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Interview über Streaming im Wandel

Sky-Programmchefin Elke Walthelm: „Serienfans dürfen Vertrauen nicht verlieren“

Auch privat ein Fan von Serien: Elke Walthelm, Executive Vice President Content oder Programmchefin von Sky Deutschland und seinem Streamingdienst Wow liebt unter anderem die Fußballcomedy „Ted Lasso“ und die Endzeitserie „The Last of Us“.

Auch privat ein Fan von Serien: Elke Walthelm, Executive Vice President Content oder Programmchefin von Sky Deutschland und seinem Streamingdienst Wow liebt unter anderem die Fußballcomedy „Ted Lasso“ und die Endzeitserie „The Last of Us“.

Hallo Frau Walthelm. Welche Serien locken Sie als Programmchefin von Sky derzeit ganz privat vor den Fernseher?

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Natürlich vermischen sich bei mir ein bisschen die Dimensionen. Ich schaue mit einem Auge immer auch beruflich zu, im Gedanken daran, was für unsere Kunden relevant sein könnte. Aber ehrlich gesagt – privat ich bin ein Serienjunkie und schaue vieles richtig gerne. Derzeit sehe ich zum Beispiel „The Last of Us“, auch wenn ich erstaunt bin, dass man nach der Pandemie noch mal Lust hat auf Zombies und eine apokalyptische Welt. Und dann stecke ich in der vierten Staffel von „Succession“, einer Geschichte über Medien und eine sehr dysfunktionale Familie. Zwei unterschiedliche Beispiele für Eskapismus, der ja oft die Triebfeder von Unterhaltung ist.

Das sind Serien, die bei Sky und Ihrem Streamingdienst Wow laufen. Sind Sie auch bei der Konkurrenz unterwegs?

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Selbstverständlich. Zwar sind auch meine Tage nur auf 24 Stunden begrenzt, abends und am Wochenende schaue ich aber gerne querbeet. Auch um festzustellen, was der Wettbewerb macht und was es an Trends gibt. Was mir persönlich totale Freude macht, ist „Ted Lasso“. Das ist so eine herzerwärmende Geschichte – und das im Umfeld dieser harten Männer-Fußballwelt. Das hätte ich nicht erwartet. Was für ein schöner Genrebruch.

„Mehr am Stück sehen hat mich persönlich richtig begeistert“

Aus der Erkenntnis, dass Fans von Serien lieber ganze DVD-Boxen bingen, als auf wöchentlich eine Folge ihrer Lieblingsserie zu warten, entstanden die Streamingdienste. Wie haben Sie die Aufbruchszeit erlebt und kam das Ihren Vorstellungen von Fernsehen entgegen?

Ich erzähle Ihnen kurz eine private Geschichte. Als ich Studentin war, hatten wir in unserer WG einen Videorekorder, den man programmieren konnte. Damit haben wir „Sex and the City“ und „Ally McBeal“ aufgezeichnet. Und wenn ich dann mal verpasst habe, eine Folge zu gucken, war es das Allergrößte, zwei Folgen anschauen zu können. Mehr am Stück sehen und vielleicht auch mal die Werbung vorspulen zu können, das hat mich persönlich richtig begeistert. Deswegen fand ich die Entwicklung von den teuren DVD-Boxen zum Streamingangebot nur logisch. Ab da konnte ich viele Folgen vieler Serien am Stück schauen, so, wie es mein Zeitkontingent erlaubt.

Ein Versprechen von Streamingdiensten war „All you can watch“. Skys Streamingdienst Wow bietet – ähnlich wie Apple TV+, Disney+ und andere – immer nur eine Serienfolge pro Woche. Warum wurde das aufgegeben? Wurde bei Wow überhaupt je eine Serie am Stück angeboten?

