Happy Birthday, Dracula! Ein blutiges Dutzend Filme für eine ewig lange Vampirnacht
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Wie soll man bloß gegen einen solchen Vater rebellieren? Christopher Lee (links) als Dracula, Bernard Menez als sein Sohn mit Beißhemmung in „Die Herren Dracula“ (1976).
© Quelle: picture alliance/United Archives
„Happy Family“ (2017) – Vampirzeit für Groß und Klein
Tanzt du gut Tango, dann wird’s auch was mit der Liebe. Darauf vertrauen Filmfreunde und ‑freundinnen, seit Jack Lemmon und Joe E. Brown beim Tango in Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“ die Rose mit den Zähnen tauschten. Darauf vertraut auch Dracula, der im Animationsfilm „Happy Family“ mit der angebeteten Emma über die geschliffenen, rot-schwarzen Burgfliesen fegt. Der untote Graf hat sich nach einem versehentlichen Smartphone-Talk unsterblich in die Sterbliche verliebt. Er vertraut auf sein Charisma, sein weltmännisches Auftreten, seine Schwüre und eben auf die Macht des Tangos.
Hape Kerkeling spricht den Dracula, der das „r“ rumänisch rollt und jedes „h“ hübsch wie ein „ch“ anröchelt. Der Zahngraf ist ein selbstverliebter Technovampir, der in seinem düsengetriebenen Sonnenschutzanzug eher an Batman erinnert und der Blutersatzpillen einwirft – die Serie „True Blood“ lässt grüßen. Man nimmt es diesem Dracula freilich nicht recht ab, dass er nach seinem völlig unerwarteten Liebespech beim Tango (Emma entscheidet sich doch für ihre Familie) die ganze Welt untergehen lassen möchte – und nun wie ein transsylvanischer Darth Vader an einem gigantischen Schneeball arbeitet, mit dem er die Sonne zum Erlöschen bringen will. Indes – was weiß unsereins schon über die Romantik der Vampire? (Im November des Vorjahres startete Teil zwei in den Kinos.)
„Shadow of the Vampire“ (2000) – Durst ist schlimmer als Heimweh
Regisseur E. Elias Merhige erzählt die Geschichte, wie Friedrich Wilhelm Murnau Anfang der 20er-Jahre Bram Stokers Roman „Dracula“ veränderte und ihn (ohne Rechte, was ihn viel Geld kostete) verfilmte. Und er unterstellt dem netten Murnau Besessenheit, dass er sich mit Schreck – um der realistischen Wirkung Willen – einen echten Vampir für die Hauptrolle geschnappt habe.
Dafür wird die Biografie des wirklichen Schauspielers mit dem prophetischen Namen mächtig vernebelt. Nur einen Film soll er gedreht haben. Was Mumpitz ist, aber nur eine von vielen wirkungsvollen Lügen des Films. Schreck (Willem Dafoe) sorgt schnell für Furcht am Set. Und an den Pakt mit dem Regisseur (John Malkovich) – Blut der Hauptdarstellerin nach Drehschluss, ansonsten Saugen verboten – hält er sich auch nicht. Er schlürft schon mal den einen oder anderen aus der Crew leer. Durst ist eben schlimmer als Heimweh nach Transsylvanien.
„Nosferatu“ (1922) – Mit diesem Film begann Draculas Siegeszug im Kino
Der alte „Nosferatu“ hat auch 100 Jahre später noch die alte Magie. Hier ist der Schrecken weit größer als der Eros, der die Figur in jüngsten Jahrzehnten in eine Art Romeo des Schattenreichs verwandelte. Graf Orlok, der Vampir, tötet, um zu bestehen. Starr ist die Kamera, die uns das Geschehen berichtet. Wie gern hätte Murnau seinen Film mit einer unbegrenzt beweglichen Apparatur geschaffen. Die Unbewegtheit in „Nosferatu“ aber ist ein Angewurzeltsein, das perfekt zu den finsteren Vorkommnissen passt. Nur nicht atmen, mucksen, nicht die Aufmerksamkeit der Bestie auf sich lenken. Die Kamera ist der furchtsame Voyeur von Dingen, die niemand je hätte sehen dürfen.
Und Murnau saugt uns an, zieht uns in die zitternden, uralten Bilder mit ihrem wandernden Lichtkreis im Zentrum, der sich zu den Rändern hin verdunkelt. Auf der düsteren Seite schürt der Horrorfilm die Angst vor dem Fremden, das wird klar. Die Botschaft von „Nosferatu“ ist auch: Misstrauen zeigen, wer selbstlos kämpft, führt den Untergang des Fremden herbei.
