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Strukturelle Unterschiede

Während Hollywood stillsteht: Warum streikt in Deutschlands Filmbranche niemand?

Hollywood am 20. Juli: Jane Fonda, Lily Tomlin, June Diane Raphael, alle Teil des Casts der Netflix-Show „Grace and Frankie“, streiken wegen der Bedingungen in der Filmbranche.

Hollywood am 20. Juli: Jane Fonda, Lily Tomlin, June Diane Raphael, alle Teil des Casts der Netflix-Show „Grace and Frankie“, streiken wegen der Bedingungen in der Filmbranche.

In Hollywood haben Drehbuchautorinnen und ‑autoren sowie Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Arbeit niedergelegt. Sie schreiben nicht mehr, drehen nicht mehr, besuchen keine Premieren mehr und sie machen auch keine Werbung mehr für ihre Filme und Serien. Sie fordern unter anderem eine bessere Vergütung und Regeln für den Umgang mit künstlicher Intelligenz, die sie schützen. Hinter sich stehen haben sie die US-Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA und die Drehbuchautoren­gewerkschaft Writers Guild of America (WGA). Zuvor waren deren Verhandlungen mit dem Verband der TV- und Filmstudios AMPTP gescheitert.

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Im Juli haben sich auch Schauspielerinnen und Schauspieler den streikenden Drehbuchautorinnen und ‑autoren angeschlossen haben. Der Vorgang ist historisch: Es ist der erste Doppelstreik von Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Drehbuchautoren und ‑autorinnen in den USA seit mehr als 60 Jahren. In Deutschland hat es das noch nie gegeben.

Streik für gewerkschaftlich organisierte Schauspieler in den USA verbindlich

Der Betrieb in den USA dürfte landesweit auf unbestimmte Zeit stillliegen. Der Streik ist vor und hinter der Kamera für alle gewerkschaftlich organisierten Personen der mehr als 160.000 Mitglieder zählenden SAG-AFTRA verbindlich. Ihr gehören unter anderem auch Stuntleute sowie TV-Journalistinnen und TV-Journalisten an.

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Dazu kommt: „Es gibt in den USA für Schauspieler das Closed-Shop-Prinzip: Man darf nur als Schauspieler arbeiten, wenn man in der Gewerkschaft ist“, erklärt Hans-Werner Meyer, stellvertretender Vorsitzender und Sprecher des deutschen Bundesverbands Schauspiel (BFFS), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) den Unterschied zur gewerkschaftlichen Struktur hierzulande. Es gebe in den USA nur wenige sogenannte Non-Union-Produktionen, für die man als Schauspieler kein Gewerkschaftsmitglied sein müsse. Die seien in der Debatte zu vernachlässigen, so Meyer. Wer als Schauspielerin oder Schauspieler arbeiten will, muss in die Gewerkschaft, und wer Teil der Gewerkschaft ist, muss nun mitstreiken. Dass der Filmbetrieb dort aktuell stillliegt, ist also nicht nur eine Floskel.

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In Deutschland und der EU ist das anders organisiert. Hier würde die Closed-Shop-Praxis gegen die im Grundgesetz verankerte „negative Koalitionsfreiheit“ verstoßen, erklärt Meyer. Die garantiere den Menschen das Recht, sich einer Gewerkschaft anschließen zu dürfen. Umgekehrt bedeute es, dass niemand gezwungen werden dürfe, sich einer Gewerkschaft anschließen zu müssen – wie es in den USA der Fall ist. „Dieser Unterschied wirkt sich auch auf Arbeitskampfmaßnahmen aus“, erklärt der BFFS-Sprecher. Fast 4000 Mitglieder hat der Bundesverband Schauspiel laut Meyer – das sei etwa ein Viertel der in Deutschland insgesamt arbeitenden Schauspielerinnen und Schauspieler. Von den insgesamt 16.000 Schauspielenden in Deutschland arbeite aber etwa nur die Hälfte auch regelmäßig in dem Job.

