPhoto)

May 10, 2023, Mexico City, Mexico: Hundreds of mothers of the disappeared march and protest to demand justice and the return of their children on Mother's Day in Mexico City, Mexico. on May 10, 2023 in Mexico City, Mexico (Photo by Luis Barron / Eyepix Group). (Photo by Eyepix/NurPhoto)

Mexiko-Stadt. Das letzte Mal sah Sonia Cruz ihren 14-jährigen Sohn kurz nach Weihnachten. Er ging an einem Abend gegen 20 Uhr aus dem Haus, um sich mit seiner Freundin zu treffen. Doch dann wurde er in ein schwarzes Auto gezerrt, das mit ihm davonraste. Bis heute, fast fünf Monate nach der Entführung in einer nordmexikanischen Kleinstadt, fehlt von Jose Luis Martinez Cruz jede Spur. Sein Name ist nun einer der mehr als 112.000 auf der Liste der vermissten Personen im Land.

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„Nicht zu wissen, wo dein Kind ist – das ist eine solch furchtbare Hoffnungslosigkeit; zu wissen, dass irgendjemand ihn einfach mitgenommen hat und du nichts dagegen tun kannst“, sagte Cruz am Mittwoch, dem Tag, an dem in Mexiko der Muttertag, der Día de la Madre, gefeiert wurde. „Du machst dich selbst krank, du wachst auf und weinst, du isst nichts. Der Schmerz hört niemals auf.“

Die Mütter von Verschwundenen, Mitglieder des Kollektivs Solecito und des Kollektivs Justicia y Dignidad, veranstalteten eine Protestkundgebung zum Gedenken an den Muttertag. Die Mütter forderten, dass ihre Kinder ausfindig gemacht werden und dass die menschlichen Überreste, die in illegalen Gräbern gefunden wurden, identifiziert werden.

Die Mütter von Verschwundenen, Mitglieder des Kollektivs Solecito und des Kollektivs Justicia y Dignidad, veranstalteten eine Protestkundgebung zum Gedenken an den Muttertag. Die Mütter forderten, dass ihre Kinder ausfindig gemacht werden und dass die menschlichen Überreste, die in illegalen Gräbern gefunden wurden, identifiziert werden.

Mütter vermisster Kinder protestieren in Mexiko-Stadt

Gemeinsam mit mehreren Hundert weiteren Eltern, die ebenfalls um vermisste Kinder trauern, zog Cruz am Mittwoch durch die Straßen von Mexiko-Stadt. Mit der Kundgebung wollten die Eltern auf die Häufung solcher Entführungen inmitten der ausufernden Gewalt im Land aufmerksam machen. Gleichzeitig forderten sie Antworten – und brachten ihre Wut über die Regierung zum Ausdruck, die das Problem bisher kaum ernst zu nehmen scheint.

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Allein in diesem Jahr sind laut offiziellen Angaben bereits 4145 Menschen als vermisst gemeldet worden. Das entspricht einer Zunahme von mehr als 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Und nach Einschätzung von Forscherinnen, Forschern, Aktivistinnen und Aktivisten ist die tatsächliche Zahl der Fälle noch sehr viel höher. Auch wenn die genauen Hintergründe oft unbekannt sein mögen – die Häufung zeigt, wie sehr das Leben in Mexiko von der Brutalität der Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Drogenkartellen und anderen kriminellen Gruppen inzwischen geprägt ist.

Kurz vor der Kundgebung der trauernden Eltern hatte Präsident Andrés Manuel López Obrador eine Botschaft mit „liebevollen Glückwünschen an alle Mütter“ im Land veröffentlicht. Konkret nannte er Lehrerinnen, Journalistinnen, Großeltern, indigene Frauen, Arbeiterinnen, Geschäftsfrauen und weitere. Mütter von verschwundenen Kindern erwähnte der Staatschef, der das Ausmaß der Gewalt in Mexiko in öffentlichen Äußerungen schon öfter heruntergespielt hat, mit keinem Wort.

