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Doku „Tina“ bei Sky: Tragödien und Triumphe eines Superstars

Erzählt aus ihrem Leben: Tina Turner in ihrem Schweizer Domizil in der HBO-Doku „Tina", die ab 21. Januar bei Sky zu sehen ist.

Erzählt aus ihrem Leben: Tina Turner in ihrem Schweizer Domizil in der HBO-Doku „Tina", die ab 21. Januar bei Sky zu sehen ist.

„Es war kein gutes Leben“, sagt Tina Turner. „Das Schlechte überwog das Gute.“ Damit meint sie nicht ihre Triumphe auf der Bühne, sondern die Einsamkeit backstage und in den Hotels. Nicht die innige Zuneigung von Hunderten Millionen Fans rund um den Globus zu ihr, sondern die Herrschaft und die Gewalt, die sie in ihrer ersten Ehe erfuhr.

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Immer wieder wird in der Doku „Tina“, die ab 21. Januar bei Sky zu sehen ist, von Zeitzeugen bestätigt, wie altruistisch Tina Turner noch in ihren Zeiten als Stadien ausverkaufender Superstar war. Erschreckend klingt das Resümee, das sie 2019 in einem der selten gewordenen Interviews nach ihrem Karriereende in ihrem Zürcher Domizil zieht: „Mein Leben hatte eigentlich viel zu wenig mit mir zu tun.“

Und so bekommen wir hier noch einmal – nach dem autobiografischen Buch „Ich, Tina“ (1983), seiner Verfilmung „What‘s Love Got to Do With It“ (1993) und dem Jukebox-Singspiel „Tina: Das Tina Turner Musical“ (2018) – die Geschichte einer der furchtbarsten Zweisamkeiten des Rock ‘n‘ Roll erzählt. Der Schlagzeuger des Bandleaders Ike Turner bittet eines Tages den Teenager Ann Mae Bullock aus Nutbush ans Mikrofon, und ihre raue, volltönende, den emotionalen Brunnen eines Songs ausschöpfende Stimme überzeugt Chef Ike, sie bei sich auftreten zu lassen.

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Anfangs seien Ike und sie wie Bruder und Schwester gewesen, dann habe sie sich in den hageren Mann verliebt. Der dann nicht ertragen konnte, dass seine Ehefrau im Rampenlicht stand und er hinter ihr in der Musikerschar, dass die Journalisten sich auf Tina stürzten, dass überall die nette, gütige, unkomplizierte und gescheite Frau im Vordergrund stand. Und dass ihm partout keine Hits gelingen wollten.

Tina Turner: „Ich führte das Leben einer Toten“

„Ich habe Folter durchgemacht“, wird Tina Turner zitiert. „Ich führte das Leben einer Toten.“ Es ist der Bericht einer menschlichen Katastrophe. Ike Turner schlug seine Frau mit Schuhspannern und Kleiderbügeln auf den nackten Schoß und vergewaltigte sie danach wieder und wieder. Er übergoss sie mit brühheißem Kaffee, was der zutiefst verängstigte Sohn Craig durch die verschlossene Zimmertür mitbekam. „Es geht mir gut“, habe sie von drinnen gerufen, um ihr Kind zu beruhigen „Von da an habe ich den Mann für den Rest meines Lebens gehasst“, bekennt Craig, Turners leiblicher Sohn, der 2018 Selbstmord beging, in einem Gespräch.

Heute, im Zuge des durch #MeToo gewandelten Blicks auf (männliche) sexuelle Gewalt, wäre der Fall Ike Turner ein gefundenes Fressen für die Anwälte und Anwältinnen, die den Weinsteins und Cosbys und Maxwells in den zurückliegenden Jahren den Prozess machten. Doch es ist zweifelhaft, dass die in mehrerlei Hinsicht misshandelte und missbrauchte Tina diesen Schritt mit ihnen gehen würde. Auf ihre Wahrsagerin habe sie gehört, als sie 1981 erstmals von den Schrecken ihrer Ehe erzählte. „Es wird dich befreien“, habe die ihr geraten.

Immer wieder wühlen Interviewer die Ike-und-Tina-Tragödie auf

Entweder war die Seherin paranormal kurzsichtig oder sie meinte das auf sehr lange Sicht. Immer wieder und bis in das letzte Kapitel ihrer phänomenalen Solokarriere sieht man Tina Turner in Interviewschnipseln, in denen die Befrager die Ike-und-Tina-Tragödie aufwühlen, als gäbe es noch unentdeckte Grausamkeiten. Und obwohl Turners gequälter Gesichtsausdruck Bände spricht, insistieren sie und die höfliche Tina antwortet, als wäre es eine Pflicht. „Es überwiegt das Vergeben“, sagt sie heute, noch immer den zornigen Ike verstehen wollend und vielleicht endlich auch so befreit wie die Glaskugelfrau das voraussah. Nur durch Vergebung, so Tina Turner, könne man selbst zur Ruhe kommen.

