Wacken-Chef Thomas Jensen: „Das Wiedersehen mit den Metalheads wird der schönste Moment“
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Blick voraus nach 2022: Thomas Jensen, Veranstalter des Wacken-Open-Air-Festivals.
© Quelle: picture alliance/dpa
„Gestern war kein schöner Tag“, formuliert es Thomas Jensen am Tag nach der Absage des weltberühmten Wacken-Festivals im schriftlich geführten Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Der Mitbegründer und Veranstalter des Wacken Open Air (W:O:A) betont aber, dass alle Behörden, Politiker und sonst Involvierten alles darangesetzt hätten, das weltberühmte Metal-Festival trotz Pandemie möglich zu machen. Und er zitiert den 2015 verstorbenen Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister: „Nichts ist sicher, nichts.“
Wie geht es Ihnen heute, Herr Jensen?
Den Umständen entsprechend gut. Natürlich war gestern kein schöner Tag, aber insbesondere die verständnisvollen und aufmunternden Worte der Fans, die uns etwa über die sozialen Medien erreicht haben, helfen dem gesamten Team ungemein. Deshalb arbeiten alle gerade auch fleißig an den nächsten Schritten wie dem Tickettausch, mit dem wir voraussichtlich Mitte Juni beginnen werden, und der Veröffentlichung der ersten Bands für 2022. Außerdem werkeln wir weiter an unserer Idee für ein Event im September – auch hierzu dürften wir bald Näheres verraten können.
Bis wann hatten Sie fest damit gerechnet, dass das Wacken 2021 stattfinden würde?
Für mich persönlich waren weise Worte von Lemmy (Lemmy Kilmister, verstorbener Frontmann der britischen Band Motörhead, Anm. d. Red.) bereits vergangenes Jahr mein Mantra. Im Backstage seiner letzten Show in Hamburg sagte er zu mir: „Nothing is certain, nothing.“ (Deutsch: Nichts ist sicher, nichts) Nichtsdestotrotz haben wir bis zuletzt alles darangesetzt, ein W:O:A 2021 zu erleben. Wir haben die letzten Monate genutzt, um die Situation zu beobachten, Konzepte zu entwickeln, Vorbereitungen zu treffen. Mit dem Stufenplan der Landesregierung – den wir dennoch ganz ausdrücklich begrüßen! – hatten wir dann aber schwarz auf weiß, dass ein Event wie das W:O:A zum geplanten Zeitpunkt nicht umsetzbar sein wird.
Fühlen Sie sich betrogen vom Land, das sich im Februar zum Wacken-Festival 2021 bekannte – jetzt, wo es nun doch nicht möglich wird?
Ganz im Gegenteil: Wir freuen uns über den produktiven Austausch der letzten Wochen und Monate mit Behörden, Politikern und Politikerinnen und vielen weiteren involvierten Personen, die hart daran gearbeitet haben, das Festival Ende Juli zu ermöglichen. Auch wenn die Öffnungen für das Wacken Open Air leider zu spät kommen, haben alle Beteiligten gemeinsam an einem Strang gezogen.
Woran lag die Absage letztendlich?
Gesundheit und Sicherheit haben immer oberste Priorität. Von entscheidender Bedeutung ist dabei für uns auch, wie die Landesregierung die Situation bewertet. Laut ihrem Stufenplan ist ein Festival wie das W:O:A zum jetzigen Zeitpunkt an unserem geplanten Datum nicht umsetzbar. Damit wurde die Entscheidung für die Verschiebung besiegelt. Hinzu kommt, dass wir jetzt an einem Zeitpunkt sind, an dem viele Bands absolute Planungssicherheit brauchen. Und die können wir unter den gegebenen Umständen nicht geben.
Jensen: „Die Community ist solidarisch und verantwortungsbewusst“
Wie sahen die Eckpfeiler des Hygienekonzepts für das Open Air aus?
Solche Konzepte mit all ihren Bausteinen, die prinzipiell alle Bereiche des Festivals betreffen, sind natürlich irre komplex. Eine clevere, engmaschige Teststrategie ist dabei besonders wichtig. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass unsere Fans die mitgetragen hätten und dass die auch selbst darauf achten, sich und andere zu schützen. Die Community ist nicht nur laut und wild, sondern auch solidarisch und verantwortungsbewusst. Dennoch kamen die Öffnungsschritte für uns zu spät.
Der Bürgermeister, Herr Kunkel, sagte, wenn es gelingt, das parallel ablaufende „wilde“ Dorffest zu verhindern, könne Wacken problemlos stattfinden. War dieses Dorffest (mit) ein Grund für die Absage?
