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Opposition befürchtet Rückkehr zum Filz

Ein schwarz-roter Neustart für Berlin

Noch-Regierende und Bald-Regierender: Franziska Giffey (SPD) und Kai Wegner (CDU).

Noch-Regierende und Bald-Regierender: Franziska Giffey (SPD) und Kai Wegner (CDU).

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Berlin. Die Hauptstadt muss man sich leisten können. Die Wohnungen im neuen Luxusquartier „Am Tacheles“ werden für 10.000 bis 25.000 Euro pro Quadratmeter angeboten, dafür bekommen solvente Interessentinnen und Interessenten ein Domizil in extravaganten Neubauten, von Stararchitekten auf einer der letzten großen Brachen im Zentrum Berlins errichtet. Zuvor war hier ein Hort der wilden Nachwende-Kunstszene. Für 2,8 Millionen Euro wurde das Tacheles-Gelände 1998 an die Fundus-Gruppe des Investors Anno August Jagdfeld quasi verschenkt. Der reichte es für 150 Millionen Euro an eine amerikanische Investorengruppe weiter, die dort 700 Millionen Euro investierte und nun Käufer sucht, die global als Wohnungssammler unterwegs sind und für die Berlin noch lächerlich billig scheint.

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Das Tacheles ist ein Symbol für alles, was im Berlin der 1990er- und 2000er-Jahre falsch und verfilzt lief. CDU-Mann Eberhard Diepgen regierte damals die Stadt in einer schwarz-roten Koalition.

Nun kommt Schwarz-Rot zurück. Die SPD-Basis mit denkbar knappen 54,3 Prozent für ein Bündnis mit der Union. Am Montag stimmte auch die CDU für eine Koalition mit den Berliner Sozialdemokraten. Die damit in die Opposition gerutschte Linke fühlt sich wieder an die Ära Diepgen erinnert. „Giffey verschenkt das Rote Rathaus an die CDU und sichert sich so die Unterstützung von Baufilz und Kapitalgebern“, kritisiert Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. „In dem Schlachtruf ‚bauen, bauen, bauen‘ verbinden sich die Interessen dieser Betonköpfe und Politikdinos und beschleunigen Verdrängung, Mietenwahnsinn und Klimakrise gleichermaßen.“

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Wird Berlin mehr London – oder will es mehr Wien wagen?

SPD-Fraktionschef Raed Saleh hält dagegen: Im Koalitionsvertrag seien mehr als 2 Milliarden Euro für Wohnungsrückkäufe vereinbart: „Wir wollen kein zweites London werden“, sagte er dem RND. „Wir wollen ein zweites Wien werden, mit einem hohen Anteil an kommunalem und genossenschaftlichem Wohnraum, der für alle bezahlbar ist.“ Am Tacheles jedenfalls wirkt Wien sehr weit weg.

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Der Wahlsieger CDU hat sich das Bündnis mit den Sozialdemokraten auch sonst einiges kosten lassen. Obwohl die Christdemokraten bei der Wiederholungswahl im Februar mit 28,2 Prozent fast 10 Prozent vor der SPD landeten, bekommen beide Parteien je fünf Senatorinnen und Senatoren. Kai Wegners CDU überließ der SPD so zentrale Ressorts wie Innen, Wirtschaft und Stadtentwicklung. Der Union bleiben neben dem Roten Rathaus die Ressorts Finanzen, Verkehr, Justiz, Kultur und Bildung. Zwei Personalien stechen heraus: Die aktuelle Vizepräsidentin des Bundesamts für Verfassungsschutz, Felor Badenberg, soll Justizsenatorin werden. Sie ist parteilos, hat familiäre Wurzeln im Iran und gilt als Expertin im Kampf gegen Rechtsextremismus. Der frühere Musikmanager Joe Chialo soll sich um Kultur und Kreativwirtschaft kümmern. Der Spandauer ist der erste afrodeutsche Landesminister der CDU.

Ein Machtdreieck für die Stadtentwicklung

Wegner kontert durch diese Personalien erfolgreich die Befürchtung, hier käme wieder die alte, rechtspopulistisch durchwirkte Berliner CDU an die Macht. Doch nicht alles ist neu und ungewohnt: Mit Manja Schreiner wird eine frühere Lobbyistin der Bauwirtschaft Verkehrssenatorin. Die schwarz-rote Stadtentwicklung wird sich damit in einem Macht- und Zuständigkeitsdreieck vollziehen: Bausenator wird der jetzige Staatssekretär Christian Gaebler (SPD), Sozialsenatorin die linke Sozialdemokratin und jetzige Staatssekretärin im Bundesbauministerium Cansel Kiziltepe.

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Die Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte zuvor auf das Stadtentwicklungsressort verzichtet und lieber die Wirtschaftsverwaltung übernommen. Die Zeit bis nur nächsten regulären Wahl 2026 ist kurz. Berlins Wirtschaft lag 2022 mit den anderen Stadtstaaten im Spitzenfeld beim Wirtschaftswachstum, weitere Erfolgsmeldungen sind – auch ohne Giffeys Zutun – zu erwarten.

SPD-Mitglieder in Berlin stimmen für Koalition mit CDU
ARCHIV - 03.04.2023, Berlin: Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin, und Kai Wegner, Vorsitzender der CDU Berlin, stehen nach einem Pressetermin zur Vorstellung des ausgehandelten Koalitionsvertrags zusammen. Die Berliner SPD hat sich für eine Koalition mit der CDU entschieden. Foto: Monika Skolimowska/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Das parteiintern umstrittene Bündnis mit der Hauptstadt-CDU kann kommen. Beim Mitgliedervotum stimmten 54,3 Prozent der SPD für den Koalitionsvertrag.

Ganz vorne aber steht nun Kai Wegner. Als Regierender Bürgermeister will er als Versöhner, Brückenbauer und am liebsten gleich als Landesvater wahrgenommen werden. Was bisher ein Nachteil für den 50-Jährigen war, kann zum Start seiner Regierung ein Plus sein: Der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete ist vielen noch unbekannt. Er kann quasi ganz von vorn und wohlüberlegt daran arbeiten, wie er auf die 3,7-Millionen-Stadt-Berlin – und darüber hinaus – wirken will.

Der neue Regierende sucht den Ausgleich

Dass er den Ausgleich sucht, hat er in den Sondierungsgesprächen sowohl mit Grünen und SPD bewiesen. Er hätte auch Schwarz-Grün gemacht, obwohl das noch im Wahlkampf als ausgeschlossen galt – wenn die SPD nicht so schnell den Finger gehoben hätte. Sowohl Grüne als auch Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben ihn als kompromissfähig und zugewandt erlebt. Allerdings hat er die CDU auch auf Erfolg getrimmt – nach mehr als 20 Jahren wieder den Regierenden Bürgermeister zu stellen. Und zwar mit ihm.

Wird er an diesem Donnerstag im Abgeordnetenhaus gewählt, dürfte er sein Machtbewusststein gegenüber der SPD stärker zur Schau stellen. Christdemokraten haben bisher still gehalten, um die Koalitionsbildung nicht zu gefährden, dabei hätten sie auch etwas zu meckern gehabt. Etwa, dass die SPD gleich viele Senatsposten bekommt, obwohl sie so viel schlechter abgeschnitten hat. Wenn Wegner ins Rote Rathaus eingezogen ist, wird er sich seiner Partei wieder mehr zuwenden.

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