E-Paper
Im Fitnesswahn

Kein Sixpack durch Whey-Shakes: Warum Proteine im Überfluss rein gar nichts bringen

Ob in der Werbung oder im Sport - der Waschbrettbauch ist allgegenwärtig. Um selbst das Ziel eines Sixpacks zu erreichen, ist Geduld, disziplinierte Ernährung und hartes Training gefragt.

Proteine alleine reichen nicht: Der Waschbrettbauch ist allgegenwärtig. Um selbst das Ziel eines Sixpacks zu erreichen, ist Geduld, disziplinierte Ernährung und hartes Training gefragt.

Dass Eiweiß fit macht, ist keine neue Idee. Schon in der Antike futterten Athleten reichlich Fleisch, um sich in Form zu bringen. Vom griechischen Starolympioniken Milon von Kroton ist eine ganz spezielle Diät überliefert: Er soll täglich 17 Pfund (7,71 Kilogramm) Fleisch samt 17 Pfund Brot verspeist und dazu zehn Liter Wein getrunken haben. Der Held von damals ist heute zwar kein Vorbild mehr, doch liegen Proteinprodukte im Sport, mittlerweile auch im Alltag, stark im Trend. „Solche Produkte sind Verkaufsschlager“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Angela Clausen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Dabei setzt die Lebensmittelwerbung auf rundum fitte, gut gelaunte Menschen und vermittelt den Eindruck: Wer sich mit einer Extraportion Eiweiß versorgt, strotzt vor Energie und Gesundheit. Doch das ist eine Illusion.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Proteine hatten schon immer ein gutes Image“, erklärt Clausen. „Es gibt Low-Carb- und Low-Fat-, aber keine Low-Protein-Diäten.“ In der Tat sind Eiweiße unverzichtbare Bausteine im Körper, die unter anderem für Muskelaufbau und -erhalt, Immunsystem, Hormonhaushalt und Blutgerinnung wichtig sind. Die meisten Menschen in Deutschland sind damit aber bestens versorgt, wie die letzte nationale Verzehrsstudie ergab. „Von einem fürchterlichen Mangel, wie er uns suggeriert wird, kann nicht die Rede sein“, meint Clausen leicht sarkastisch.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für Erwachsene bis 65 Jahren eine Proteinzufuhr von 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Bei 70 Kilo wären das 56 Gramm – so viel liefern 250 Gramm Magerquark und 100 Gramm rote Linsen zusammen. Das heißt, dass man die Menge bei der meist üblichen Mischkost locker abdeckt. „Wer gesund ist, braucht in der Regel keine zusätzlichen Proteine“, sagt Clausen. Ein gesundheitlicher Vorteil ist von der Extraportion Eiweiß auch nicht zu erwarten, heißt es bei der DGE.

rnd-unbezahlbar

Unser Newsletter begleitet Sie mit wertvollen Tipps und Hintergründen durch Energiekrise und Inflation – immer mittwochs.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Für ältere Menschen können zusätzliche Proteine sinnvoll sein

Die Empfehlungen gelten nicht für alle gleichermaßen. Kinder, Schwangere, Stillende sowie Leistungssportlerinnen und -sportler brauchen – bezogen auf ihr Gewicht – mehr Protein. Auch bei Seniorinnen und Senioren darf es etwas mehr Eiweiß sein: „Im Alter kann eine etwas erhöhte Proteinaufnahme günstig sein“, sagt DGE-Sprecherin Antje Gahl. „Möglicherweise lässt sich dadurch das Risiko für Knochenbrüche etwas senken.“ Auch zum Erhalt der Muskeln ist eine gute Proteinversorgung wichtig. Daher gilt für Menschen ab 65 ein Schätzwert von 1,0 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht täglich. Meistens lässt sich auch dieser Mehrbedarf problemlos mit Lebensmitteln decken. Optimalerweise kombiniert man verschiedene Proteinquellen, etwa Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Getreide, Nichtvegetarier auch Fisch und mageres Fleisch.

Eiweißquellen kombinieren

Der Proteinbedarf lässt sich normalerweise über Lebensmittel abdecken. Gute Quellen sind laut Verbraucherzentrale z.B.: - Milchprodukte, insbesondere fettarmer Quark und Hartkäse - Mageres Fleisch und Fisch, Eier - Getreide, Hülsenfrüchte (u.a. Linsen, Erbsen, Bohnen), Nüsse, Samen Empfehlenswert ist, pflanzliche und tierische Eiweiße miteinander zu kombinieren, z.B. Vollkornbrot mit Quark oder Kartoffeln mit Ei. So kann der Körper die Proteine nämlich viel besser verwerten. Extra angereicherte Lebensmittel, etwa Eiweißbrot, Protein-Drinks oder -Snacks, sind nicht nötig.

Schwierig kann es allerdings werden, wenn betagte Menschen nur noch wenig essen oder nicht gut schlucken können. Dann kann es ausnahmsweise sinnvoll sein, auf Proteinprodukte zurückzugreifen. „Ich würde in einem solchen Fall für ein Getränk plädieren, weil es sich leichter konsumieren lässt“, sagt Clausen und rät ansonsten, sich die Nährwerttabelle genau anzuschauen. „Das Produkt sollte möglichst naturbelassen sein. Farbstoffe und zusätzliche Vitamine gehören nicht hinein.“ Um künstliche Geschmacksstoffe zu meiden, kann man auch eine geschmacksneutrale Variante kaufen und den Trank mit Saft oder püriertem Obst aufpeppen.

