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Der Schwindler: die Geschichte des Hochstaplers Claas Relotius

Der Journalist Juan Moreno in einer Szene der Sky-Doku „Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“.

Der Journalist Juan Moreno in einer Szene der Sky-Doku „Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“.

Es hat schon einige aufsehen­erregende Fälschungen in der bundesdeutschen Medien­geschichte gegeben. 1996 zum Beispiel stellte sich heraus, dass der Dokumentarfilmer Michael Born viele Ereignisse, über die er dann Berichte für „Stern TV“ oder „Spiegel TV“ drehte, selbst inszeniert hatte. Im Jahr 2000 flog der Schweizer Tom Kummer auf: Seine im „SZ-Magazin“ veröffentlichten Interviews mit Hollywood­größen waren frei erfunden. Aber es war ausgerechnet der „Spiegel“, das selbst ernannte „Sturmgeschütz der Demokratie“, der 2018 die Glaubwürdigkeit des hiesigen Medienwesens in ihren Grundfesten erschütterte: Claas Relotius, bis dahin für seine Reportagen mit Preisen überschüttet, entpuppte sich als dreistester Schwindler in der Historie des deutschen Nachkriegs­journalismus.

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Der optisch hochwertige Dokumentarfilm „Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“ rekonstruiert, wie es dem Hochstapler jahrelang gelingen konnte, die für ihre Akribie bekannten Faktenchecker aus der Dokumentations­abteilung des Nachrichten­magazins an der Nase herumzuführen, obwohl es durchaus Hinweise auf Ungereimtheiten gab. Offenbar hat es Relotius geschickt und überzeugend verstanden, entsprechende Zweifel innerhalb der Redaktion zu zerstreuen, aber letztlich war es wohl schlicht so, dass nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Zu Fall kam der Schwindler schließlich durch einen „Spiegel“-Kollegen: Juan Moreno, der ein von Michael Herbig verfilmtes Sachbuch über die ganze Geschichte geschrieben hat („Tausend Zeilen“), konnte hieb- und stichfeste Beweise für das unlautere Treiben des Kollegen vorlegen.

Konnte der Schwindel nur durch internes „Cover up“ funktionieren?

Daniel Sager hat bereits einen ähnlich fesselnden Dokumentarfilm über die Arbeit des Investigativ­ressorts der „Süddeutschen Zeitung“ gedreht („Hinter den Schlagzeilen“, 2021), der ihm bei diesem Projekt einige Türen geöffnet haben dürfte; beim „Spiegel“ war man jedenfalls bereit, ihm Rede und Antwort zu stehen. Das gilt allerdings nur für Verlags­angestellte, die nicht direkt an der Affäre beteiligt waren: Chefredakteur Steffen Klusmann und Cordelia Freiwald, Leiterin der Dokumentations­abteilung, haben ihre Ämter erst 2019 angetreten. Ein Experte für Wirtschafts­kriminalität kritisiert ohnehin, dass das Nachrichten­magazin die Untersuchung dieses „System­versagens“ (Klusmann) nicht an eine Kanzlei vergeben hat. Der Mann deutet an, dass der Schwindel nur durch internes „Cover up“ funktionieren konnte: Jemand hat seine schützende Hand über Relotius gehalten.

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Die interessantesten Passagen des Films sind jene, in denen die Protagonisten der Fälschungen zu Wort kommen. Herzstück ist ein erstmals öffentlich gezeigtes Videointerview Morenos mit der Titelfigur des Artikels „Jaegers Grenze“ (2018). Laut Relotius gehört der Mann zu einer Bürgermiliz in Arizona, die regelmäßig an der Grenze zu Mexiko pa­trouilliert, um illegale Einwanderer aufzuspüren. Tim Foley reagiert glaubwürdig schockiert, als Moreno ihn mit dem Text konfrontiert: Relotius will dabei gewesen sein, als „Jaeger“ womöglich einen Menschen erschossen hat. Beides dementiert Foley: Die Mitglieder der Bürgerwehr würden nicht auf Leute schießen, und den „Spiegel“-Journalisten habe er noch nie gesehen.

In Sagers Film taucht Relotius nur im Archivmaterial auf: Eine Abspannliste enthält die Namen von 20 Personen, die eine Interview­anfrage abgelehnt oder ignoriert haben.

Was in dem Film zu kurz kommt, ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema. In vielen „Spiegel“-Artikeln findet sich nach wie vor ein gewisser Hang zur Erwähnung unwichtiger Nebensächlichkeiten, allen voran die Beschreibung der Kleidung von Gesprächs­partnern, was wohl die Authentizität unterstreichen soll. Relotius hat diese Form des literarischen Journalismus geradezu perfektioniert, und da der „Spiegel“ grundsätzlich als vorbildlich gilt, sind mittlerweile generell in vielen Reportagen Atmosphäre und Emotionen wichtiger als Fakten.

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„Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“, mit Juan Moreno, Steffen Klusmann, Sky Documentaries, 24. März, 20.15 Uhr.

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