Ex-Profi leidet an Gedächtnisstörungen

Wie gefährlich ist Football? „Der Helm gibt ein falsches Sicherheitsgefühl“

Erich Grau spielte einst für die Ansbach Grizzlies. Er nutzte seinen Kopf „als Waffe“ – und leidet nun an Symptomen der Gehirnerkrankung CTE.

Erich Grau spielte einst für die Ansbach Grizzlies. Er nutzte seinen Kopf „als Waffe“ – und leidet nun an Symptomen der Gehirnerkrankung CTE.

Herr Grau, die körperlichen Folgen und Langzeitfolgen von American Football sind schon lange bekannt. Aktuell schockiert das Schicksal des Profis Damar Hamlin die USA, der während eines NFL-Spiels bewusstlos zusammengebrochen war. Findet die Gesundheit der Footballspieler im Profisport zu wenig Beachtung?

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Ja, vor allem die nicht unmittelbaren Auswirkungen des Spielens. Wenn es zu einem Unfall kommt, bemerkt man wenige Sekunden später schon die Auswirkungen. Aber manchmal sind die Folgen – darunter Demenzerkrankungen – erst nach zehn, 15 oder 20 Jahren zu spüren. Eine Studie der Boston University hatte bei Obduktionen von 111 ehemaligen Footballspielern festgestellt, dass 110 Gehirne die Erkrankung CTE aufwiesen – wobei man hier beachten muss, dass nur die Gehirne von Spielern untersucht wurden, die auch zu Lebzeiten Symptome aufwiesen.

Auch Sie leiden wahrscheinlich an der Krankheit Chronisch-traumatische Enzephalopathie (CTE). Wann haben Sie erstmals gemerkt, dass etwas nicht stimmt?

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Als ich bei mir erstmals die Symptome merkte, war meine Footballkarriere schon vorbei. Ich habe von 1979 bis 1990 gespielt und habe mit 45 Jahren gemerkt, dass irgendwas komisch geworden ist. Ich war Gymnasiallehrer, und ich habe den Unterricht – der ja 45 Minuten hohe Konzentration, Belastung und viele Störungen bedeutet – irgendwann gar nicht mehr verkraftet. Ich hatte Konzentrationsmangel, eine bei mir bisher nie gekannte Aggression und Gedächtnisprobleme. Am Ende meiner Zeit als Lehrer haben mich einige meiner Schüler sogar vom Lehrerzimmer abgeholt, weil sie meinten, dass ich ohne sie das Klassenzimmer nicht mehr finden würde. Sie hatten recht.

CTE diagnostiziert man offiziell erst mit der Obduktion, weil es noch an Möglichkeiten fehlt, es zu Lebzeiten eindeutig von anderen Demenzerkrankungen zu unterscheiden. Wieso besteht bei Ihnen aber der Verdacht?

Bei der Neurologie hatte man aufgrund meiner Symptome tatsächlich zunächst eine typische Alzheimerdiagnostik durchgeführt. Aber aufgrund meiner Footballkarriere lag später der Verdacht nahe, dass es sich um CTE handeln könnte. Damit man schon zu Lebzeiten mit Personen wie mir, die Symptome zeigen, wissenschaftlich arbeiten kann, hat man vor einigen Jahren das Traumatische-Enzephalopathie-Syndrom eingeführt, das allerdings noch keine offizielle Diagnose ist.

Das gilt für Menschen, die vom Lebenslauf her CTE haben könnten: Boxer, Footballspieler oder auch Armeeangehörige, die Gedächtnisstörungen, Verhaltensaggressionen, Depressionen, also verschiedene Demenzsymptome haben. Denn typischerweise tritt CTE bei Menschen auf, die während ihrer Karriere zahlreiche Schläge oder Stöße gegen den Kopf abbekommen haben.

Erich Grau (67) war der erste Quarterback der deutschen Football-Nationalmannschaft. Der Gymnasiallehrer spielte von 1979 bis 1990 American Football und engagierte sich später als Sportdirektor des deutschen Verbandes AFVD. Jahre nach dem Ende seiner Karriere hatte er erstmals mit Symptomen der Gehirnerkrankung CTE zu kämpfen, an denen er auch heute noch leidet. Er setzt sich dafür ein, ein Bewusstsein für die Erkrankung zu schaffen.

Erich Grau (67) war der erste Quarterback der deutschen Football-Nationalmannschaft. Der Gymnasiallehrer spielte von 1979 bis 1990 American Football und engagierte sich später als Sportdirektor des deutschen Verbandes AFVD. Jahre nach dem Ende seiner Karriere hatte er erstmals mit Symptomen der Gehirnerkrankung CTE zu kämpfen, an denen er auch heute noch leidet. Er setzt sich dafür ein, ein Bewusstsein für die Erkrankung zu schaffen.

Die negativen Auswirkungen des Sports spüren also nicht nur Footballspieler?

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Nein, so etwas finden wir nicht nur im Football, sondern auch beim Boxen und beim Fußball – also bei Sportarten, bei denen Spieler viele Stöße gegen den Kopf erleiden. Wenn man etwa bedenkt, dass nicht wenige der Weltmeister der englischen Fußball-Nationalmannschaft von 1966 später an Demenz erkrankt sind, ist das beachtlich.

„Mit Beinbrüchen und Kreuzbandrissen habe ich immer gerechnet, aber das Risiko von zunächst unterschwelligen Kopfverletzungen, die zu Langzeitfolgen führen können, war mir nie bewusst.“

Sollte denn aber nicht gerade beim American Football der Helm vor Kopfverletzungen schützen?

