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„Wir werden Berlin nicht verlassen“

Letzte Generation startet Dauerblockade mit 30 Aktionen – Autofahrer setzt Pfefferspray ein

Protest von Klimaaktivisten der Letzten Generation am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg: Polizisten tragen eine von der Straße gelöste Person weg.

Protest von Klimaaktivisten der Letzten Generation am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg: Polizisten tragen eine von der Straße gelöste Person weg.

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Berlin. Die Klimaaktivisten der Letzten Generation sind aus den Sommerferien zurück. Seit Montagmorgen gegen 7.30 Uhr blockieren sie Straßen, Autobahnabfahrten und andere neuralgische Punkte in Berlin durch Sitzproteste und Ankleben. Es kam zu langen Staus und Wartezeiten. Autofahrende protestierten, weil Wege zur Arbeit blockiert wurden. Vereinzelt wurden Handgreiflichkeiten gemeldet.

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Die Polizei zählte allein am Vormittag Aktionen an mehr als 20 Orten der Hauptstadt, die Letzte Generation sprach von mindestens 30. Es ist das bereits seit Monaten bekannte Katz-und-Maus-Spiel zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten der umstrittenen Klimaschutzgruppe und der Polizei. Mehr als 500 Berliner Beamte und Beamtinnen sind allein wegen der Klimaschutzaktionen im Einsatz.

Zum Start der von der Letzten Generation als zeitlich unbefristet angekündigten Protestaktionen in Berlin waren die Einsatzkräfte zumeist schnell vor Ort. An sieben Kreuzungen sei die Polizei schneller gewesen und habe das Festkleben von Demonstranten verhindert, teilte die Polizei auf der Plattform X, vormals Twitter, mit.

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Hartnäckiger Klebstoff

Dennoch seien an einigen Stellen Straßen beschädigt und ein Polizist leicht an einer Hand verletzt worden. An vielen Stellen dauerte das Ablösen von angeklebten Händen ein bis zwei Stunden. Die Polizei schrieb aber auch von einigen „besonders hartnäckigen Klebstoffgemischen“, die an einigen Kreuzungen zu sehr langen Einsätzen führten.

Die Letzte Generation berichtete von vereinzelten Solidarisierungen einzelner Fußgänger oder Radfahrer, was Reporter bestätigten. Die Klimaschützer bedankten sich auch für Blumen, die Blockierer erhalten hätten.

Der Frust blockierter Straßennutzer schlug jedoch auch in Aggressionen um. In mehreren Fällen versuchten wütende Autofahrer, auf eigene Faust die Straßen freizuräumen. Nach Angaben der Polizei besprühte bei einer Blockade in Prenzlauer Berg ein Autofahrer Blockierer mit Reizgas und versuchte, sie „mit Tritten von der Fahrbahn zu entfernen“.

Pfefferspray gegen Letzte Generation

Die Letzte Generation postete ein Video, auf dem ein Mann zu sehen ist, der stehende Blockierer besprüht und ruft: „Weg, ihr Penner.“ Einem sprüht er dabei direkt ins Gesicht und versucht, andere zu treten. Die Straße wird dadurch aber nicht frei. Die Polizei kennt das Video und ermittelt nun wegen gefährlicher Körperverletzung.

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In Spandau stoppte die Polizei einen Autofahrer, der selbst einen Klimademonstranten von der Straße lösen wollte. Sie appellierte: „Wir haben Verständnis, wenn Sie von den Protesten genervt sind, aber bitte greifen Sie nicht ein oder wenden gar Gewalt an.“

Die Frage ist: Wie lange kann das gut gehen?

Bereits am vergangenen Freitag hatten Vertreter der Letzten Generation angekündigt, ihre Proteste mit vielen Aktivisten lange und auf unabsehbare Zeit fortzusetzen. „Hunderte Menschen“ würden aus ganz Deutschland nach Berlin kommen, hieß es. „Wir werden Berlin nicht verlassen, bis die politische Wende da ist.“

Die Gruppe fordert, dass Deutschland ab 2030 auf fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Erdgas verzichtet. Die Bundesregierung peilt das Jahr 2045 an.

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74 Urteile gegen Mitglieder der Letzten Generation

An den Protesten ändert sich auch nichts durch Strafverfolgung. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte seit 2022 in 2860 Verfahren, hauptsächlich nach Aktionen der Letzten Generation. Gegen Mitglieder liegen inzwischen 74 rechtskräftige Urteile vor. In zwei Fällen sei eine Freiheitsstrafe verhängt worden, so die Behörde.

In der Regel wurden die Klimaaktivisten zu Geldstrafen verurteilt, meist wegen Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die Geldstrafen treffen die Verurteilten jedoch kaum, da nach Angaben der Letzten Generation großzügige Spenden von Sympathisanten eingehen.

Nach einem Spendenaufruf in der vergangenen Woche auf der Plattform Gofundme gingen allein vergangene Woche bis Freitag etwas mehr als 300.000 Euro ein. Der Freiburger Ingenieur und Unternehmer Peter Denk hat diese Summe anschließend verdoppelt.

Hemmschwelle für Gewalt gegen Klimaaktivisten sinkt

Politiker wie Justizminister Marco Buschmann (FDP) sagen, wenn „Demonstranten beginnen, Leben oder Eigentum anderer Menschen zu gefährden oder zu beschädigen, sind schnell strafrechtliche Grenzen überschritten – und die gelten auch für die Mitglieder der Letzten Generation.“ Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung glaubt, dass die Hemmschwelle gegenüber den Klimaaktivisten gesunken sei, weil die Proteste für illegitim erklärt oder zumindest in die Nähe gerückt wurden, sagte er dem „Stern“.

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Andere Wissenschaftler wie der Konfliktforscher Jannis Grimm von der FU Berlin halten es für denkbar, dass „die zögerliche Verurteilung der Gewalt von Privatpersonen durch Polizeibehörden und politische Entscheidungsträger“ mit dazu geführt hätte, dass sich „Leute auf der Straße zur Selbstjustiz ermächtigen“.

142 Verfahren gegen Gewalttäter

Im Juli wurde Zahlen bekannt, wonach bundesweit 142 Ermittlungsverfahren wegen Angriffen auf die Letzte Generation eingeleitet worden sind. Dabei ging es zumeist um Fälle von Körperverletzung, außerdem um Nötigung und Beleidigung.

Mehrere Straßenblockaden der Letzten Generation in Berlin

Die Protestierenden der Letzten Generation blockieren in Berlin den Verkehr und fordern eine Wende in der Klimapolitik.

Auch wenn lediglich eine Minderheit gewaltsam gegen Protestierende reagiert – der Beifall und die Ermunterung für sie sowie die Häme über verletzte Demonstranten in den sozialen Netzwerke ist groß. Was auf den Straßen zusätzlich für Frust und Wut sorgt: Die Sitzblockierer wehren sich nicht einmal, wenn sie an Haaren weggezogen oder mit den Füßen weggetreten werden.

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Kommt ein heißer Herbst in Berlin?

Polizei und Experten gehen davon aus, dass die „Letzte Generation“, die die Klimakatastrophe als Gewalt begreift, einen langen Atem haben wird, was die angekündigten Blockaden in der Hauptstadt angeht. Die Fokussierung auf Berlin bedeutet auch die Bündelung bislang bundesweit operierender Mitglieder.

Auf Berlins Straßen kündigt sich somit ein heißer Herbst an.

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