Corinna Harfouch: „Ich begreife diesen Schrei nach Aufrüstung nicht“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/A3NFWCPUOJAQHFAUQSCREUI4UI.jpg)
Gar nicht spröde: Schauspielerin Corinna Harfouch.
© Quelle: picture alliance/dpa
Hannover. Frau Harfouch, wird das Leben kostbarer mit zunehmendem Alter?
Auf jeden Fall! Es sammelt sich so viel Leben an, Familie, Freunde. Man kann sich all diesen Dingen zu wenig widmen.
Sie haben sich in jungen Jahren auch als Krankenschwester und als Textilingenieurin versucht: Wann haben Sie Ihren inneren Spieltrieb entdeckt?
Die Textilingenieurin können Sie wieder streichen – ich habe kaum ein Jahr an der TU Dresden durchgehalten. Ich wollte immer Schauspielerin werden, schon als Kind. In der DDR habe ich bereits als Neunjährige beim Pioniertheater Natalija Saz an unserer Schule mitgemacht. Jedes Wochenende sind wir auf die Dörfer gefahren und haben gespielt.
Das klingt nach einer ziemlich zeitaufwendigen Nebenbeschäftigung.
Das war meine Hauptbeschäftigung! Die Schule war nebenbei und auch schlimm, weil ich eine schlechte Schülerin war. Das Theaterspiel als Kind war meine Rettung.
Sie können Ihre Rollen frei wählen: Warum haben Sie sich jetzt für den Film einer Regiedebütantin entschieden, für Natja Brunckhorsts Kammerspiel „Alles in bester Ordnung“?
Natja hat sich so präzise in die Psychologie dieser Frau namens Marlen eingefühlt. Marlen hat ihre Wohnung in eine Art privates Museum verwandelt, vollgeräumt mit allen möglichen Sachen. Ich habe mal so eine Frau kennengelernt. Sie hat mir ergreifend geschildert, wie sie leidet, sich nicht von Dingen trennen zu können.
In dem Film prallen Extreme aufeinander: Ihre Marlen und der IT-Experte Fynn, Typ: ein Minimalist, der mit wenigen Dingen im Leben auskommen will: Sind Sie eher der aufgeräumte Typ?
Um Gottes Willen: Nein! In meinem Leben haben sich viele Dinge angesammelt. Die Sachen werden geradezu angeschwemmt.
Und was ist mit Fynns auf Kargheit bedachte Lebensphilosophie?
Für mich ist Fynn jemand, der im neoliberalen Sinn zu 100 Prozent funktioniert. Er steht immer zur Verfügung. Er braucht nicht mehr als seinen Laptop und einen Stromanschluss. Wie soll sich so jemand niederlassen, eine Familie gründen oder Freunde finden?
Wie ist es bei Ihnen?
Ich bin hier in der Schorfheide verwurzelt. Bislang gewinne ich auch immer noch den Kampf gegen das Zuwachsen, den Marlen im Film zu verlieren droht.
Bloß kein Aufräumservice!
Haben Sie schon mal einen Aufräumservice bestellt?
Bloß nicht!
Wenn Sie sich jetzt in Ihrem Wohnzimmer umschauen, entdecken Sie dann viele lieb gewordene Dinge?
Einige Plüschtiere zum Beispiel, Affe, Fuchs, Waschbär, Faultier, ein Kasper und eine japanische Puppe. Viel Selbstgebasteltes sehe ich. Im Laufe der Zeit haben all diese Sachen eine Bedeutung bekommen.
Wenn Ihre Handybatterie schlapp macht: Holen Sie sich dann eine neue, oder lassen Sie das Akku reparieren?
Lieber ein Batteriewechsel.
Haben Sie noch Lust, sich neue Dinge zu kaufen?
Kommt drauf an. Ich habe ein Theatersaalprojekt im Nachbardorf. Wir haben da eine Künstlerwohnung ausgebaut, in der allerdings momentan eine ukrainische Familie aus Butscha lebt. Da habe ich nur Dinge angeschafft, wie ich sie mir auch geholt hätte.
Aber was kaufen Sie für sich?
Tatsächlich habe ich eineinhalb Jahre lang keine Klamotten gekauft, nicht einmal Strümpfe. Das habe ich als befreiend empfunden. Manchmal musste ich irgendwo hin und dachte: Kannst Du das noch anziehen, wenn es so kaputt ist?
Gerade haben Sie sich in einem Aufruf gegen die „massive Hochrüstung“ der Bundesrepublik und damit gegen den 100-Milliarden-Sonderposten für die Bundeswehr ausgesprochen. Warum haben Sie da unterschrieben?
Ich tue so etwas selten. Aber diese Frage treibt mich um, sie hat eine Vorgeschichte: Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich nach der Geburt meines dritten Kindes eine pränatale Depression bekam. Das war 1982, die Zeit des Nato-Doppelbeschlusses, also der Wiederaufrüstung. Meine Unterschrift hat also auch emotionale Gründe. Aber ich finde den Appell absolut richtig.
Wieso?
Ich begreife diesen Schrei nach Aufrüstung nicht. Plötzlich eifern Politiker angeblichen Militärexperten nach. Vor Kurzem waren wir noch von Corona-Experten umzingelt. Ich möchte nicht von Experten mit Tunnelblick regiert werden, sondern von Politikern mit Überblick. Ich verstehe das Dilemma, in dem der Bundeskanzler steckt. Unter diesem Druck möchte ich nicht stehen. Was soll mit all den Waffen passieren?
Können Sie noch ruhig schlafen?
Ich kann sowieso nicht ruhig schlafen.
Das ist Corinna Harfouch
Eines sollte man keinesfalls tun: Corinna Harfouch in eine Schublade einordnen. Die 1954 in Suhl in Thüringen geborene Schauspielerin wagt sich immer wieder an Neues – auch wenn viele sie mit spröden Frauenfiguren wie etwa im Kinofilm „Lara“ (2019) in Verbindung bringen. Von 1978 bis 1981 studierte Harfouch an der Hochschule für Schauspielkunst Berlin. Ihren größten Bühnenerfolg in der DDR feierte sie als Lady Macbeth in Heiner Müllers Regie an der Volksbühne Berlin. Nach der Wende gehörte sie zu den Stars an Frank Castorfs Volksbühne. Für ihre Hauptrolle in Carl Zuckmayers „Des Teufels General“ wurde sie 1997 zur Schauspielerin des Jahres gekürt.
Im Kino verwandelte sie sich in Magda Goebbels im Hitler-Film „Der Untergang“ (2004). Jüngere Zuschauer kennen sie aus „Bibi Blocksberg“-Filmen oder „Fuck ju Göhte 3″ (2017). Nun spielt sie in der Tragikomödie „Alles in bester Ordnung“ (Kinostart: 26. Mai) einen Messie, die gezwungen ist, in ihrer vollgeräumten Wohnung einen Minimalisten aufzunehmen. Das kann erst mal nicht gut gehen.