Letzte Generation übt heftige Kritik: „Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben?“
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Aimée van Baalen, Sprecherin der Letzten Generation.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Berlin. Die Letzte Generation hat die am Mittwochmorgen erfolgte Razzia gegen Aktivisten und Aktivistinnen der Klimagruppe verurteilt und vehement bestritten, kriminell zu sein. „Die 15 Hausdurchsuchungen haben alle Unterstützer der Letzten Generation hart getroffen. Sie machen uns Angst, aber wir dürfen nicht in dieser Angst verharren“, sagte die Sprecherin der Gruppe, Aimée van Baalen, am Mittwochmittag auf einer Pressekonferenz in Berlin.
Der Paragraph 129 im Strafgesetzbuch (StGB) sollte eigentlich eingesetzt werden, um die öffentliche Ordnung zu schützen und Terrorismus zu vereiteln, erklärte sie weiter. „Jetzt wird er gegen uns eingesetzt. Menschen, die sich friedlich auf die Straße kleben.“ In Paragraph 129 des StGB sind die Strafen für die „Bildung krimineller Vereinigungen“ geregelt.
Van Baalen zeigte zudem Unverständnis für die Beschlagnahmung der Website der Klimagruppe. Dort würden alle Informationen zur Letzten Generation transparent dargestellt. „Alles, was wir tun, tun wir transparent. Wir stehen mit unseren Namen und Gesichtern für unseren Protest. Wir kündigen an, was wir vorhaben. Wir führen Gespräche mit Politikerinnen und Politikern, mit der Polizei, mit Kirchenoberhäuptern. Was ist daran kriminell?“ Die Gruppe sei außerdem entsetzt darüber, dass die Spendenkonten beschlagnahmt wurden.
„Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (...), bevor wir verstehen, dass die Letzte Generation für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?“, kritisierte die Sprecherin weiter.
Bundesweite Razzia bei Klimaaktivisten der Letzten Generation
Ziel der Durchsuchungen sei das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur der Letzten Generation.
© Quelle: dpa
15 Objekte durchsucht – Faeser verteidigt Razzia gegen Letzte Generation
Mit einer großangelegten Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten ab dem frühen Morgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde auch die Homepage der Gruppe vom bayerischen LKA beschlagnahmt und abgeschaltet.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte die Razzia. „Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Polizei und Justiz nehmen Straftaten nicht hin, sondern handeln – so wie es ihre Pflicht ist“, sagte Faeser am Mittwoch der Funke-Mediengruppe. Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden. „Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln.“
Aktivistin: „Wie kann der Kanzler es wagen, sich vor Kinder zu stellen, deren Zukunft er gerade vernichtet?“
Kritik gab es nicht nur an den Durchsuchungen, sondern vor allem auch an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er hatte die Anklebeaktionen von Aktivisten und Aktivistinnen der Letzten Generation am Montag scharf kritisiert. „Ich finde das völlig bekloppt, sich irgendwie an ein Bild festzukleben oder auf der Straße“, sagte der Kanzler bei einem Besuch in einer Schule.
Damit wage es Scholz, „sich lächelnd vor Kinder zu stellen, jene Kinder, die er gerade in einen globalen Schulbus hineinschiebt, der mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit tödlich verunglücken wird“, sagte die Aktivistin Marion Fabian bei der Pressekonferenz und zitierte damit den Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. „Wie kann der Kanzler es wagen, sich vor Kinder zu stellen, deren Zukunft er gerade vernichtet?“, führte sie weiter aus. Es sei seine Schuld, dass Menschen auf Deutschlands Straßen friedlich versuchen würden, ihre Grundrechte zu erstreiten. „Die Ursache unseres Protests liegt in der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen durch die Regierung Scholz“, sagte Fabian.
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Die Aktivistin Marion Fabian spricht bei der Pressekonferenz der Letzten Generation in Berlin.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Sprecherin Aimée van Baalen nahm die Kritik auf: „Dass unsere Wohnung zum wiederholten Male durchsucht werden, das ist völlig bekloppt.“ Kriminell seien nicht die, die für das Klima eintreten würden. „Kriminell ist die fehlende politische Führung in dieser Krise“, sagte sie. „Wir glauben an den Rechtsstaat. Wir appellieren jeden Tag an ihn. Wir haben keine Angst vor einem Prozess. Im Gegenteil, wir haben große Angst vor der Zerstörung unseres Rechtsstaates durch die Folgen der Klimakrise.“
Letzte Generation kündigt bundesweite Proteste in der kommenden Woche an
Die Sprecherin kündigte zudem neue Proteste an. Noch am Mittwoch soll in Berlin ab 17 Uhr ein Protestmarsch stattfinden, am Donnerstag in Leipzig und am Freitag in München. In der kommenden Woche soll der Protest wieder bundesweit stattfinden, erklärte von Baalen. Sie forderte alle Bürger dazu auf, sich am nächsten Mittwoch an Protestmärschen in vielen Städten zu beteiligen.
Im Zuge der großangelegten Razzia am Mittwochmorgen wird gegen sieben Beschuldigte ermittelt, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es zunächst nicht. Zwei der Verdächtigen stehen den Ermittlern zufolge im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Ölpipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.
Hintergrund der Ermittlungen und Durchsuchungen sind laut Staatsanwaltschaft zahlreiche Strafanzeigen. Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die fatalen Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Die Mitglieder kleben sich dabei häufig fest – an Straßen oder auch an Kunstwerken.
Zentraler Vorwurf im Zusammenhang mit den Durchsuchungen ist laut Polizei und Generalstaatsanwaltschaft, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die Letzte Generation organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben sollen. Dieses Geld sei nach bisherigen Erkenntnissen „überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten“ eingesetzt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel davon beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei zunächst nicht. Ziel der Durchsuchungen sei auch „das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur“ gewesen, hieß es.
Durchsuchungen gab es in sieben Bundesländern, konkret in Hessen im Landkreis Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Die Einsätze verliefen ersten Informationen nach friedlich.
Mit Agenturmaterial.