Pop 2020: Neues von Norah Jones, Marie Reim und Larkin Poe
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Sinn und Sinnlichkeit: Das Cover des Albums “Pick Me Off the Floor” der US-amerikanischen Soul- und Jazzsängerin Norah Jones ist stilbunt und Song um Song hörenswert.
© Quelle: Universal Music/dpa
Bei Marie Reim ist immer Sommer
Hier gilt der alte Volksmund vom Apfel, der nicht weit vom Apfelbaum fällt. Auch Michelles und Matze Reims Tochter macht nun also Schlager. “14 Phasen” heißt Marie Reims Debütalbum, es geht um die Liebe, die mal bleibt und mal Zicken macht, um die “rosarote Brille”, das romantische “SOS” und die gelegentliche Gefühlsumkehrung zum Hass.
Und es geht auch um das, was “Mädels so machen”, zum Beispiel die beste Freundin zum ersten Date mitzubringen und – während der Poser im Saal die Getränke begleicht – durch den Hinterausgang des Clubs Fersengeld zu geben. “Ich lauf durch die Welt und alle Blüten gehen auf”, singt Marie das Hohelied des positiven Denkens, das “Bei mir ist immer Sommer” heißt.
“Stampf-stampf, Discomampf”, würde die große Ulla Meinecke sagen. Zu solchen Beats kriegt noch der Rhythmusbefreiteste einen soliden Discofox aufs Parkett. Ihre Höhepunkte setzt die Zwanzigjährige woanders, mit ernsteren Stoffen, mit Balladen wie “Stell die Uhren auf unendlich”, “Immun” und dem finalen, melancholischen Pianostück “Einen Grund”.
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Marie Reim – “14 Phasen” (Ariola/Sony)
Larkin Poe pflegen den Rock alter Schule
“Burn, baby, burn with that holy ghost-fire”, und man weiß nicht so recht, ob die Schwestern Lovell nun die Segnungen der Spiritualität abfeiern oder vor ihren persönlichkeitsauflösenden Kräften warnen. Hier kommen zwei Frauen Ende 20, Anfang 30, ihre Band und der klassische Rock, der einst aus den Gitarren von Stones, Cream, Jeff Beck, Jimi Hendrix und der Southernrocker geboren wurde und sich auf die schwarzen Meisterblueser in den Juke Joints des amerikanischen Südens zurückführen lässt. Rebecca (Gitarre) und Megan Lovell (Lap-Steel) aus Atlanta, Georgia, wohnhaft in Nashville, lassen es krachen – elektrifizieren auf ihrem fünften Album “Self Made Man” den Blues, feiern den Riff, das Solo und die Musik, die von Amerika aus um die Welt zog.
Ursprünglich haben die beiden mit ihrer Schwester Jessica als Lovell Sisters Bluegrass gemacht (an diese Zeit erinnert am ehesten “Easy Street”), mit Larkin Poe geht es mit Songs wie “Tears of Blue to Gold” an die “hand-clapping, foot-stomping music”. Oder an schwere, sumpfige, twangende Bluestracks wie “Every Bird That Flies”, in denen Megans Rickenbacker singt. Oder an den rock-geimpften, treibenden Chicago-Blues von “Scorpion”, das sich ebenso zum Konzerthöhepunkt mausern könnte wie das schwankende, bierhymnische “Ex-Con”.
Benannt haben sich diese Frauen, die live auch mal ZZ Top, Moody Blues, Leadbelly und Kansas covern, übrigens nach ihrem Urururgroßvater, einem Cousin des Schauergeschichtenmeisters Edgar Allan Poe. Gänsehaut kriegen auch sie hin. Ist auch hier das alte Lied vom Apfel und dem Stamm.
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Larkin Poe – “Self Made Man” (Tricki-Woo Records)
Jeremias bitten zum (Distanz-)Tanz
Liebe ist keine Frage des Portemonnaies: “Ich klaue Blumen und schenk sie dir”, singt Jeremias Heimbach, Frontmann der nach ihm benannten Band Jeremias, im Song “Schon okay” – einem luftig-leichten Sommerdings über die Sehnsucht nach Zweisamkeit und die damit verbundenen Unsicherheiten. Um im darauffolgenden “Keine Liebe” festzustellen, dass das Herz noch pocht (“Sorry für den Kitsch – zu zerbrechlich, seit du weg bist”).