Teilweise liegt das gar nicht in unserer Macht, das zu entscheiden. Wenn der US-Sender HBO wöchentlich eine Folge sendet, können wir die ganze Serie später anbieten oder zeitgleich mit den USA jeweils die aktuelle Folge. In der Regel wählen wir Letzteres, damit der Kunde nicht das Gefühl hat, er verpasst etwas, worüber in den Fanforen ausgiebig diskutiert wird. Bei unseren eigenen Produktionen haben wir andere Möglichkeiten. Am letzten Wochenende haben wir etwa alle Episoden der romantischen Sci-fi-Komödie „Tender Hearts“ auf einmal gelauncht. Dagegen starten wir im Mai die letzte Staffel der Thrillerserie „Der Pass“ mit einer Doppelfolge – dann werden wir wöchentlich eine Episode ausstrahlen. Bei neuen Serien veröffentlicht man eher alles, damit der Zuschauer sich komplett in diese Welt hineinbegeben und zurechtfinden kann. Und bei etablierten Serien halten wir den Spannungsbogen und das Interesse an der Serie lieber über ein paar Wochen aufrecht.

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Und rechnen damit, dass der Fan, sechs „Pass“-Abende gut findet, statt das selbst zu entscheiden.

Es kommt natürlich immer auf den jeweiligen Kunden an, auf seine Vorlieben und auch auf das Zeitbudget, das er hat. Der eine mag am Stück sehen, der andere portioniert. Ich persönlich freue mich jede Woche auf die neue Folge von „Ted Lasso“, und dass ich nicht schon die ganze Staffel auf einmal weggesnackt habe. Das erinnert mich an früher, an lineare Zeiten, als man Dienstagabend nach Hause kam und die neue Folge von „Sex and The City“ auf einen wartete. HBO macht das schon immer sehr bewusst und sehr erfolgreich – mit einer sehr großen Fanbase.

„Manchmal sind es zu wenige Zuschauer, um eine Investition noch zu rechtfertigen“

Apropos HBO: Das größte Versprechen der Streaming-Serienmacher war, dass man epischer erzählen wollte als das Kino und auch bis zum Ende erzählen würde. Immer wieder aber werden – und verstärkt in den letzten Jahren – solche Geschichten abgebrochen. Zuletzt waren es bei Wow die herausragenden HBO-Science-fiction-Serien „Westworld“ und „Raised by Wolves“. Kann der Zuschauer, der viele Stunden Zeit investiert hat und mit einem schlüssigen Ende rechnete, überhaupt noch auf das Format Serie vertrauen?

Spannende Frage. Die von Ihnen erwähnten Beispiele sind Produktionen auf Kinoniveau. Diese verschlingen große Budgets, damit sie so bombastisch aussehen. Irgendwann muss ich dann das Ausmaß des Publikumsinteresses wahrnehmen und betriebswirtschaftlich beurteilen, ob es Sinn macht, die Summen für eine nächste Staffel in die Hand zu nehmen und in Produktion zu gehen. So machen wir das, wenn wir etwa über eine neue Staffel von „Der Pass“ entscheiden. Wir sehen uns an, ob das Publikum gleich groß geblieben ist oder ob wir Zuschauer verloren haben. Und manchmal sind es einfach zu wenige, um die Investition noch zu rechtfertigen. Gerade in horizontal erzählten Serien ist es schwer, mit etwa der vierten Staffel mehr Publikum zu bekommen als mit der dritten. Kein Zuschauer fängt mit der vierten Staffel von „Westworld“ an.

Da ist aber ein großer Fehler im System. Für ein gut aufgestelltes Haus wie HBO und auch für alle anderen wäre es in jedem Fall sinnvoller, eine horizontale Serie zu Ende zu produzieren. Mit jedem Aufhören vor dem Ende wird das Misstrauen der Serienmaniacs größer, Zeit in Geschichten zu investieren, deren Ende er womöglich nie erfährt.

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Die Abwägung ist in der Tat schwierig: Investiere ich jetzt lieber das Geld, mache eine neue Serie und versuche eine neue Zielgruppe zu gewinnen? Oder stecke ich das Geld in eine weitere Staffel der alten Serie um die Treue einer hypothetisch kleineren Zielgruppe zu belohnen. Ich verstehe komplett die Perspektive derjenigen die sagen „Moment mal, ich wollte wissen, wie es weitergeht“. Das ist hochgradig frustrierend und insofern ein Vertrauensverlust – da stimme ich Ihnen zu.

