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Frust und Lust

Bitte nicht so laut beim Sex: die Kinokomödie „Die Nachbarn von oben“

Einfach mal vorbeischauen: Maximilian Simonischek als Salvi und Sarah Spale als Lisa in einer Szene des Films „Die Nachbarn von oben“.

Einfach mal vorbeischauen: Maximilian Simonischek als Salvi und Sarah Spale als Lisa in einer Szene des Films „Die Nachbarn von oben“.

„Bitte vollziehen Sie ihren Geschlechtsakt leiser“: So stand es in krakliger Schrift vor wenigen Tagen auf einem Zettel in einem Berliner Mietshaus, der auf Facebook die Runde machte. Schreien, Stöhnen, Rumpeln des Bettes an der Wand, heiße Liebesspiele können Nachbarn in Mietshäusern ganz schön auf die Nerven gehen. Geräuschvoller Sex gilt sogar als Lärmbelästigung und Ruhestörung. Die Betroffenen können Mietminderung geltend machen. Vor Gericht drohen Ordnungsstrafen.

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So weit geht das gutbürgerliche Schweizer Ehepaar Thomas (Roeland Wiesnekker) und Anna (Ursina Lardi ) – er Dozent am Konservatorium, sie Kinderbuch­illustratorin – in der Kinokomödie „Die Nachbarn von oben“ nicht. Aber das Orgasmusgetöse im Haus stört sie gewaltig – und zwar nicht nur, weil die Bilder an den Wänden wackeln und an geruhsames Schlafen nicht zu denken ist, sondern weil beide plötzlich die Erstarrung ihrer Beziehung nach 20 Jahren Ehe registrieren.

Prickelnder Sex war einmal, nun haben sich Thomas und Anna in ihrem lauwarmen Leben eingerichtet. Die Hände bleiben am Weinglas. Sie schauen sich nicht mehr an, sondern in die Glotze. Oder sie streiten sich. Wenn’s ihm zu viel wird, geht Thomas zum Rauchen aufs Dach und sucht mit seinem Teleskop den Sternen­himmel ab. Endlich Ruhe.

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An einem Abend verhärten sich die Fronten. Anna hat einen seiner Ansicht nach potthässlichen Teppich gekauft. Und was noch schlimmer ist: Sie hat die lauten Lovebirds zum Apéro eingeladen. Thomas tobt. Doch schon klingelt es, und Lisa (Sarah Spale) und Salvi (Maximilian Simonischek) stehen mit einem Fläschchen und einem fröhlichen Hallöchen (schweizerisch: Hoi) vor der Tür. Zoff liegt in der Luft.

Bevor Thomas sich über die nächtlichen Eskapaden beschweren kann, erzählt das Paar, dass es nicht allein lustvoll lärmt, das seien ihre Freunde beim flotten Vierer. „Wir sind aber nie mehr als acht“, beteuert Lisa. Meistens jedenfalls. Als die charmante Psychologin und der nett-naive Feuerwehr­mann die Gastgeber mit einer Gegeneinladung überraschen und diese mit einem frivolen Angebot verknüpfen, ist Schnapp­atmung beim grantigen Hausherrn garantiert.

Schauplatz der brillant-bösen Gefechte und Sticheleien ist eine komfortable Altbauwohnung. An diesem sich immer chaotischer entwickelnden Abend wird sie ramponiert zurück­bleiben.

Der Alkohol bringt’s an den Tag

Gedreht wurde im Cinemascope-Format allerdings in einem riesigen Studio. Das ermöglichte Flexibilität, die Kamera konnte den Figuren durch die Zimmer folgen, mehr Raum und Distanz zwischen ihnen schaffen.

In diesem Ambiente inszeniert Regisseurin Sabine Boss ein hinreißendes Kammerspiel und hält mit einem superben Quartett die perfekte Balance zwischen Frust und Lust, befreiender Komik und aufreibenden Kontroversen, Härte und Hoffnung – allen voran die stets um Contenance bemühte Anna Lardi als Gastgeberin. Bei Häppchen und zunehmendem Alkohol­konsum fliegen die Fetzen. Die Älteren lassen ihre Desillusionierung raus, während die turtelnden Jüngeren versuchen, eine Eskalation zu vermeiden.

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Manchmal lässt Roman Polanskis kongeniale Adaption des Theaterstücks „Der Gott des Gemetzels“ der französischen Dramatikerin Yasmina Reza grüßen, doch schreckt die Schweizer Regisseurin vor erbarmungsloser Schlachtfeld­radikalität und rohen verbalen Ausfällen zurück. Im Mittelpunkt steht nicht die Abrechnung mit verlogener bourgeoiser Arroganz, sondern der Verlust von und die Sehnsucht nach Liebe. Dennoch werden Seelenabgründe in der Midlife-Crisis ohne moralische Scheuklappen gnadenlos bloß gelegt.

Thomas hat seit Jahren das Klavier nicht mehr angerührt. Als Salvi es wagt, ein paar Töne zu spielen, rastet er aus, erinnert ihn das doch an seine gescheiterte Karriere als Solopianist. Er ist ein Verlierer, der sich immer mehr ins Abseits bringt und wütend auf die Avancen seiner Angetrauten reagiert.

Thomas schlägt mit seinen Mitteln zurück: Der Gast braucht einen Aschenbecher? Warum nicht den bunten neuen Teppich nutzen? Als der junge Konkurrent süffisant bemerkt, dass Anna gerne nach dem Duschen nackt herumspaziert und sich von ihm durchs Fenster beobachten lässt, entgleiten Thomas die Gesichtszüge. Und als sie den virilen Kerl auch noch küsst und bekennt, es sei nicht leicht, einen guten Orgasmus zu haben, kippt die Stimmung vollends.

Bis auf einige verzeihliche Plattheiten schaukeln sich die Angriffe in kurzweiligen eineinhalb Kinostunden fein ziseliert hoch. Wahre Gefühle explodieren nach einer langen Phase der Lüge. In dieser pointierten Charakter­komödie bröckeln die Fassaden. Die Älteren verheddern sich in emotionalen Verwerfungen, während die Jungen noch an die ewige Leidenschaft glauben.

Wir lernen: Es gibt keine gültige Gebrauchs­anweisung für die Liebe. Wer sie erhalten will, muss dafür kämpfen. Ob Anna und Thomas den Neustart hinkriegen? Zu hoffen wäre es.

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„Die Nachbarn von oben“, Regie: Sabine Boss, mit Ursina Lardi, Roeland Wiesnekker, Sarah Spale, Max Simonischek, 88 Minuten, FSK 12

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