Keine Hollywoodstars bei Premieren

Auf Deutschland hat der Streik in den USA bisher nur leichte Auswirkungen. In Fernsehen, Kino oder den Streamingportalen merkt man noch nichts davon, weil vieles bereits ein Jahr zuvor produziert wird; Auswirkungen sind in der Hinsicht also erst 2024 zu erwarten. Aber dafür fehlen zum Beispiel die Hollywoodstars bei großen Premieren, Berlin etwa musste bei der „Barbie“-Premiere ohne Margot Robbie und Ryan Gosling auskommen.

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Man mag meinen, Promis wie die genannten „Barbie“-Hauptdarstellenden dürften genug Geld verdienen und keinen Grund zur Beschwerde haben. Obwohl viele Hollywoodstars dem Arbeitskampf in den USA prominente Reichweite verleihen, geht es bei dem Streik im Kern aber vor allem um all diejenigen, die ihren Lebensunterhalt mit kleineren Nebenrollen oder als Statistinnen und Statisten verdienen. Mitglieder von SAG-AFTRA qualifizieren sich ab einem jährlichen Einkommen von 26.000 US-Dollar (knapp 23.000 Euro) für die gewerkschaftliche Krankenversicherung. Ein Großteil erreicht diese Grenze aber schon lange nicht mehr.

Schuld ist laut Streikenden die Marktherrschaft von Streamingdiensten wie Netflix und Amazon Prime Video, deren Geschäftsmodell – anders als das der Fernsehsender – nur sehr geringe Tantiemen vorsieht, also eine an den Erfolg und den Umsatz des Ergebnisses gekoppelte Bezahlung.

Ungefähr 70 Prozent der Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland verdienen unter 30.000 Euro im Jahr, 60 Prozent sogar unter 20.000. Nur 4 Prozent verdienen mehr als 100.000 Euro.

Hans-Werner Meyer,

stellvertretender Vorsitzender des deutschen Bundesverbands Schauspiel (BFFS)

In Deutschland gehört der Großteil der Schauspielerinnen und Schauspieler ebenfalls lange nicht zu den Topverdienerinnen und Topverdienern – das ist nur ein kleiner Prozentsatz, der aber natürlich sichtbarer ist durch mehr Auftritte in Filmen und auf roten Teppichen. „Ungefähr 70 Prozent der Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland verdienen unter 30.000 Euro im Jahr, 60 Prozent sogar unter 20.000“, macht BFFS-Sprecher Meyer deutlich. „Nur 4 Prozent verdienen mehr als 100.000 Euro.“ Daran habe sich in den letzten zehn Jahren wenig geändert. „Das wird eher schlechter als besser.“

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Warum streiken Deutschlands Schauspieler nicht?

Trotz zum Teil ähnlicher struktureller Probleme werden in Deutschland aber weiter fleißig Filme und Serien produziert. Warum treten nicht auch die deutschen Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Drehbuchschreibenden in den Streik, mag sich so mancher fragen. „Streiken kann man immer dann, wenn Verhandlungen scheitern. Wir haben momentan keine Verhandlungen, die gescheitert sind. Darum können wir auch nicht streiken“, so die erst mal einfache Antwort von Meyer vom Schauspielverband. Es gebe aber trotz manch ähnlicher Probleme eben doch auch noch ein paar strukturelle Unterschiede zwischen der Branche in Deutschland und der in den USA.

Das bedeutet der Streik in Hollywood für deutsche Filmfans

Einzelne internationale Projekte mit deutscher Beteiligung sind derzeit pausiert. Konkrete Folgen seien ansonsten noch nicht abzusehen.