„Wie groß ist die Fanbase, die sich etwas wünscht?“

Wie es auch einer war, als HBO nach sieben Staffeln der herausragenden „Game of Thrones“ mit einer verkorksten achten Staffel abschloss. Da gab es sogar eine auf den ersten Blick eigenwillige Petition, die achte Staffel noch einmal abzudrehen. Hat der Fan heute überhaupt noch die Möglichkeit, solchen Einfluss geltend zu machen wie damals in den Sechzigern, als Fanhartnäckigkeit „Star Trek“ zurückholte, woraus eines der größten Franchises der Serien- und Filmgeschichte wurde?

Da kann ich nur spekulieren, denn das sind ja Entscheidungen, die in anderen Häusern gefällt wurden. Auch da wird das Mengengerüst betrachtet werden, wird betriebswirtschaftlich entschieden werden: Wie groß ist die Fanbase, die sich etwas wünscht – haben zehn Millionen eine Petition unterschrieben oder nur Zehntausend. Und besteht die Möglichkeit, diese Investition zu monetarisieren. Es ist ein Balanceakt. Natürlich ist man wirtschaftlich nur erfolgreich, wenn man treue Fans hat, die das Vertrauen in den Service nicht verlieren. Aber in der Branche ist es derzeit nicht so, dass alle nur das Geld zählen würden. Das sind internationale börsennotierte Konzerne in einem knallharten Geschäft, die auch Rechenschaft ablegen müssen.

Hat der Aufstieg der Miniserie in den letzten mit den Serienabrissen bei epischen Erzählungen zu tun? Eine Staffel, ein Ende – alle Serienfans zufrieden.

Ich glaube nicht, dass es da einen direkten Bezug gibt. Bei Sky und Wow geht es immer um den Plot – das ist der Ursprung: Die Überlegung, wie viel Raum kann man dem Plot geben, um die Geschichte zu erzählen, die Charaktere glaubhaft zum Leben zu erwecken. Manche Geschichten kann man prinzipiell weiterzählen wie „Babylon Berlin“, wo es auch noch eine Reihe an Romanvorlagen gibt. Und andere sind wie ein verlängerter Film, wie etwa „Die Ibiza-Affäre“. Das waren vier Episoden – dann war die Geschichte auserzählt. Diese Entscheidungsfreiheit ist unser Luxus. Im linearen Fernsehen hat man immer 90 Minuten für den „Tatort“, dann muss alles erzählt sein.

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Gibt es auch dafür im Streaming ein Publikum?

Ich beobachte schon, dass der Hang zum Kurzformatigen auch bei uns zunimmt. Es gibt Zuschauer, die wollen keine zehn Episoden, ihnen reicht ein Film voll und ganz. Die klassischen Hollywoodfilme werden derzeit richtig gut angenommen, wie zum Beispiel „Top Gun: Maverick“ oder „Bullet Train“. Wir haben den Beckenbauer-Film „Der Kaiser“ gemacht. Das brauchte keine Serie. In 90 Minuten war alles wunderbar erzählt.

Welche Genres funktionieren derzeit besonders gut?

Das Universalgenre, das liebste Kind des Deutschen ist nach wie vor die Kriminalgeschichte – von Krimi bis Thriller. Beliebt sind auch Dramen, Historiendramen und Comedy – die Königsdisziplin und die schwierigste von allen. Bei uns ist da zuletzt, wie die Resonanz zeigte, „Die Wespe“ gut gelungen – da sind wir mit Humor in diese ganz spezielle Welt der Dartsspieler vorgedrungen. Und es gibt nach wie vor eine große Faszination für Fantasy – gerade war ja „House of The Dragon“ sehr erfolgreich.

Netflix im Theater? „Ich nehme das als Experiment zur Kenntnis“

Sie haben Comedy, Dokumentarisches und Shows ins Portfolio von Sky geholt. Entsteht im Streaming eine Art Allroundangebot – ein nichtlineares Gesamtprogramm?

