Führerschein gegen Fahrkarte: Wie Senioren der Abschied vom Auto erleichtert werden soll
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Eine Rentnerin startet mit dem Zündschlüssel ihr Auto bei einem Fahrtraining für Senioren am „Aktionstag Senioren im Straßenverkehr“ in Beeskow (Brandenburg).
© Quelle: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dp
Die Frage, ob ältere Menschen noch mit dem Auto unterwegs sein sollten, löst immer wieder hitzige Debatten aus. Dazu trugen kürzlich auch Pläne der EU bei, laut denen die Fahrtauglichkeit ab einem gewissen Alter überprüft werden soll. Für Senioren und Seniorinnen, die freiwillig auf das Auto verzichten möchten, gibt es in vielen deutschen Städten Tauschaktionen: Wer seinen Führerschein endgültig abgibt, bekommt im Gegenzug eine kostenlose Fahrkarte. Je nach Stadt oder Gemeinde gilt dieses Abo für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für ein paar Monate bis zu einem Jahr. Die Verkehrsverbünde wollen mit solchen Angeboten die Entscheidung zum Umstieg auf Bus und Bahn erleichtern.
Eine der Städte, die unter dem Motto „Fahrschein statt Führerschein“ wirbt, ist Hannover. Dort können Senioren und Seniorinnen seit 2021 ihren Führerschein gegen ein Jahresabo für den ÖPNV eintauschen. Nach Ablauf der Fahrkarte haben Senioren die Möglichkeit, eine Seniorennetzkarte für aktuell 26,40 Euro monatlich zu kaufen.
Aber warum ist das Angebot auf zwölf Monate begrenzt? „Ein kostenloses Abo bis ans Lebensende funktioniert leider nicht“, erklärt Tolga Otkun, Pressesprecher des Verkehrsverbunds Großraum-Verkehr Hannover (GVH). Finanziell sei ein solches Angebot für den Verkehrsverbund nicht machbar. „Das kostenlose Jahresabo ist eher als Anreiz gedacht, um den Umstieg zu erleichtern“, sagt Otkun. Das Tauschangebot gilt für Personen, die mindestens 60 Jahre alt sind und Rente beziehen. Seit Beginn der Aktion haben laut GVH rund 4000 Personen ihren Führerschein freiwillig abgegeben.
Otkun betont, dass der GVH mit der Aktion niemandem Unsicherheit oder gar eine Gefährdung im Verkehr unterstellen möchte. „Bei jedem ist es unterschiedlich, wie lange er oder sie Autofahren will und kann. Wenn Senioren zu der Erkenntnis kommen, dass sie ihren Führerschein nicht mehr brauchen, ist die Aktion eine gute Anlaufstelle und kann den Umstieg erleichtern.“
Angebote deutschlandweit vertreten
Auch in anderen Städten hat die Idee in den letzten Jahren Zuspruch gefunden. In Baden-Württemberg hat das Verkehrsministerium 2021 einen Kooperationsvertrag mit mehreren Verkehrsverbünden abgeschlossen. 14 von 21 Verbünden haben den Vertrag unterzeichnet. Mindestens 50 Prozent der Kosten tragen die teilnehmenden Verbünde. Das Land beteiligt sich mit bis zu 3 Millionen Euro an den Kosten für die Tickets.
Es gibt auch Städte wie Lübeck oder Recklinghausen, in denen das Angebot nicht ausschließlich für ältere Menschen gilt. Hier kann jeder und jede unabhängig vom Alter den Führerschein gegen eine Fahrkarte eintauschen.
Verursachen Senioren tatsächlich mehr Unfälle?
„Senioren sind durch ihre erhöhte Anfälligkeit für Verletzungen eher Gefährdete als Gefährder“, sagt ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino. Besonders wenn sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind. 56 Prozent der tödlich Verunglückten sind 65 Jahre oder älter. Bei den Pedelec-Nutzern sind sogar 68 Prozent der tödlich Verunglückten aus dieser Altersgruppe.
Laut Statistischem Bundesamt haben im Jahr 2021 Menschen über 65 Jahre 17,54 Prozent der Pkw-Unfälle mit Personenschaden verursacht. Das sind weniger Unfälle, als es ihrem Bevölkerungsanteil von 22 Prozent entsprechen würde. Das bedeutet auf den ersten Blick, dass Senioren nicht überdurchschnittlich viele Unfälle verursachen.
Auf die Kilometerfahrleistung bezogen haben Senioren ein höheres Unfallrisiko – ähnlich hoch wie 18- bis 24-Jährige.
Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer
Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, weist jedoch darauf hin, dass die Statistik mit Vorsicht zu betrachten ist. Zwar zeigt sie in den absoluten Zahlen, dass Senioren und Seniorinnen kein überhöhtes Unfallrisiko hätten, jedoch fahre diese Altersgruppe viel weniger mit dem Auto. „Auf die Kilometerfahrleistung bezogen haben Senioren ein höheres Unfallrisiko – ähnlich hoch wie 18- bis 24-Jährige“, sagt Brockmann.
EU-Pläne: Nachweis der Fahrtauglichkeit für Senioren
In Deutschland wird aktuell nicht überprüft, ob Menschen im hohen Alter noch fahrtauglich sind. Einmal erworben, gilt der Führerschein ein Leben lang. In manchen anderen Ländern wird die Fahrtauglichkeit von Menschen über 70 Jahre hingegen regelmäßig überprüft. Laut EU-Plänen, die Anfang März vorgestellt wurden, soll eine solche Regelung für alle EU-Länder durchgesetzt werden.
Mit einer großen Führerscheinreform soll unter anderem die Verkehrssicherheit verbessert werden. Dazu gehört auch, dass die Fahrtauglichkeit von Menschen über 70 Jahre alle fünf Jahre überprüft wird.
Verkehrsminister Volker Wissing sprach sich zuletzt gegenüber der „Bild am Sonntag“ gegen die EU-Pläne aus: „Von der Idee, dass sich Senioren ab einem bestimmten Alter ohne weiteren Anlass regelmäßig einem Tauglichkeitstest unterziehen müssen, halte ich gar nichts.“ Viele ältere Menschen seien sehr erfahrene, umsichtige Autofahrer, sagte der FDP-Politiker. „Ich setze hier ganz klar auf die Eigenverantwortlichkeit. Verpflichtende Gesundheitstests, wie sie der EU vorschweben, lehne ich ab.“