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador spricht während einer Pressekonferenz anlässlich des Muttertags.

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador spricht während einer Pressekonferenz anlässlich des Muttertags.

„Wo sind unsere Kinder?“

Während der Kundgebung trug Cruz ein Foto, auf dem ihr Sohn abgebildet war, lächelnd und in einem sauberen weißen Hemd. Er habe Träume gehabt, sagte sie leise. Er habe vorgehabt, eines Tages Ingenieurwesen zu studieren. Um Cruz herum hielten andere Eltern ähnliche Bilder hoch. Gemeinsam skandierten sie: „Wo sind unsere Kinder?“

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Angst habe sie keine mehr, betont Cruz. Wenn die Kartelle ihr etwas antun wollten, dann könnten sie das tun. „Unsere Angst nehmen sie uns komplett weg. Uns ist nichts mehr wichtig. Die einzige Sache, die für uns etwas zählt, ist die, unsere Kinder wiederzufinden.“

Was die Sache für viele Betroffene noch unerträglicher mache, sei die Tatsache, dass die Behörden wenig unternähmen, um solche Fälle aufzuklären, und die Täter ungestraft blieben, sagt Janice Gallagher von der Rutgers University im US-Staat New Jersey, die ein Buch über die Familien von verschwundenen Menschen in Mexiko schreibt. Mütter wie Cruz seien oft die, die Autoritäten zur Rede stellten. Sie „wissen, dass, wenn sie nicht selbst aktiv werden, der Staat nichts tun wird“.

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Cruz meldete die Entführung ihres Sohnes laut eigenen Angaben der örtlichen Polizei und half sogar bei dem Versuch, über sein Handy seinen Standort zu ermitteln. Doch die Behörden hätten wenig bis gar nichts unternommen, beklagt sie.

Proteste sind in Mexiko oftmals lebensgefährlich

Derweil ist es in Mexiko auch nicht ungefährlich, die Stimme zu erheben und mit einem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen. Mehrere Mütter sind auf der Suche nach ihren Kindern bereits selbst getötet worden. Andere erhielten Morddrohungen und mussten aus ihren Häusern flüchten. Seit Anfang 2021 wurden insgesamt mindestens sechs Menschen bei der Suche nach Vermissten getötet. Erst vergangene Woche traf es eine Mutter in der von Gewalt geprägten Stadt Celaya.

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Wie ich mich fühle? Verletzt, wütend, zornig – weil ich mein Kind seit fünf Jahren nicht umarmt habe.

María del Carmen Volante,

deren Tochter als vermisst gilt

Für María del Carmen Volante, die ebenfalls an der Kundgebung in Mexiko-Stadt anlässlich des Muttertages teilnahm, dauert die Suche nun schon sehr lange. Ihre 23-jährige Tochter Pamela Gallardo verschwand vor fünf Jahren nach dem Besuch eines Konzerts. „Wie ich mich fühle? Verletzt, wütend, zornig – weil ich mein Kind seit fünf Jahren nicht umarmt habe“, sagte sie.

Im Laufe ihrer Suche nach Antworten hat Volante laut eigenen Angaben vier Mordanschläge überlebt und nutzt deswegen jetzt die Dienste von Leibwächtern. Sie hat noch immer keine Ahnung, wer ihre Tochter entführt und womöglich getötet hat. Sie befürchtet allerdings, dass sie ins Visier der Täter geriet, weil sie eine Frau war, und dass sie sexuell ausgebeutet worden sein könnte.

Während der Kundgebung trug Volante eine weiße Rose sowie einen Umhang mit einem Foto von ihrer Tochter, den sie schon oft auf den Straßen der Hauptstadt getragen hat. Unter dem Bild stand: „Wo ist Pamela?“ Volante zeigte sich entschlossen. „Ich werde nicht schweigen. Ich werde weiter kämpfen“, sagte sie. Sie werde für all die Kinder schreien, die verschwunden sind.

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RND/AP

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