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Aus meiner Sicht schon. Für uns ist es wichtig, nicht nur die opulenten, über viele Episoden sich abspielenden Serien zu haben. Manchmal kommt man abends nach Hause und ist froh, dass der Tag endlich vorbei ist und ist mental nicht mehr bereit, sich auf die Intensität einer großen Serie einzulassen. Es gibt dieses Bedürfnis nach Leichtigkeit und Eskapismus und das wollen wir – das machen andere Anbieter übrigens nicht anders – auch bedienen. Erfolgreich sind wir etwa mit dem Reality-Format „Diese Ochsenknechts“. Es ist äußerst entertainig und es macht wahnsinnig Spaß, zuzuschauen. Die Show hat auch in der zweiten Staffel eine Riesenfanbase. So dass wir jetzt ein Spinoff mit Nino und Cheyenne auf ihrem Bauernhof machen. Ach ja, und es gibt eine zunehmende Liebe zu älteren Serientiteln wie „Chicago Fire“ oder „Law & Order“, der Hang zum Vertrauten.

Geht Wow auch mal aufs Theater, wie das Netflix jetzt für ein Prequel zu seiner Horrorserie „Stranger Things“ angekündigt hat?

Ich habe das noch nicht als Trend identifiziert, ich nehme das eher als Experiment zur Kenntnis. Ich bin mir nicht sicher, ob es – anders als beim Kino – eine große Überschneidung der Zielgruppen von Theater und Fernsehen gibt. Die räumliche Entfernung zählt auch. Wenn ich in Dresden lebe und das „Stranger Things“-Theater in London ist, muss ich viel Aufwand betreiben. Ein Massenphänomen kann ich nicht erkennen.

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„Ich kann mir vorstellen, dass es zur Konsolidierung kommt“

Max, der neue Streamingdienst von Warner, will auch auf den deutschen Markt. Verträgt der noch Neuzugänge?

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Das ist der Blick in die Glaskugel. Am Ende werden die Kunden entscheiden, wie viele Abos sie parallel bezahlen wollen. Mein Eindruck ist, dass es den Einzelnen schon jetzt ein wenig überfordert, den Überblick zu behalten: Wo läuft denn gerade was? Und es ist für uns manchmal auch schwierig zu vermelden „Jetzt kommt diese neue tolle Serie bei uns“, wenn zeitgleich alle für ihre neuen Programmen laut trommeln. Es ist nicht mehr zwangsläufig so, dass man Gehör findet, und dass man die eine Serie hat, über die alle sprechen, wie das Netflix ganz am Anfang mit „House of Cards“ gelungen ist. Ich kann mir schon vorstellen, dass es irgendwann wieder zu einer Konsolidierung kommt.

Wird eines Tages bei Wow die große ZDF-Samstagabendshow à la „Wetten, dass …?“ ihre Streaming-Auferstehung feiern – nur halt ohne Samstagsbindung?

Ich würde zwar sagen: Sag niemals nie. Aber das sind doch Sendungen, ähnlich wie das große Fußballspiel, die man sich nicht einen Tag oder eine Woche später anguckt. Das funktioniert über den großen Lagerfeuereffekt – dass man sich wirklich trifft und das zusammen anschaut. Auch Shows wie „Let‘s Dance“ oder „The Masked Singer“ sind im frei empfangbaren Fernsehen gut aufgehoben, wo man große Zielgruppen am Freitag- oder Samstagabend gemeinsam erreicht, die sich dann am nächsten Tag darüber austauschen.

 

Elke Walthelm ist seit Februar 2016 Executive Vice President Content bei Sky Deutschland und ist Mitglied der Geschäftsführung. In dieser Funktion ist sie für die übergeordnete Programmstrategie von Sky Deutschland (und dem eigenen Streamingdienst Wow) verantwortlich. Unter anderem zählen hierzu der Programmrechte-Erwerb, die Auswahl und Entwicklung von Eigenproduktionen sowie die Programmplanung samt Gestaltung des On-Demand und Streaming-Angebots. Darüber hinaus fallen die Weiterentwicklung des Sky Cinema und Sky Entertainment Angebots sowie des transaktionalen Geschäfts Sky Store in ihren Aufgabenbereich. Seit Oktober 2020 hat Elke Walthelm zusätzlich die Rolle des Managing Director von NBC Universal Global Networks Deutschland inne. Sie verantwortet Geschäftsentwicklung, Strategie und sämtliche Unternehmensaktivitäten von NBC Universal und der Pay-TV-Brands 13th Street, SYFY, Universal TV und E! Entertainment. Walthelm ist seit 2005 bei Sky.

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