Neue Wohnmobiltrends: vom aufblasbaren Alkoven bis zur faltbaren Dusche
Der eingeklappte Alkoven ist auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen.
© Quelle: Bürstner
So schnell kann es gehen. Die Caravaning-Branche schöpft seit Jahren aus dem Vollen und steuerte bislang auf strammem Wachstumskurs. Allen voran feierten die Reisemobilhersteller bei den Zulassungszahlen in Deutschland elf Rekordjahre in Folge, selbst im vergangenen Jahr noch, als sich schon erste düstere Wolken am Horizont abzeichneten.
Der bis dato durch die Corona-Pandemie noch verstärkte Wohnmobilboom rettete bis zum Jahresende gerade noch ein positives Ergebnis: Trotz eines vehementen Zulassungseinbruchs im Herbst bedeuteten 81.420 Neuanmeldungen für 2021 das nächste Allzeithoch, allerdings mit einem Plus von 4,3 Prozent statt zuvor oft zweistelliger Zuwachsraten. Nach dem ersten Halbjahr 2022 ist mit Minus von über 12 Prozent mittlerweile Ernüchterung eingekehrt.
Das liegt aber keineswegs an rückläufiger Nachfrage. Der Run auf die mobilen Eigenheime ist unverändert stark, die Auftragsbücher der Hersteller sind gut gefüllt. Die Lieferketten bereiten den Auf- und Ausbauern allerdings große Probleme. Fehlende Chassis, besonders dramatisch beim Fiat Ducato, sowie nicht lieferbare Bauteile und Komponenten wie Fenster, Türrahmen, Toiletten oder Kühlschränke beeinträchtigen massiv die Produktion sowie die Auslieferung.
Lieferfristen häufig schon bei über einem Jahr
Die Folge: Unfertige Fahrzeuge stehen zu Tausenden bei den Herstellern auf dem Hof, Lieferfristen werden immer länger, liegen oft schon bei über einem Jahr, und weil die Materialkosten in die Höhe klettern, müssen auch die Kundinnen und Kunden für ihre bereits bestellten Camper und Reisemobile tiefer in die Tasche greifen. Und die Auswirkungen einer fortschreitenden Inflation mag man sich noch gar nicht vorstellen.
Wer allerdings denkt, die Branche würde in diesen Sommermonaten, wo sie für gewöhnlich mit einer Vielzahl von Neuheiten auf den Düsseldorfer Caravan-Salon (26. August bis 4. September) einstimmt, in tiefe Depression verfallen, sieht sich getäuscht. Die Hersteller präsentieren sich, ganz im Gegenteil, sogar besonders kreativ.
Getrieben werden sie dabei von der Aufgabenstellung, die Chassisprobleme des Basisfahrzeugbestsellers Ducato zu kompensieren und in der mit Abstand am meisten nachgefragten Kompaktklasse flexible Lösungen zu erfinden, die auch auf engem Raum hohen Wohnkomfort ermöglichen sollen.
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Originelle Lösung: Bürstner bietet das erste Reisemobil mit einem aufblasbaren Alkoven an. Hier zu sehen ist der gewonnene Schlafraum in aufgeblasenem Zustand.
© Quelle: Bürstner
Aufblasbarer Alkoven
Für die originellste Neuerung sorgt die Traditionsmarke Bürstner: Der Debütant Lyseo Gallery ist das erste Reisemobil mit einem aufblasbaren Alkoven an Bord. Der flexible, ausfahrbare Erker über dem Fahrerhaus eines Fiat Ducato, im vergangenen Herbst als Konzeptfahrzeug gezeigt, geht tatsächlich in Serie und wird mit einer Länge von 6,90 Metern ab rund 80.000 Euro zu haben sein.