Dazu gehört zum einen die bereits genannte andere Gewerkschaftsstruktur. Hinzu komme, so Meyer, dass in der Arbeitgeberorganisation der US-Filmbranche neben den Produktionsunternehmen auch Sender und Streamingdienstanbieter organisiert seien. „Ein Streik dort richtet sich also auch direkt gegen diese.“ In Deutschland seien hingegen nur die Produktionsunternehmen organisiert, jedoch nicht die Sender oder Streamingdienstanbieter. Ein Streik träfe hier also Netflix, Amazon Prime und Co. nicht unmittelbar – welche für einige der Problematiken verantwortlich gemacht werden.

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Unterschiede zwischen den USA und der EU

Und: „Einen Teil der Forderungen in den USA, nämlich Folgevergütungen bei erfolgreichen Streamingfilmen und ‑serien, haben wir teilweise schon durchgesetzt in Deutschland“, erklärt Meyer weiter. So seien mit Netflix Folgevergütungen ausgehandelt worden. Er betont in dem Zusammenhang, dass das amerikanische Copyright anders als das europäische Urheberrecht funktioniere. In Europa gebe es eine EU-Richtlinie, nach der eine Leistung angemessen vergütet werden müsse. „Wenn ein Werk überdurchschnittlich erfolgreich ist, ist eine einmalige Vergütung nicht angemessen“, so der BFFS-Sprecher. Durch diesen Hebel sei es möglich, solche Verhandlungen wie mit Netflix zu führen. Mit den anderen Streaminganbietern gebe es aber auch in Deutschland noch nicht derartige Abmachungen. „Wir wollen auch mit denen Verhandlungen“, stellt Meyer aber klar.

Das zweite große Thema der Streiks in Hollywood ist der Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI). Während immer intelligenter werdende Chatbots wie ChatGPT Drehbuchautorinnen und ‑autoren um ihre Jobs bangen lassen, befürchten auch Schauspielende, dass KI ihr Abbild, ihre Stimme oder ihre Darbietungen ohne Zustimmung oder Entschädigung nutzen könnte. „Das Thema beobachten wir sehr genau, weil das natürlich alle betrifft“, sagt Meyer auch über den Umgang in Deutschland mit dem Thema. „Da sind wir in Europa aber an dem Punkt, dass wir erst mal ein für den Herbst geplantes Richtlinien­gebungs­verfahren im EU-Parlament abwarten wollen.“

Sorgen um Auswirkungen der KI

Um die Auswirkungen künstlicher Intelligenz mache sich aber auch die deutsche Schauspielbranche Sorgen. „Die Sorgen sind im Fall etwa von Synchronschauspielerinnen und ‑schauspielern schon ganz konkret, weil es bereits eine Software gibt, die Synchronschauspielerinnen und ‑schauspieler ersetzen kann, indem die Originalstimme von der Originalschauspielerin oder dem Originalschauspieler dann zum Beispiel auch die deutsche Fassung spricht und auch die Mundbewegungen mit Bildgebungsverfahren angepasst werden können“, nennt der BFFS-Sprecher nur ein Beispiel.

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Der Bundesverband Schauspiel, das deutsche Pendant zur SAG-AFTRA, hat sich gleich zu Beginn des Schauspielerstreiks in Hollywood am 14. Juli mit den streikenden Schauspielerinnen und Schauspielern solidarisiert. „Das hat nicht nur hier viel Aufmerksamkeit erregt, sondern ist auch in US-Branchenblättern erwähnt worden“, sagt Meyer. „Da in den USA jetzt Schauspielergewerkschaft und Autorengewerkschaft streiken, entsteht ein großer Druck“, sagt er. Deshalb vermute er, dass es zu einer Einigung kommen werde. „Auch der Umgang mit KI muss ja geregelt werden. Da gibt es überhaupt keinen Grund, warum das nicht geregelt werden sollte. Außer dem Wunsch, sich alle Möglichkeiten der Profitmaximierung offenzuhalten.“ Bis Mitte September ist es zu keiner Einigung gekommen.

Hinweis: Der Artikel ist am 29. Juli 2023 erstmals erschienen.

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