Ein Instrument für die Nazis hätte dieser „Nosferatu“ werden können, doch als das Dritte Reich begann, war der Film verloren. Die Witwe des „Dracula“-Autors Bram Stoker hatte einen Rechtsstreit durchgezogen, an dessen Ende die Vernichtung von „Nosferatu“ stand. Murnau ging nach Hollywood. Wo die Filmindustrie allzeit frische Talente aussaugte. 20 Filme in zwölf Jahren – das ist Murnaus Vermächtnis. Als der stumme Film sein Ende erreicht hatte, als das Wort zum Zelluloid kam und damit die Geschwätzigkeit, starb auch Murnau. Eine unheimliche Fußnote gab es noch zum Sinfoniker des Grauens. Eine Wahrsagerin prophezeite ihm, er würde anders nach Deutschland reisen, als er es plane. Murnau traf in einem Sarg in Hamburg ein – exakt am prophezeiten Datum.
„Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979) – Graf Orloks wehmütig-romantische Version
Stummfilm-Gruselmeister Max Schreck, F. W. Murnaus Hauptdarsteller, ist unzweifelhaft der beste Nosferatu aller Zeiten, Klaus Kinski steht (gleichauf mit Willem Dafoe in „Shadow of the Vampire“) auf Platz zwei. Werner Herzogs „Nosferatu – Phantom der Nacht“ ist eine faszinierende Mixtur aus Horrorfilm und Drama.
Unter der Oberfläche des Grauens liegt eine Geschichte über Liebe und Menschlichkeit, wie sie im Dracula-Mythos sonst nur Francis Ford Coppola erschaffen hat. Neben Kinski spielen die wunderschöne Isabelle Adjani und der geniale Bruno Ganz mit. Die DVD-Version lohnt: Werner Herzog erzählt in seinem Audiokommentar alles über Entstehung und Absichten seiner Hommage an Murnaus Meisterwerk.
„Dracula“-Trash mit Christopher Lee (1968/70) – Lachen, weil’s zum Weinen zu lustig ist
Da strampelt ein Junge, Naivität auf dem Antlitz, der Kirche entgegen, läutet die Glocke, worauf Blut vom Seil tropft und als schauriger Schlegel eine tote Maid zum Vorschein kommt. „Draculas Rückkehr“ (1968) ist Grusellust mit Trashduft. Christopher Lee beißt und bekämpft in den vergnüglichen 88 Minuten ausnahmslos schlechte Schauspieler und Schauspielerinnen.
Ebenso amüsant, aber nach 34 Jahren ohne echten Schrecken: „Wie schmeckt das Blut von Dracula?“ (1970). Die Dekolletés der weiblichen Vampiropfer werden hier buchstäblich waghalsiger.
„Near Dark“ (1987) – Die unsterbliche Romanze eines Cowboys
Vampire sind immer und überall. Und sie sehen dabei nicht unbedingt aus wie welche. In Kathryn Bigelows „Near Dark“ von 1987 nennen sie sich noch nicht mal Vampire, aber sie beißen und erscheinen auf den Straßen des Mittleren Westens, in den weiten Distanzen zwischen den Menschensiedlungen, plausibel und in ihrem Wirken gänzlich unheimlich.
Die Erlebnisse eines jungen Cowboys, der über eine Romanze an die Unsterblichkeit (bei konsequentem Verzicht auf Sonnenlicht) gerät, sind der Vorläufer aller vampirmythologischen Neudeutungen á la „Interview mit einem Vampir“, Coppolas „Dracula“ und „Blade“. Wobei die engste Verwandtschaft zu Robert Rodriguez’ Roadhorrorwestern „From Dusk Till Dawn“ besteht.
„Die Herren Dracula“ (1976) – Einen Jux wollte sich Christopher Lee machen
Nachdem Christopher Lees spätere Dracula-Auftritte für Hammer-Films Ltd. – wie in „Dracula jagt Mini-Mädchen“ (1972) – eher absichtslos erheiternd waren, trat der charismatische Brite mit den transsylvanisch hohen Wangenknochen in „Die Herren Dracula“ 1976 die Flucht vor seiner Paraderolle nach vorn an – mit einer charmanten Gruselkomödie. Vater und Sohn Dracula retten sich darin vor den kommunistischen Revolutionären aus Rumänien nach Mitteleuropa.
Der Filius (Bernard Menez) ist dabei leider von einer geradezu selbstmörderischen Beißhemmung befallen, der Vater hingegen ist ganz der sinnliche Vampirfürst. Beide versuchen nach einem Schiffbruch, mit dem modernen Leben im Exil klarzukommen. Der Papa wird in England angeschwemmt und dort Filmstar, der Sohn gerät in Frankreich unter die Räder, rebelliert aber schließlich erfolgreich gegen seinen alten Herrn. Regisseur Edouard Molinaro lässt seine Blutsauger ähnlich tanzen wie Roman Polanski in „Tanz der Vampire“ (1967) und verdammt den Junior sogar zu einer Blutspende.