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Von Ike Turner bleibt nur eine Fußnote in der Populärmusik

War der künstlerisch ehrgeizige Ike als zweite Geige genug gestraft? Während Tina Turner heute als eine der Ikonen der Populärmusik gilt, bleibt von ihrem Ex nur eine Fußnote. Er hat nach Ansicht mancher Experten Jahre vor Chuck Berry, Buddy Holly, Elvis Presley und Little Richard den ersten Song geschrieben, der als Rock ‘n‘ Roll eingestuft wird – das heute indes nicht mehr sonderlich bekannte „Rocket 88″. Und er gilt heute als der Mann an Tinas Seite, dem der große Erfolg als Songwriter versagt blieb.

Die kommerziell nennenswertesten Songs des Duos Ike & Tina Turner waren Coverversionen – etwa von Creedence Clearwater Revivals „Proud Mary“ oder „Come Together“ von den Beatles. Beim monumentalen „River Deep, Mountain High“ hielt Produzent Phil Spector Ike bewusst vom Studio fern. Und „Nutbush City Limits“, legendärer Partykracher und 1973 Top-Ten-Hit in vielen Ländern (der in der Doku seltsamerweise nicht anklingt), stammte einzig aus Tinas Feder.

Trotzdem hätte man den 2007 Verstorbenen gerne vor Gericht gesehen. Er hat sich für sein künstlerisches Unglück oder Unvermögen an einer Unschuldigen gerächt und sie „zu einem Leben in Schuld und Angst“ (Tina) verdammt.

Die Rolle von Heaven 17 beim Tina-Comeback wird unterschlagen

Viele Zeitzeugen sprechen in der Doku – die einstige Tänzerin und Backgroundsängerin Le‘ Jeune Fletcher, Angela Bassett, die Tina im Film spielte, Musikjournalist Kurt Loder, der für sie das Buch „Ich, Tina“ schrieb. Oprah Winfrey, die sich als Freundin bezeichnet, ihr langjähriger Manager Roger Davies, ihr zweiter Ehemann Erwin Bach und ihre ziemlich hartherzige Mutter, die keinen Einblick in die Seele ihrer Tochter zu haben scheint. Zu oft lassen die Regisseure Dan Lindsay und T.J. Martin indes die Kamera an Porträts entlanggleiten, so als könne sich in der langsamen Abwärtsbewegung die Wut Ikes und die Traurigkeit Tinas ergründen.

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Für den, der Tina Turners Musik liebt, ist die 118-minütige Doku nicht so ergiebig wie erhofft. Vor allem das wohl immer noch phänomenalste Comeback der Pophistorie, das viele Beteiligte hatte, die von David Bowie bis Mark Knopfler reichen, wird auf die Nummer-eins-Single „What‘s Love Got to Do With It“ reduziert. Dabei war es 1983 Al Greens „Let‘s Stay Together“, mit dem der Aufstieg von der bekannten, indes nahezu aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwundenen Sängerin zum Soul- und Rock-‘n‘-Roll-Superstar Fahrt aufnahm. Und im Jahr davor die Elektrocoverversion des Temptations-Klassikers „Ball of Confusion“, die Tinas Yellow Brick Road vorbereitete.

Die Rolle der glühenden Tina-Fans Glenn Gregory und Martyn Ware, die an beiden Aufnahmen maßgeblich beteiligt waren, wird schlichtweg unterschlagen. Ohne die Masterminds der Synthpop-Gruppe Heaven 17 aber wäre die Stimm- und Performancemacht von Tina Turner womöglich für immer im Tingeltangel untergegangen.

Die Frage, die man sich nicht erst gegen Ende von „Tina“ stellt, ist: „Warum?“ Warum wird Tina Turners Geschichte von brutaler Fremdbestimmung, Selbstbefreiung, Selbstermächtigung und ihrem Triumph, die praktisch Allgemeingut ist und die sich ihr „Gegenstand“ Tina Turner wahrscheinlich nicht ansehen wird, noch ein viertes Mal erzählt? Die Sängerin soll zunächst nicht viel dafür übrig gehabt haben, ihr zweiter Ehemann Erwin Bach, vor dem sie nach eigenen Worten „nicht eine Liebesbeziehung hatte, die echt war und Bestand hatte“, erscheint als ausführender Produzent des Films, der einen Abschied markieren soll.

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Und er hätte doch nach unserem Dafürhalten eigentlich der Mann sein sollen, der seine Frau davor schützt, alle Bitternisse noch ein weiteres Mal ausbreiten zu müssen.

„Tina“, 118 Minuten, Regie: Dan Lindsay und T.J. Martin, Dokumentarfilm mit Tina Turner, Erwin Bach, Kurt Loder, Angela Bassett (ab 21. Januar bei Sky)

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