Die Idee dahinter: Während der Fahrt lässt sich der Bürstner mit einer Höhe von 2,96 Metern so einfach wie ein Teilintegrierter dirigieren und begnügt sich mit niedrigeren Verbrauchswerten gegenüber einem vergleichbaren Alkovenmodell. Wenn im Stand das Obergeschoss per Knopfdruck hinzukommt, bietet der nunmehr 3,70 Meter hohe Gallery mehr Wohnraum als ein gleich langer Teilintegrierter und damit auch mehr Wohnkomfort.
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Dieselbe Aktion von außen betrachtet: der Bürstner mit ausgefahrenem Alkoven.
© Quelle: Bürstner
Die Wände des flexiblen Alkovens bestehen aus einem Gewebe mit Luftkammern, die mit Kompressorluft aufgepumpt werden. Das geschieht mit einem geringen Druck von 0,2 bar und es dauert etwa 90 Sekunden, bis die Dachkammer ihre Endposition erreicht hat. Aktuell arbeitet der Kompressor im Vorserienmodell noch deutlich vernehmbar, soll aber bis zum Serienstart durch eine flüsterleise Alternative ersetzt werden, verspricht Produktmanager Zoran Zupan. Labortests sollen dem Alkoven zudem eine gute UV-Beständigkeit, hohe Dichtigkeit und durch die eingeschlossene Luftschicht auch eine hervorragende Isolation bescheinigt haben.
XXL-Schlafraum mit riesigem Doppelbett und 1,10 Meter Innenhöhe
Das Oberstübchen ist ein regelrechter XXL-Schlafraum mit riesigem Doppelbett und 1,10 Meter Innenhöhe. Die Liegefläche kann auch als Sitzgelegenheit genutzt werden und verwandelt sich mit eigenem Tisch sowie Handyladestation je nach Bedarf zum Arbeits- oder Spielplatz. Und das Schönste: Der Aufgang ins Dachjuchhe erfolgt über eine bequeme seitliche Treppe, deren Treppenstufen zum Teil noch als Stauraum genutzt werden können. Das Luftkammernsystem ebenso wie die Treppe erinnern an die Konzeptstudie Vision Venture Van, mit der Hymer 2019 einen Blick in die Zukunft gewährte. Bürstner, ebenfalls ein Teil der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG), hat davon jetzt einen Teil umgesetzt.
Die Knaus-Tabbert-Gruppe, einer der EHG-Hauptkonkurrenten, überraschte zuletzt mit einer langfristig angelegten Kooperation mit Volkswagen. Und um das mit Nachdruck zu unterstreichen und gleich mit Leben zu füllen, bauen sie nicht nur die Modellreihe Van TI auf Crafter-Basis, sondern knöpfen sich auch den beliebten Transporter T6.1 vor, und zwar nicht als x‑ten Camperaufguss einer California-Alternative, sondern in Formaten, in denen der Transporter bisher höchst selten beziehungsweise noch gar nicht zu sehen war.
Nach dem SUV jetzt das CUV – das Caravaning Utility Vehicle?
Als Knaus Tourer Van und Weinsberg X‑Cursion wird der T6.1 zu einem echten Teilintegrierten aufgebaut, der das am stärksten boomende Segment der Kompaktreisemobile bedient. Und als Knaus Tourer CUV (Caravaning Utility Vehicle), der das Beste aus zwei Welten (Kastenwagen und Teilintegrierter) auf sich vereinen soll, begründet er mit einem fast über die gesamte Länge hochfahrbaren Aufstelldach sogar eine neue Fahrzeugkategorie – so sehen es zumindest die Erfinder.
Während das CUV erst zum Caravan-Salon fertig wird, lässt sich eine pfiffige Weltneuheit in den Prototypen des 5,88 Meter langen Tourer Vans und seines Weinsberg-Pendants bereits erkunden: Im Modell 500 MQ haben die Innenraumarchitekten nämlich eine flexible Duschkabine verbaut.
Das Bad mit Toilette, Waschbecken und Dusche befindet sich auf der Fahrerseite zwischen der vorderen Sitzgruppe und dem hinten quer eingebauten Doppelbett. Wenn die Dusche mit voller Stehhöhe von 1,90 Meter benutzt wird, ragt die Trennwand zum Bett ein gutes Stück bis in die Koje hinein.