„Wächter des Tages“ (2006) – Was die Vampire so in Moskau treiben
Uneinnehmbare Festung, Kreide des Schicksals, Brücke der Gerechtigkeit, bla, bla. Derlei Plastikmythen sind wichtig für „Wächter des Tages“. Das operettige Sequel zu „Wächter der Nacht“, in dem das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu Gunsten der Nachtgeschöpfe enden soll und Held Anton im Abwehrkampf zeitweilig zur Frau wird (ein tieferer Sinn in Transsylvanien), kommt lang nicht aus dem Knie.
Moskauer Nächte der blutroten Art – sie zeigen ein übergeschnapptes, düsteres Neon-Russland voller Vampire, und das mutet ja irgendwie seit Beginn der Ära Wladimir Putin gegenwärtig an. Drehbuch von Konfusius, und schauspielerisch gesehen ist es auch eine Platzpatrone. Nicht nur trashig, sondern fast sehenswert wird’s, als die Putin-Draculas später im Film einen Zahn zulegen.
„Der Kuss des Vampirs“ (1962) – Bayerns weißblauer Himmel ist nebelverhangen
Im Bayern des Jahres 1910, das der Australier Don Sharp in „Der Kuss des Vampirs“ (1962) vor dem Zuschauer oder der Zuschauerin ausbreitet, ist der weißblaue Himmel nebelverhangen, der im Lederhosenland residierende Vampir intelligent, kultiviert und musisch – und er kann sogar tagaktiv werden, solange nur die Sonne nicht scheint.
Der Dracula dieses dritten Vampirstreifens der Hammer-Studios heißt Ravna, Noel Willman spielt ihn und ist als Christopher-Lee-Reserve okay. Insgesamt erfreut der Streifen durch den allmählichen Aufbau einer unangenehmen Atmosphäre, statt Hammer-Films-üblich den Schockeffekt zu strapazieren.
„So finster die Nacht“ (2008) – Schöner wurde Vampirliebe nie erzählt
Die schönste Vampirliebesgeschichte des Kinos – schöner als jeder „Bis(s)“-Film – wird in „So finster die Nacht“ erzählt. Der Schwede Tomas Alfredson lässt den schüchternen blonden Oskar, der von seinen Mitschülern gemobbt wird, auf die sonderbare Eli treffen. Das neue Mädchen in der Stadt rät Oscar zurückzuschlagen. Und hilft am Ende ein bisschen auf die ruppige Untotenart nach!
Eine Coming-of-Age-Geschichte also, wäre da nicht die kindliche Vampirin, das klassische Not-Coming-of-Age-Wesen, das in diesem Fall für immer im Körper einer Zwölfjährigen gefangen ist. Dabei bleiben bei Alfredsons damals bestem Vampirfilm seit ewig vom Vampirmythos weder Knoblauch noch Kreuz übrig.
„Daybreakers“ (2009) – Wenn die Durststillspezies zur Neige geht …
Die Vampire in Michael und Peter Spierigs „Daybreakers“ sind silbergraue Wesen mit Bernsteiniriden, zivilisierte Raubtiere mit sardonischen oder melancholischen Zügen. Sie herrschen über die Erde und suchen nach einem Blutersatzstoff, weil die Hauptnahrungsquelle Mensch zur Neige geht und extrem unterernährte Blutsauger zu debilen Flattermonstern degenerieren.
Vielversprechende Science-Fiction mit Draculas Nachfahren im Film-noir-Stil, mit schicken Bildern und hervorragender Besetzung (Ethan Hawke, Sam Neill, Willem Dafoe). Die feine Story wird mit Splatter und Action verdünnt, hält aber einen aparten Schlusskniff bereit, der den Untoten die ganz lange Nase macht.
„Dracula“ (2020) – Der alte Graf vermag noch zu überraschen
Ist der alte Graf noch gruselig? Die „Sherlock“-Macher Mark Gatiss und Steven Moffatt schaffen’s. Ihr „Dracula“-Dreiteiler hält den Zuschauer oder die Zuschauerin in Atem, ist voller Überraschungen, die über die Romanvorlage hinausgehen, ohne Bram Stokers Buch zu verraten. Eine Nonne (Dolly Wells) wird zum Ventil des Grauens, und Claes Bang, der schon als selbstverliebter Hollywoodstar in der Serie „The Affair“ überzeugte, ist ein Hingucker und Volltreffer als witziger, wilder und durchaus thrillender Prinz der Finsternis.
Manchmal ist da zu viel Witz, wenn Jonathan Harker zu Dracula sagt: „Sie sind ein Monster!“ Und der antwortet: „Sie sind ein Anwalt. Nobody’s perfect!“ Da denkt man an Jack Lemmon in Billy Wilders Komödienklassiker „Manche mögen’s heiß“, der das kurz nach seinem Tango auch gesagt bekommen hat. Womit sich der Vampirkreis schließt.
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