Jeremias ging’s wie allen Bands und allen Bard(inn)en in den Zeiten der Pandemie. Gerade wurden Sommerkonzerte geplant, da schloss das Virus buchstäblich alle Karrierepforten. Studiodates und Promoaktivitäten wurden abgeblasen. Es begann für die Künstler der Republik und der Welt die Zeit der Wohnzimmer- und später der Parkplatzkonzerte. Und jetzt, wo man zaghaft mit dem Weitergehen anfangen kann, liefern die vier Hannoveraner – Heimbach (Gesang, Piano), Oliver Sparkuhle (Gitarre, Synthesizer), Ben Hoffmann (Bass) und Jonas Hermann (Schlagzeug) – große Grooves und die gefühlvolle Ballade “Mit mir” für die flirrenden Wochen des Jahres.
Jeremias erweisen sich mit ihrer zweiten EP “Alma”, die heute erscheint, als Meister der sexy Funklicks und des gefühlvollen Falsettgesangs – eine Band, von der man sich nicht zweimal zum Distanz-Tanz bitten lässt. “Will allen gefallen und dir noch mehr”, singt Heimbach. “Nimm die Blumen und gib sie bitte nie mehr wieder her.” Klingt alles blumenbunt, erscheint entsprechend auf farbigem Vinyl und hat nur ein Manko: zu kurz.
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Jeremias – “Alma”, EP (Caroline)
Sarah Jarosz singt vom Kommen und Gehen
Sarah Jarosz singt auf ihrem Album “The World on the Ground” mit wehmütigem Alt von Frauen, ihrem Kommen und Gehen und davon, wie jede getroffene Entscheidung von Zweifeln begleitet wird, es könne die falsche sein. Die Heldin in “Maggie” blickt in den Rückspiegel, weil darin die vertraute Welt kleiner und kleiner wird. 90 Meilen vom Städtchen entfernt, ist Maggie drauf und dran, anzuhalten, umzukehren. Dann aber sieht sie im selben Spiegel sich selbst, die angeschwollenen Augen, den Schweiß der Furcht im Gesicht. Nun tritt die Sängerin Sarah Jarosz aus der Beobachterhaltung und wendet sich direkt an ihre Protagonistin: “Maggie hörst du zu in deinem blauen/traurigen Ford Escape? / Ich hoffe, dein Auto hält, was sein Name verspricht.”
Die texanische Songwriterin mit den Bluegrass-Roots, die manchersongs, vor allem aber im Abschlusslied “Little Satchel” noch zu hören sind, singt auch in “What Do I Do” von der Notwendigkeit, sich anderswo selbst finden zu müssen. Sie singt in “Eve” von Missbrauch, von den Verderbern, für die Unschuld eine Verlockung ist: “Lass dich nicht von ihnen unterkriegen.”
Die Heldin von “Hometown” ist schon im Herbst ihres Lebens, sie ist – was sie nie gedacht hätte – in ihr altes Städtchen zurückgekehrt. Hier herrschen Stille und Erinnerungen, wohltuend und schmerzvoll. Dabei war sie doch, anders als die meisten hier, der Falle des Verbleibens entkommen. Spartanisch sind die Songs, die akustische Gitarre regiert, manchmal steigen Streicher auf, manchmal Backingchöre und in “Empty Square” vereinen sich Folk und Blues zu dem Einsamkeitslamento einer Frau, die zurück nach Hause will: “Ein offenes Herz war alles, was ich wollte / stattdessen stehe ich nackt auf einem leeren Platz.”
Und über allem steht im Song “Pat It No Mind” der Ratschlag eines kleinen Vögelchens, das im siebten Stock an einem Fenster sitzt und seinen Rat zwitschert: “Wenn dich die Welt am Boden verschlucken will / sollte man manchmal keinen Gedanken an sie verschwenden.” Drei Grammys hat Jarosz bereits. Mit diesen warmherzigen, gewichtigen, tiefsinnigen Liedgespinsten, die unter den Fittichen von John Leventhal (Elvis Costello) entstanden und einen unwiderstehlich charmanten, zarten Hauch von Pop atmen, dürfte der 29-Jährigen der nächste beschieden sein.