Von einem fürchterlichen Mangel, wie er uns suggeriert wird, kann nicht die Rede sein.

Angela Clausen

Ernährungswissenschaftlerin

Vor allem im Fitnessbereich sind derzeit Pulver mit Whey-Proteinen angesagt, was übersetzt schlicht Molken-Eiweiße heißt. „Solche Proteine sind hochwertig und werden vom Körper gut aufgenommen“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin. „Aber die Produkte sind auch teuer und haben manchmal einen gewöhnungsbedürftigen Geschmack.“ Nahrungsergänzungsmittel, die sich auf einzelne Eiweißkomponenten, etwa die Aminosäure Glutamin, konzentrieren, sind dagegen nicht sinnvoll. Durch die hoch dosierte Zufuhr einzelner Aminosäuren kann es laut DGE zu einem Ungleichgewicht im Aminosäurestoffwechsel kommen. Bei Tierversuchen hat man in solchen Fällen neurologische Störungen beobachtet.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Von Proteinen wachsen keine Muskeln

Beim Stichwort Eiweißshakes denkt aber kaum jemand an Seniorinnen und Senioren, sondern an junge Kraftmenschen mit muskelbepackten, glänzenden Bodys. Welche Rolle spielen Proteine im Sport wirklich? Sie sind unbestrittener Maßen wichtig, und zwar insbesondere für den Muskelaufbau und -erhalt. Aber: Von Whey-Shakes allein bekommt niemand über Nacht ein Sixpack. Dazu gehört immer ein intensives Training. Außerdem bringt Eiweiß im Übermaß nichts: „Es ist nicht so, dass umso mehr Muskeln wachsen, je mehr Proteine man zu sich nimmt“, sagt Gahl.

Überhaupt wird der Bedarf gern überschätzt. Die meisten Freizeitsportlerinnen und ‑sportler brauchen nämlich nicht mehr Eiweiß als andere Erwachsene. Erst ab etwa fünf Stunden Training pro Woche ist der Bedarf erhöht: Er liegt dann zwischen 1,2 und 2,0 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht täglich. Wie hoch die empfohlene Menge genau ist, hängt von der Sportart, der Trainingsintensität und dem Trainingsziel ab. Eine Unterversorgung ist normalerweise kein Thema.

Es ist nicht so, dass umso mehr Muskeln wachsen, je mehr Proteine man zu sich nimmt.

Antje Gahl, DGE-Sprecherin

So berichtet die Ernährungsexpertin Mareike Großhauser, die Athletinnen und Athleten vom Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz/Saarland berät: „An den Ernährungsprotokollen der Sportler sehe ich, dass der Eiweißbedarf immer gedeckt ist.“ Schwierig kann die Versorgung allerdings bei Wettkämpfen werden. „Da haben die Sportlerinnen vielleicht nur wenig Zeit und keinen Appetit. In solchen Situationen können flüssige Proteinpräparate praktisch sein.“ Beim Kauf rät sie dazu, auf Qualität zu setzen. Insbesondere bei Angeboten aus dem Internet besteht nämlich das Risiko, dass die Mittel mit Dopingsubstanzen versetzt oder verunreinigt sein könnten. Daher lohnt sich ein Blick auf die „Kölner Liste“, die nur zertifizierte, auf illegale Substanzen geprüfte Produkte führt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Folgen von Überversorgung sind noch unklar

„Ansonsten bin ich sehr für ‚Food first‘“, sagt Großhauser. „In natürlichen Lebensmitteln steckt mehr als in Nahrungsergänzungsmitteln. Zum Beispiel enthält Proteinpulver keine Milchsäurebakterien.“ Es ist gesünder, den Eiweißbedarf mit abwechslungsreicher Ernährung zu decken. Auch DGE-Expertin Gahl sagt: „Proteinprodukte sind hoch Verarbeitete Lebensmittel, die oft viele Zusatzstoffe enthalten.“

Immerhin schadet ein Eiweißüberschuss gesunden Erwachsenen wahrscheinlich nicht. Die Nieren passen sich offenbar einer hohen Zufuhr an, heißt es bei der DGE. „Bei einer deutlich über dem Bedarf liegenden Proteinzufuhr sollte man allerdings ausreichend trinken, da beim Abbau Harnstoff entsteht, der mit dem Urin ausgeschieden werden muss“, sagt Gahl. Offizielle Höchstmengen für die Aufnahme von Protein gibt es nicht – dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass eine starke Überversorgung auf Dauer schädlich ist.

Einen Vorteil hat „High Protein“ immerhin: Beim Abnehmen kann eine eiweißreiche Ernährung hilfreich sein, da sie besser sättigt. In den ersten drei bis sechs Monaten verliert man dadurch mehr Gewicht als mit einer proteinarmen Diät. Leider ist es danach wieder vorbei: „Mit zunehmender Dauer schwindet der Effekt“, sagt Gahl. Wahrscheinlich gewöhnt sich der Körper auch hier an die Extraportion Protein.


Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige


Mehr aus Gesundheit

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken