„Es ging um mein oder sein Leben“: Freispruch für Frau, die ihren Vergewaltiger tötete
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Mit Protesten wird in Mexiko auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht (Symbolbild). Im Durchschnitt werden dort jeden Tag zehn Frauen ermordet. Der Fall von Roxana Ruiz hat im Land eine Debatte ausgelöst.
© Quelle: Marco Ugarte/AP/dpa
Bogota. Eine Frau, der es zunächst gelingt, ihren Vergewaltiger während der Tat zu überwinden, dann aber seine Leiche zerstückelt: Der Fall von Roxana Ruiz hat in Mexiko erst eine politische Debatte über das Recht auf Selbstverteidigung ausgelöst, den Präsidenten zu einer Stellungnahme bewogen und dann die mexikanische Staatsanwaltschaft zum Umdenken gebracht.
Rückblende: Im Mai 2021 wehrt sich Roxana Ruiz Santiago (21), eine indigene Frau aus dem südlichen Bundesstaat Oaxacana, gegen ihren Vergewaltiger. Zu dem dramatischen Zusammentreffen mit der alleinerziehenden Mutter, die als Verkäuferin arbeitet, und ihrem Vergewaltiger kam nach einem gemeinsamen Abend mit ein paar Freunden. Der Täter habe angeboten, Ruiz nach Hause zu begleiten, bat die Frau dann – wegen eines angeblich zu langen Rückwegs –, bei ihr übernachten zu dürfen.
Leiche in Panik zerstückelt
Der Zeitung „El Pais“ sagte Ruiz, sie habe aus Angst zugestimmt, ihn hereinzulassen. Dann habe sie sich schlafen gelegt: „Ich wachte auf, und der Mann lag auf mir, mit heruntergelassener Hose und Boxershorts. Alles, was ich tat, war, ihn von mir herunterzuholen, mich zu verteidigen und lebend herauszukommen“, schilderte sie „El Pais“ dann das, was danach passierte. Es sei zu einer Prügelei zwischen ihr und dem Angreifer gekommen: „Es ging um mein oder sein Leben.“ Der Täter sei dann mit dem Kopf aufgeschlagen und gestorben. Danach habe sie in Panik die Leiche zerstückelt. Die Polizei griff laut Medienberichten die Verkäuferin dann dabei auf, wie sie die sterblichen Überreste des Täters in einer Plastiktüte über die Straße zog, um die Leiche zu entsorgen. „Ich habe ihnen erklärt, dass ich mich verteidigt habe, als dieser Mann mich misshandelt hat, aber das haben sie in meiner Aussage nicht berücksichtigt“, sagte sie in dem Interview.
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Eine Untersuchung der Frau nach Verletzungen im Intimbereich nahmen die Polizisten nicht vor. Diese Untersuchung wäre allerdings für die Entlastung der Verkäuferin vor Gericht enorm wichtig gewesen. Stattdessen landete Ruiz im Gefängnis und verbrachte neun Monate in der Haftanstalt von Bordo de Xochiaca. Im Februar 2022 wurde sie vorübergehend auf freien Fuß gesetzt.
Mexikanischer Präsident stellt sich auf die Seite von Ruiz
Zwei Jahre später bewegt der Fall die mexikanische Öffentlichkeit. Denn in der vergangenen Woche wurde Ruiz auf Drängen der Staatsanwaltschaft wegen „exzessiver Gewalt“ gegen den Mann zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Das empfanden allerdings nicht nur zahlreiche Frauenrechtlerinnen als ungerecht. Sie organisierten Straßendemos und Solidaritätsaktionen für die vergewaltigte Frau. Das Thema wurde nun auch medial immer größer, und selbst der mexikanische Präsident Andres Manuel Lopez Obrador schaltete sich schließlich in die Debatte ein und stellte sich auf die Seite von Ruiz. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, stellte Amlo, wie ihn seine Anhänger rufen, eine Begnadigung der Frau in Aussicht.
Der Fall schlug auch deshalb so hohe Wellen, weil in Mexiko die Gewalt gegen Frauen besonders dramatisch ist. Statistisch werden jeden Tag zehn Frauen ermordet. Kaum ein Täter wird ausfindig gemacht und zur Rechenschaft gezogen. Auch Ruiz hätte leicht in dieser Statistik landen können – hätte sie sich nicht gewehrt.
Unter dem Druck der Öffentlichkeit und der Medien revidierte die mexikanische Staatsanwaltschaft schließlich ihre Einschätzung des Sachverhaltes. In einer Erklärung beschloss die Behörde, die Klage fallen zu lassen, bevor das Urteil rechtskräftig wird. Ruiz habe so gehandelt, wie sie es getan habe, um ihr Leben zu verteidigen. Dass Verhalten sei „von der strafrechtlichen Verantwortung ausgenommen, weil sie in legitimer Selbstverteidigung gehandelt hat“.
Frauen bekunden vor dem Gerichtsgebäude Solidarität
Am Dienstag dieser Woche fand die abschließende Anhörung statt. Die Klage wurde abgewiesen und der Fall zu den Akten gelegt. Ganz ausgestanden ist der Fall allerdings noch nicht. Die Angehörigen des getöteten Mannes könnten ihrerseits noch Berufung einlegen und Schadensersatz fordern, berichten mexikanische Medien.
Unterstützt wurde Ruiz vor der entscheidenden Verhandlung von Frauengruppen und feministischen Kollektiven, die vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten. Begleitet von ihrem Anwalt konnte sie in dieser Woche sichtlich bewegt das Gerichtsgebäude verlassen. Dass sie ihr Leben an der Seite ihrer Tochter in Freiheit fortsetzen kann, daran besteht nun nur noch wenig Zweifel.