Der Helm gibt ein falsches Sicherheitsgefühl. Als Spieler habe ich mich damit tatsächlich gut geschützt gefühlt, obwohl ich den Kopf immer als Waffe eingesetzt habe. Es war ein Gefühl der Mächtigkeit, mit dem Kopf ins Tackling einzusteigen und als Quarterback Gegner wegzurennen. Beim Kopf-gegen-Kopf-Tackling war es wie eine kleine Trophäe, wenn der eigene Helm die Farbstreifen des gegnerischen Helms hatte. Mit Beinbrüchen und Kreuzbandrissen habe ich immer gerechnet, aber das Risiko von zunächst unterschwelligen Kopfverletzungen, die zu Langzeitfolgen führen können, war mir nie bewusst – zumal ich nach zwölf Jahren auch nie so etwas wie Kopfschmerzen hatte.

Inzwischen gibt es mehrere Maßnahmen im Profifootball, um das Risiko von Kopfverletzungen zu reduzieren: Helm-auf-Helm-Tackles sind verboten, Helme sind mit Sensoren ausgestattet, die Kopfaufprälle messen – und das „Concussion Protocol“ soll unter anderem dafür sorgen, dass Profis bei NFL-Spielen bei Verdacht auf Kopfverletzungen untersucht werden. Reicht das nicht, um die Spieler zu schützen?

Ich glaube nicht, dass dadurch die Gefahr im Großen und Ganzen beseitigt ist. Vielleicht hat man das Risiko reduziert, aber Kopfaufprälle gibt es weiterhin. Auch beim Safety, der vor Kurzem zusammengebrochen ist – ich kann mir seinen Namen nicht merken, weil ich immer Schwierigkeiten mit Namen habe – hat man gesehen, dass er auf die Seite seines Kopfes gestoßen ist. Gerade dort sind Helme nicht gut geschützt. Sein Fall hat zwar nichts mit CTE zu tun, aber die Tatsache, dass es ein gewöhnliches Tackling war, zeigt, wie häufig Spieler mit ihrem Helm auf den Boden stürzen. Dieses dauernde Aufprallen mit den Helmen lässt sich beim Football kaum vermeiden.

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Ist es vor diesem Hintergrund überhaupt vertretbar, etwa Kinder noch solche Sportarten ausüben zu lassen?

Es ist ein schwieriges Thema – gerade für Kinder, die in Sportarten wie Football oder auch im Boxen talentiert sind und Spaß daran haben. Und ich will ja nicht der Spielverderber sein, aber ich bin schon der Meinung, dass man die Risiken klar ansprechen sollte. Deswegen versuche ich auch stets, Bewusstsein für CTE zu schaffen und Einfluss zu nehmen.

Ich habe beispielsweise mal zwei Mädchen kennengelernt, die im Kickboxen große Erfolge feiern. Die haben in einem so jungen Alter schon so viele Kämpfe hinter sich gehabt – und im Training bekam eine immer bewusst Schläge auf die Nase, weil sie im Kampf so schnell Nasenbluten bekommt und ihre Nase dadurch abgehärtet werden sollte. Da musste ich einschreiten und den Trainern sagen: Wisst ihr denn nicht, was da passieren kann? Von den Spätfolgen haben sie aber noch nie etwas gehört. Deswegen bin ich auch um jede Stimme dankbar, die die Risiken benennt.

„Ich sehe das Problem, dass im Football immer wieder versucht wird, das Thema Langzeitschäden totzuschweigen.“

Aber werden die Risiken denn auch wirklich offen angesprochen?

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Ich sehe das Problem, dass im Football immer wieder versucht wird, das Thema Langzeitschäden totzuschweigen. Die Funktionäre der Ligen haben natürlich überhaupt kein Interesse, so etwas Negatives zu thematisieren. Im Gegenteil. Bei der NFL geht es um große Summen, und da opfert man regelrecht die Spieler nach dem Motto: Die hauen sich halt zusammen und haben vielleicht, oder vielleicht auch nicht, irgendwann Langzeitfolgen – das ist halt ihr Beruf. Klar geht es auch an die Substanz, wenn ich in einem anderen Job 24-Stunden-Schichten arbeite oder als Soldat irgendwo hingeschickt werde, wo es gefährlich ist. Körperliche Folgen und Verletzungen riskiert man auch als Sportler, das ist allen bewusst. Und es gibt natürlich auch viele Profifootballer, die nicht an CTE leiden. Aber wir dürfen das Problem nicht totschweigen.

Bereuen Sie es manchmal, Football gespielt zu haben?

Ich kümmere mich um die Dinge, die unmittelbar vor mir liegen oder momentan passieren. Es bringt nichts, immer an die Vergangenheit zu denken, zumal ich mich an vieles nicht mehr erinnere. Ich konzentriere mich auch nicht auf das, was in sechs Monaten sein wird – ich lebe im Hier und Jetzt. Mein Fokus liegt auf dem, was ich heute machen kann, um mit meinen Einschränkungen gut zurechtzukommen.

Welche Strategien haben Sie, damit Ihnen das gelingt?

Sport ist für mich ganz wichtig. Manche Übungen gehen wegen meiner neurologischen Probleme nicht mehr, aber mit 67 Jahren kann ich immer noch meine 100 Kilo im Bankdrücken stemmen – das ist gar nicht schlecht. Ich kann mich außerdem glücklich schätzen, ein soziales Umfeld zu haben, in dem ich mich unheimlich wohlfühle: meine Sportgruppe und meine Familie. Ich vermeide dagegen Aktivitäten wie den Weihnachtsmarkt, bei denen ich 20 Leute treffe, die sagen: „Servus, Erich, wie geht‘s?“ – und ich nicht weiß, wer sie überhaupt sind.

Auch nach diesem Gespräch bin ich erst mal ganz schön erschöpft. Mein Mittagsschlaf wird sicherlich eine halbe Stunde länger dauern.

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