Sobald im Schlafmodus die volle Bettbreite benötigt wird, muss die höhenverstellbare Dusche lediglich nach unten gezogen werden: Eine Mechanik mit Gasfeder und Gurtband faltet die Trennwand zusammen und bringt die ganze Chose auf das Niveau des Heckbettes. Das passende Matratzenteil wird auf die zusammengeklappte Dusche gelegt. Fertig ist das Doppelbett. Und keine Angst: ob Schlaf- oder Duschkonfiguration, die Toilette ist jederzeit zugänglich und nutzbar.
Griff zum Sondermodell lohnt sich
Die Preisskala für den Knaus Tourer Van mit 110 PS starkem VW-Diesel beginnt bei rund 66.000 Euro. Das von Anfang an verfügbare Sondermodell Vansation (bei Weinsberg entspricht das dem X‑Cursion Van Pepper) ist mit 79.500 Euro zwar wesentlich teurer, dennoch spart der Kunde oder die Kundin eine Menge Geld, da hier bereits eine Vollausstattung von stärkerem 150-PS-Motor, Sieben-Gang-DSG und Leichtmetallfelgen über Naviceiver und Assistenzsystemen bis zu Markise und Smart-TV an Bord ist. Die entsprechenden Weinsberg-Modelle dürften – mit anderem Dekor, weißem Outfit und unwesentlich abgespeckt – jeweils rund 1500 Euro günstiger angeboten werden.
Fiats Lieferprobleme haben auch andere renommierte Caravaning-Marken dazu gezwungen, ihre eingetretenen Pfade zu verlassen. Beispielsweise auch Hobby. Die Norddeutschen, bei den Wohnwagen Europas Nummer eins, zählen bei den Reisemobilen eher zu den kleineren Herstellern, die sich fast ausschließlich auf Ducato-Aus- und ‑Aufbauten konzentrierten. Sie haben jetzt ebenfalls eine enge Zusammenarbeit mit VW verkündet und wollen auf dem Caravan-Salon eine eigene Van-Alternative zum Grand California präsentieren – durchaus mit eigenen, innovativen Ideen denkbar.
Größter Profiteur des Umstiegs auf andere Basisfahrzeuge dürfte allerdings dennoch der Ford Transit sein. So hat Eura Mobil zwar schon immer den Transit verbaut, seine Aktivitäten in diesem Bereich aber schon jüngst auch auf das Campersegment mit dem Karmann Duncan ausgeweitet.
Bei Knaus-Tabbert wechseln die Weinsberg-Modelle Cara-Bus und Cara-Tour erstmals ins Ford-Lager. Und dass die Hymer-Gruppe verstärkt den Transit als Basis einsetzt – etwa im LMC Innovan, bei den neuen Dethleffs Just Go und Globevan, bei Etrusco oder als 4×4-Version gar im Bürstner Copa und demnächst im Sunlight Cliff –, dürfte Fiat am meisten schmerzen.
Rund 1,2 Millionen Camper haben Kaufabsichten
Einen Grund, Trübsal zu blasen, sieht Daniel Onggowinarso, der Geschäftsführer des Caravaning-Industrie-Verbandes (CIVD), trotz der Lieferschwierigkeiten also nicht: „Caravaning steht für selbstbestimmtes und unabhängiges Reisen. Die Fangemeinde wächst seit vielen Jahren, und dieser Trend ist langfristig angelegt.“
Laut einer Allensbach-Studie würden 1,2 Millionen Camperinnen und Camper konkrete Absichten für den Kauf von Freizeitfahrzeugen in den nächsten ein bis zwei Jahren äußern, blickt Onggowinarso optimistisch nach vorn. Eine Prognose, wann sich die Liefersituation wieder normalisieren könnte, wagt aber auch der CIVD-Chef nicht.
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