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Sarah Jarosz – “World on the Ground” (Rounder Records)
Norah Jones bietet Vielfalt aus einem Guss
Norah Jones lief zu Beginn ihrer Karriere unter Jazz. Die federleichte Musik ihres Fünf-Grammy-Debüts “Come Away With Me” untermalte zig Milllionen Events weltweit, wurde der Loungeklassiker der Nullerjahre. Doch schon zuvor hatte Jones mit Aufnahmen von Songs von Nick Drake (“Day Is Done”) und Roxy Music (“More Than This”) eine größere Bandbreite gezeigt und mit dem ersten Album ihrer Countryband Little Willies ihr Herz für die Musik von Hank Williams und Johnny Cash schlagen lassen. Seither sind die Tage der Untermalung zu Small Talk und Geschirrgeklapper vorbei, aus Begleitmusik ist Aufmerksamkeitsmusik geworden, man hört der Songwriterin Jones zu, und selbst Resterampen wie “Pick Me Up Off the Floor” beinhalten wohlklingende Stücke zuhauf.
Die blieben von den Vorjahressessions für die EP (!) “Begin Again” übrig. Jones hat sie aufgehoben, bearbeitet und zu Juwelen geschliffen, Lieder, die aus Sessions mit Musikern wie St. Vincents, Thomas Bartlett oder Wilcos Jeff Tweedy entstammen. In Tweedys gospeligem “I’m Alive” regiert das Piano, in “How I Weep” dominiert eine Basslinie, trauern Cello und Violine, “Flame Twin” ist funky, “Were You Watching” zeigt sowohl Hip-Hop- als auch keltische Einflüsse. Auch Blues, Rock und vor allem Soul (“Stumble on My Way”) finden sich bei der Frau, die mit Herbie Hancock ebenso zusammenarbeitete wie mit den Foo Fighters.
Die 41-jährige Tochter des indischen Komponisten und Sitarvirtuosen Ravi Shankar hat ein stilbuntes, zugleich stimmiges Album vorgelegt, eins, das bei aller Vielfalt wie “aus einem Guss” wirkt. Auch der Jazz ist noch spürbar – etwa im Arrangement von “Say No More”, aber vor allem – Lied um Lied – in Jones’ rauchigem Gesang. Die Stimme erschafft bis zum schwermütigen Abschluss mit “Heaven Above” tiefe Gefühlswelten, die vor allem dieser Tage im Hörer Widerhall finden dürften. “Dieses Leben, wie wir es kennen – es ist vorbei”, singt Jones in “This Life”. Und dieses Gefühls kann man sich nicht erwehren.
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Norah Jones – “Pick Me Up Off the Floor” (Blue Note)
Jonathan Wilson und das Glück in Nashville
Herrje! Irgendwie ist uns doch glatt Jonathan Wilson durchgerutscht, deswegen wird der musikalische Direktor von Pink Floyds Roger Waters mit seinem bereits eine ganze Weile erhältlichen Countryalbum “Dixie Blur” hier so mal kurz und verschämt durch die Hintertür nachgereicht. Auf dem gezeichneten Albumcover sieht Wilson aus wie das männliche Gegenstück zum “Sweetheart of the Rodeo” der Byrds. Und der 45-jährige Kalifornier, der als Laurel-Canyon-Renovator zu Ruhm kam und jetzt auf Geheiß von Steve “Guitar Town” Earle sein Glück in Nashville versuchte, schafft denn auch – als Außenseiter – ein Countryalbum, das so harmonisch und widerstandslos in den Hörer eindringt wie im Vorjahr Bruce Springsteens Glen-Campbell-Hommage “Western Skies”.
Wie die Gitarren hier maunzen, schnurren und träumen! Allein Russ Pahls Pedal-Steel-Solo in “Fun for the Masses” wäre das ganze Album wert. Mit Songs wie “69 Corvette” begibt Wilson sich zurück in seine Kindheit in North Carolina, mit “Enemies” liefert er einen in Zeiten des großen Amerikaspalters Trump hilfreichen, augenzwinkernden Aufruf zur Versöhnung mit seinen Feinden. Produziert hat das Werk mit Wilco-Gitarrist Pat Sansone genau der richtige Mann. Nur sechs Tage sollen die Sessions gedauert haben. Chapeau!
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Jonathan Wilson – “Dixie Blur” (Bella Union Records)