Nein. Dafür hätten wir gemeinsam mit der Gemeinde und den Behörden eine Lösung gefunden. Ich bin mir auch sehr sicher, dass wir da bei den allermeisten Feierwilligen auf Verständnis gestoßen wären. Die wollen ja auch nicht rund 75.000 Metalheads die Party versauen.
Was bedeutet der zweite Festivalausfall für Sie finanziell?
Die erneute Verschiebung unseres Wacken Open Airs trifft uns natürlich schwer, das allein lässt sich in Zahlen noch nicht ausdrücken. So geht es ja allen in der Veranstaltungs- und Kulturbranche. Unser gesamtes Team hat aufs Neue hervorragende Arbeit in Sachen Planung und Umsetzung geleistet sowie sein gesamtes Herzblut hineingesteckt. Umso entschlossener sind wir, 2022 zu einem unvergesslichen Event und Wiedersehen zu machen.
Was heißt die Absage für die Mitarbeiter von Technik und Bühnenaufbau und weiterer Gewerke, die ja wahrscheinlich lange gehofft hatten, Wacken würde das Aufbruchsignal für die Branche werden?
Man darf nie vergessen, wie viele Menschen in unterschiedlichen Berufsgruppen tätig sind und massiv von der Pandemie betroffen sind wie die vielen Soloselbstständigen in der Branche, die Crews, die Clubs und Venues sowie ganz besonders auch die Nachwuchsbands. Das ist wirklich eine Katastrophe und hier stehen wir vor einer Lücke, die es zu schließen gilt. Aber der Fortschritt in Sachen Impfungen und die generelle positive Entwicklung stimmen uns zuversichtlich.
Jensen: „Alle Bands zeigen vollstes Verständnis“
Und was bedeutet das neuerliche Aus für das Renommee des Wacken Open Air? Wie ist die Stimmung unter den Bands und Musikern?
Alle Bands, von groß bis klein, zeigen vollstes Verständnis und haben uns aufmunternde Worte zugesandt. Sie selbst kennen die Situation ja nur zu gut. Auch sie sind natürlich traurig, aber freuen sich jetzt umso mehr auf ihr nächstes Mal in Wacken. Es herrscht also wirklich eine große Loyalität, für die wir sehr dankbar sind. Die Einstimmigkeit im Rückhalt fühlt sich sehr gut an.
Hatten Sie in den vergangenen Monaten auch manchmal Angst gehabt, Wacken 2021 hätte zu einem Corona-Hotspot werden können?
Hätten wir das nach bestem Wissen und Gewissen – und genau dafür waren wir ja im Austausch mit den verschiedensten Expertinnen und Experten – nicht ausschließen können, hätten wir nicht veranstaltet.
Wie sieht die Verlegung des 31. Festivals nach 2022 aus? Gelten die Karten für 2020 und 2021 dann noch?
Wir werden wie auch im letzten Jahr verschiedene Optionen anbieten. Die Tickets für 2021 auf nächstes Jahr umzuschreiben wird selbstverständlich eine davon sein. Dafür hatten sich letztes Mal über 90 Prozent der Fans entschieden, wofür wir immer noch unendlich dankbar sind. Natürlich hoffen wir, dass die Unterstützung auch jetzt wieder so gigantisch ausfällt.
Und bandmäßig: Wird es eine gigantische Wacken-Wiedergeburt geben?
Wir versuchen in erster Linie, das aktuelle Programm mit seinen vielen Highlights, auf die sich die Fans nun auch lange gefreut hatten, nach 2022 mitzunehmen. Die Gespräche laufen bereits und sehen sehr positiv aus. Wir werden aber auch sehr sicher ein paar Überraschungen präsentieren. Auch wenn wir, wie man es von uns kennt, großes Besteck auffahren werden, denke ich persönlich, dass das Wiedersehen mit Metalheads aus aller Welt an sich der schönste Moment sein wird, den wir dann erleben – unabhängig davon, ob der größte Headliner oder die vielversprechendste Newcomerband vor uns steht.
Zur Person:
Noch während seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann veranstaltete Thomas Jensen, geboren am 7. Juli 1966 in Wilster, gemeinsam mit Holger Hübner und weiteren Freunden im Jahr 1990 das erste Wacken Open Air. Als Student der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Kiel konzentrierte er sich mehr auf die kulturellen Aspekte des Hochschullebens als auf sein Studienfach und verfolgte gemeinsam mit Hübner den Traum eines Metal-Festivals im Heimatdorf weiter. Inzwischen reisen dafür regelmäßig 75.000 Fans aus über 80 Nationen nach Schleswig-Holstein. Jensen und Hübner beschäftigen als Geschäftsführer der veranstaltenden ICS-Festival-Service-GmbH über 50 Angestellte.